Am 27. Februar 2020 veranstalteten wir einen Salon zum Thema „Mit allen meinen wir allen: Libanon im Ausnahmezustand?“. Wie der Titel verrät, ging es darum, die seit Oktober 2019 anhaltenden Proteste im Libanon und die damit einhergehend veränderte politische Situation des Landes aus mehreren Perspektiven zu betrachten.
Michael Jabbour, der Arabisch und Französisch studiert und sich mit dem Libanon auseinandersetzt, hat dafür zu Beginn einen Kurzvortrag gehalten, der die wichtigsten historischen und aktuellen Punkte zum Thema umriss.
Der Hintergrund
In den letzten Jahren haben sich die Lebensumstände der LibanesInnen stark verschlechtert: Mittlerweile sind 40% arbeitslos und der libanesische Pfund, der eigentlich an den amerikanischen Dollar gekoppelt ist, verbleibt unstabil und ist in seinem Wert stark gefallen. Daraus lässt sich schließen, dass es nicht überrascht, dass die Bevölkerung auf die Straße geht um zu demonstrieren. Interessanterweise ist dieser Unmut in allen Teilen der Gesellschaft zu verzeichnen. Der Libanon mit seiner parlamentarischen Proporzsystem ist ein vergleichsweise sehr heterogenes Land und Problematiken, die ein nationales Gemeinschaftsgefühl hervorrufen sind selten bis nicht vorhanden. Wie aber bereits die Müllproblematik im Libanon und die damit einhergehenden „You stink“-Proteste 2015 bereits vorankündigten, hat sich das mit dem Ausbruch der Proteste am 17. Oktober spätestens geändert. Ist das der Anfang einer Revolution, die nachhaltige Veränderung in das politische System des Landes bringt?
Die Diskussion
Folgt man der Argumentation von Michael Jabbour und seinem aus dem Libanon stammenden Vater, dann ist das auch nach der seit Ende Jänner 2020 neu angelobten Regierung immer noch eine Möglichkeit. Die bisherigen Proteste haben die Bereitschaft dazu schon über die letzten Monate ausgedrückt. Eine weitere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellte, ist, ob der neue Ministerpräsident Hassan Diab das Vertrauen der LibanesInnen und der internationalen Gemeinschaft gewinnen kann. Breit wurde anschließend auch die Rolle der Hisbollah in Zukunft diskutiert, wird sie ja in vielen Ländern als terroristische Organisation eingestuft.
Fest steht, dass wir an diesen Abend nicht nur einen aufschlussreichen Vortrag erleben durften, sondern ihn auch nutzen konnten, um Argumente auszutauschen. Wir bedanken uns bei Michael Jabbour und allen, die erschienen sind.
Nachlesen zum Thema
Über den Konfessionalismus und das politische System im Libanon
- Lebanon: Ways out of permanent deadlock, Shabka 2018
- The tentacles of sectarianism, Shabka 2016
- Die Hisbollah auf der EU-Terrorliste? Was bedeutet das?, Shabka 2020
Gesellschaftliche Aspekte und Konfliktlinien im Libanon
- Libanon als Modell für Nachkriegs-Syrien?, Shabka 2016
- In Beirut, women lead show of unity after night of tensions, Middle East Eye 2019
- Fotoreportage: Vom Krieg in den Kuhstall, Shabka 2018
- How youth in Lebanon join armed groups, Shabka 2016
- The Banana Republic of Lebanon, Shabka 2016
Wahlen 2018 und Proteste seit Oktober 2019 im Libanon
- Libanesische Demonstrationen – ein Staat im Umbruch, Shabka 2020
- Is Lebanon’s crisis a missed opportunity?, CPD Policy Blog 2020
- Poverty set to deepen with Lebanon’s economic crisis, Al Jazeera 2020
- Protests in Lebanon – a genuine outcry to end political sectarianism?, CPD Policy Blog 2019
- Tripoli protests turn anger on local political elites, sparking violence, Middle East Eye 2019
- Mit allen meinen wir alle: Libanon im Ausnahmezustand, Ponto 2019
- Libanon Wahl 2018: Shabka-Wahlanalyse aus Beirut, Shabka 2018
Hintergründe – zum Bürgerkrieg im Libanon
Hintergründe – zu den Protesten als soziale Bewegung
- Sengebusch, Karolin (Hrsg.) (2019): Die Proteste gegen den libanesischen Konfessionalismus: Die Politik und das Politische in einer sozialen Bewegung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden : Imprint : Springer VS.