Salon Shabka | Die Narrative im Libyen Konflikt

Der Konflikt in Libyen brach 2011 während des Arabischen Frühlings aus und führte zu dem Sturz des Langzeitherrschers Muhammar al-Gaddafi. Seither gibt es eine international anerkannte Einheitsregierung mit Sitz in Tripolis. Doch das nordafrikanische Land kommt nicht zur Ruhe. Vielmehr ist das Land gespalten und in sich zerrissen. Zum Erhalt ihrer Macht greift die Einheitsregierung auf unterschiedliche Milizen aus dem Umland von Tripolis und aus Misrata zurück. Diese stehen jedoch selbst oftmals in Konkurrenz zueinander. Lediglich die Opposition zu General Haftars Libyan National Army (LNA) bindet diese. Seit dem Frühling 2019 hat sich die LNA in den Vororten von Tripolis festgesetzt. Seitdem dreht sich die Eskalationsspirale immer schneller. 

Da ein Krieg immer auch ein Informationskrieg ist, versuchen beide Seiten die Gewaltakte nach innen wie nach außen zu rechtfertigen. Dabei greifen sie auf unterschiedliche Narrative zurück. Wer einen Konflikt wie diesen verstehen will, muss sich die verschiedenen, oft widersprüchlichen, Erzählungen ansehen. Mit David Fussi haben wir im Shabka Salon über die unterschiedlichen Narrative im Libyenkonflikt gesprochen.

Die Zentralregierung wirft Haftar vor, er hätte mit der Bildung paralleler Institutionen die Spaltung des Landes vorangetrieben. Durch die Absetzung gewählter Bürgermeister im Osten Libyens und dem Verbot von Kontakten zur Einheitsregierung wird dem General ein grundsätzliches Demokratiedefizit vorgeworfen. Auch wird der libysch-amerikanische Doppelstaatsbürger Haftar immer wieder als Marionette der CIA bezeichnet. Haftar wiederum, der in Ostlibyen in den letzten Jahren verschiedene islamistische Akteure besiegen konnte, wirft der Zentralregierung fehlende Legitimität und Durchsetzungsfähigkeit vor. Auch ist Haftar der Einzige, der eine geordnete Armee unter einem Zentralkommando aufstellen konnte

Die Diskussion

In der Diskussion wurde speziell die Rolle Europas angesprochen. Ein einheitliches Vorgehen der EU in Libyen scheint momentan aussichtslos. Einerseits ist das politische wie mediale Interesse in Europa sehr gering und andererseits verfolgen jene europäische Staaten mit Eigeninteressen an Libyen, nämlich Frankreich und Italien, unterschiedliche Ziele. So soll Frankreich, das militärisch aktiv gegen islamistische Milizen vorgeht, vor allem am Schutz der südlichen Grenzen zu Niger und somit am Schutz wichtiger Uranminen interessiert sein. Auch soll Frankreich General Haftar unterstützen. Italiens Fokus liegt hingegen auf der Mittelmeerküste und dem Unterbinden von Flüchtlingsrouten in Zusammenarbeit mit der Einheitsregierung. Nebenbei ringen die beiden europäischen Länder um Einfluss auf den libyschen Ölsektor. In der Diskussion wurde auch immer wieder Deutschland genannt, welches aufgrund seines geringen Eigeninteresses als möglicher Schlichter zur Hilfe gerufen werden könnte. Die Frage, ob so die Zukunft des EU-Engagements aussehen könnte, wurde ernüchternd in den Raum gestellt. Wie dem auch sei, grundsätzlich war man sich einig, dass die EU eine einheitliche Linie finden sollte um ein mögliches konfliktschlichtendes Potential ausspielen zu können. Würde dies nicht geschehen, würde die EU weiter Gefahr laufen, an Glaubwürdigkeit in der Region zu verlieren. 

Eine weitere große Frage beschäftigte die TeilnehmerInnen des Salons, ob es überhaupt möglich oder sogar sinnvoll ist, ein in sich so zerrissenes Land zu einen? Immerhin wurden die Grenzen Libyens von ihren Kolonialherren in den Sand gezogen und auch für die Bevölkerung dürften lokale Identifikationsmuster von größerer Bedeutung sein, wie TeilnehmerInnen anmerkten. Die Chancen, eine nationale Einheit wieder herzustellen, wurden jedoch von den DiskutantInnen als sehr gering eingeschätzt. 

Stoff zum Weiterdenken

Crisis Group, 10. April 2019 | Averting a Full-blown War in Libya

Wolfram Lacher, SWP, 28. Mai 2018 | Das Milizenkartell von Tripolis

Wolfgang Pusztai, ISPI, 13. Dezember 2017 | Libya: The “Expiry” of the LPA and Its Consequences

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