Der Journalist Markus Schauta präsentierte im Salon am 14. März 2017 Eindrücke von seiner Recherchereise durch den Nordirak Ende Jänner 2017. Im Fokus dabei waren Impressionen aus Mosul, Bashiqa und Nimrud.
Die Lage vor Ort
Seit dem Beginn der Mosul-Offensive und der daran anknüpfenden Schlacht um Mosul im Herbst 2016 unter der Führung der irakischen Streitkräfte konnte der Islamische Staat (IS) immer mehr zurückgedrängt werden. Unterstützt werden die Streitkräfte dabei von den kurdischen Peschmerga, verschiedenen ethnischen Milizen sowie den USA und der Anti-IS-Koalition.
Nachdem bereits Ende Jänner 2017 Ost-Mosul befreit werden konnte, begannen Einheiten der irakischen Streitkräfte ab Mitte Feber nach West-Mosul vorzudringen, Dort konnten sie bis Anfang März wesentliche Geländeabschnitte und Einrichtungen (darunter den Flughafen im Südwesten Mosul’s, das Niniweh Regierungszentrum sowie zahlreiche Bezirke in West-Mosul) befreien. Das relativ rasche Vordringen der irakischen Eliteeinheiten ist dabei zumindest teilweise auf den Zusammenbruch der Koordinationsstrukturen des IS im Raum Mosul zurückzuführen. Auch das verstärkte Engagement der USA seit Dezember 2016 trägt teilweise dazu bei. Mittelfristig ist jedoch damit zu rechnen, dass der IS einem permanenten Verlust seiner Stärke mit einer tiefgreifenden Umgruppierung vorbeugen dürfte. In der Zwischenzeit ist weiterhin mit „flankierenden“ Scharmützeln und Attentaten in Mosul und der Region zu rechnen. Dabei ist zu beobachten, dass der IS sich durch den Verlust von Teilen Mosul’s vor Ort vermehrt zu einer Guerilla-Organisation „zurückentwickelt“.
Außerdem trägt auch die zunehmende Konsolidierung der irakischen Streitkräfte und der mit ihnen verbündeten Kräfte zum stetigen Vorankommen in West-Mosul bei. Die Befreiung des Nordiraks vollzieht sich insgesamt jedoch nur schleppend. Gründe dafür liegen u. a. darin, dass die Kampfhandlungen vielfach im bebauten, städtischen Gebiet stattfinden, wofür die beteiligten Einheiten jedoch nur in den seltensten Fällen ausgerüstet sind. Vor allem im dicht bebauten West-Mosul dürfte der Widerstand des IS umso größer werden, je näher die irakischen Streitkräfte der Altstadt kommen.
Die größte Gefahr derzeit ist die fragile Situation im Nordirak, die in sektiererische und ethnische Gewalt umschlagen. Die regionalen Akteure untergraben diese potentiellen ethnischen Spannungen zusätzlich durch die konsequente Verfolgung ihrer Eigeninteressen.
Die Diskussion
Die Impressionen aus Mosul, Bashiqa und Nimrud, die Markus Schauta im Salon präsentierte, dienten als Ausgangspunkt für weiterführende Überlegungen, wie sich die Situation im Irak nach dem militärischen Sieg über den IS entwickeln könnte. Im Zuge der Diskussion wurde klar, dass die Konfliktlinien, die das Land durchziehen, vielfältig sind: Die ungeklärten Fragen zum Grenzverlauf der autonomen Region Irakisch-Kurdistan in Zusammenhang mit der Nutzung von Ölquellen, wie jenen bei Kirkuk. Die andauernde sozio-ökonomische Marginalisierung der sunnitischen Minderheit. Politische Spannungen, Korruption und eine angespannte ökonomische Lage, die zu Konflikten innerhalb der autonomen Region Irakisch-Kurdistan führen könnten. Die Ideologie des IS, die auch nach einer militärischen Niederlage für manche Bevölkerungsteile als Alternative zur schiitisch geprägten Regierung attraktiv zu bleiben droht.
Im Laufe des Abends wurde auch über das Los der Zivilbevölkerung in den umkämpften Gebieten gesprochen. Neben den Opfern der Kämpfe um Mosul, gibt es Berichte von Folter und außergerichtlichen Erschießungen, die an die Vorgänge in Falludscha im Sommer 2016 erinnern. Die Vereinten Nationen warfen den schiitischen Milizen damals Übergriffe auf Sunniten vor. Mehr als 640 sunnitische Männer und Jugendliche sollen verschleppt, 50 von ihnen erschossen oder zu Tode gefoltert worden sein. Auch beim Kampf um Mosul sind schiitische Milizen beteiligt.
Auf Basis von Interviewzitaten wurde das Verhältnis der Zivilbevölkerung zum IS tiefer beleuchtet. Ausgangspunkt waren die Worte eines Bauern aus einem Dorf südlich von Mosul: „Daish machte für uns aus der Wüste einen Rosengarten“. In der gemeinsamen Erörterung wurde klar, dass die sozio-ökonomische Marginalisierung der sunnitischen Minderheit durch die schiitisch geprägte Regierung wesentlich für den Zulauf zum IS war. Aber auch im Widerstand gegen den IS spielte die Zivilbevölkerung eine wichtige Rolle. So gab es etwa in Mosul Gruppen, die die Koordinaten von IS-Militärstützpunkten an die irakischen Streitkräfte weitergaben oder bewaffneten Widerstand gegen die Dschihadisten leisteten.
Stoff zum Weiterdenken
Shabka, 23. Feber 2017
Bashiqa war Klein-Irak
Von Mosul nach Bashiqa sind es 15 Kilometer. Wenn es in Mosul Luftschläge gibt, hört man die Detonationen bis hier her. Als der IS im Sommer 2014 auf die Stadt vorrückte, floh der größte Teil der Bevölkerung. Im Oktober 2016 konnten Peshmerga unterstützt von der US-Koalition die Stadt zurückerobern. Eine Fotostrecke durch eine zerstörte Stadt.
Wiener Zeitung, 08. Feber 2017
Kampf um Mossul
Ziviler Widerstand in Mosul: Bereits bevor der “Islamische Staat” aus dem Ostteil der zweitgrößten irakischen Stadt vertrieben wurde, haben Zivilisten gegen die Terrormiliz aufbegehrt.
Wiener Zeitung, 21. Feber 2017
Das Leben nach der IS-Belagerung
In Ost-Mosul wird in den Schulen wieder unterrichtet: Im Jänner haben 30 Schulen im befreiten Ostteil von Mosul wieder geöffnet, unter ihnen die Al-Kufa-Schule. Kinder und Lehrer versuchen, Schritt für Schritt in die Normalität zurückzukehren. Ein Lokalaugenschein.
Wiener Zeitung, 21. Feber 2017
„Alles ist zerstört“
Zerstörte Infrastruktur; was vom umkämpften Al-Salam Hospital übrig blieb: Vom Al-Salam-Krankenhaus in Mosul ist wenig übrig. Die Zerstörungen dort zeigen, wie heftig die Kämpfe zwischen der irakischen Armee und dem Islamischen Staat sind. Ein Lokalaugenschein.
ISW, 28. Feber 2017
Iraq Situation Report
Der Bericht beschreibt die Situation im Irak zwischen 17. und 28, Feber 2017.
BBC, 10. März 2017
Battle for Mosul: The high price of freedom
Unter zehntausenden Zivilisten, die in Mosuls festsitzen, wachsen die Ängste während die Regierungskräfte versuchen die Stadt zurückzuerobern.
Salon Shabka
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