In dem Salon zum Westbalkan am 31.10.19 diskutierten wir den Status quo der Demokratisierung sowie der politischen, wirtschaftlichen und nationalistischen Herausforderungen im Westbalkan, um uns ein Bild zu schaffen, wie wahrscheinlich eine Zukunft der Region in der EU ist.
Unsere Denkanstöße
Mit dem Zerfall Jugoslawiens standen die kommunistischen Gesellschaften des Westbalkan vor der Herausforderung sich zu liberal-demokratischen Marktwirtschaften mit starker Rechtsstaatlichkeit zu wandeln. Ein Wandel der nur bedingt geglückt ist. Als Folgen der Jugoslawienkriege, verwehren ungelöste Konflikte noch immer staatliche Souveränität und territoriale Integrität, Grundvoraussetzungen für „nation state building“ und eine nachhaltige Demokratisierung. In dem Economist Democracy Index 2018, werden die meisten Regime des Westbalkans als hybrid eingestuft, mit gravierenden Schwächen in der politischen Kultur und politischen Partizipation. Schwacher Parlamentarismus und ein ausgebreiteter Klientelismus untergraben das Funktionieren staatlicher sowie marktwirtschaftlicher Institutionen. Hinzukommt, dass die EU bereit zu sein scheint, Regime mit erheblichen Mängeln in ihrer demokratischen Regierungsführung im Interesse des Versprechens von Stabilität in der Region zu unterstützen. Gekoppelt mit der schwierigen und stagnierend wirtschaftlichen Lage (welche wiederum Fragen zum Gestaltungspotenzial der EU aufwirft), findet sich die Politik in Westbalkanländer zunehmend von ethnonationalistischen Spannungen und nationalistischer Rhetorik geprägt.
Auch von Seiten der EU scheint die Zusage von Thessaloniki (2003), die Westbalkanstaaten an die EU heranzuführen, ist längst nicht mehr mehrheitsfähig zu sein. Mitgliedsstaaten sind skeptisch gegenüber dem Erweiterungsprozess, ein Teil der Lehren, die aus den Erfahrungen mit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens und mit den Rechtsstaatsdefiziten in Polen und Ungarn gezogen wurden. Und während die EU ihre Politik gegenüber dem Westbalkan überdenkt, wissen andere Mächte das geschaffene Machtvakuum auszunutzen. Russland baut, besonders mit Serbien, auf enge sprachliche, kulturelle und religiöse Ähnlichkeiten. Die Türkei inszeniert sich, im Sinne einer neo-osmanischen Außenpolitik, als Schutzherr mehrheitlich muslimischer Staaten. China sieht die Region als Einfallstor Richtung EU Europa für seine globale „Belt and Road“ Initiative.
Eine Stimme aus der Region
Bei diesem Salon hatten wir die große Freude einen Experten aus dem Westbalkan willkommen heißen zu dürfen: Fate Velaj, ein albanischer und österreichischer Künstler und Abgeordneter zum albanischen Parlament. Fate Velaj legte das Augenmerk auf das jüngste Scheitern des Europäischen Rates grünes Licht für Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien zu geben. Ein Resultat das nicht nur zutiefst enttäuschend sei, sondern auch gefährliche Konsequenzen haben könnte. In Nordmazedonien, das besonders viel in Vorleistungen für den Beginn der Beitrittsverhandlungen investierte, stehen jetzt Neuwahlen an und EU-feindliche Stimmen finden sich gestärkt wieder.
Die Diskussion
Auf Basis dieser Inputs, entstand eine lebhafte Diskussion, in der sowohl die genannten Probleme als auch ihre möglichen Lösungsansätze hinterfragt wurden. Zu der Frage wie man am besten das Image-Problem mancher Westbalkanländer in Westeuropa bekämpfen kann, betonte Fate Velaj die Wichtigkeit einer erhöhten kulturellen Präsenz der Länder in der EU und, vor allem, des kulturellen Austauschs. Auch wurde die Rolle der individuellen Länder und der EU im Prozess der Demokratisierung hinterfragt. Es entstand eine ernsthafte Diskussion darüber, inwiefern die EU tatsächlich Verantwortung für Reformen in der Region tragen sollte. Worauf man sich jedoch klar einigte, ist, dass Stillstand von Seiten der EU, wie kürzlich zu der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen von Nordmazedonien und Albanien, schlecht für das Bild der EU im Westbalkan ist und die Legitimität der Kopenhagener Kriterien in Frage stellt. Starke Kritik wurde vor allem an dem französischen Präsident Emmanuel Macron und seinem Vorgehen bei dem letzten EU-Gipfel geübt.
Im weiteren Verlauf wechselte das Hauptthema der Diskussion zu der Diskrepanz zwischen der Macht, die Länder vor und nach ihres EU-Beitritts ausüben, das anhand des Beispiels der Namensänderung von Nordmazedonien debattiert wurde. Auch wurde das Risiko der Jugo-Nostalgie, ein Zurücksehnen nach den „guten, alten Zeiten“ in Jugoslawien, in den Westbalkanländern diskutiert, besonders ins Hinsicht der autoritären Akteure, die in der Region ihre Muskeln spielen lassen. Ganz klar einigte man sich darauf, dass Demokratie in aufstrebenden Mitgliedstaaten nicht verhandelbar sein darf und die systematische Einbeziehung der Zivilgesellschaft in den Beitrittsprozess besonders wichtig ist.