Salon Shabka | Identität, Migration und Literatur

Am Mittwoch, 29. Juni 2016 fand der erste „Salon Shabka“ in Wien statt. Als Grundlage dafür wurde Literatur gewählt, weil sie es schafft, Menschen aus den Häusern zu locken und die Welt jenseits des Gartenzauns zu betrachten.

Literatur bietet die Möglichkeit, sich in andere Menschen einzufühlen, wie es der kolumbianische Autor Héctor Abad so schön sagt. Gerade bei dem Thema Migration scheint dieser Aspekt besonders wichtig, ganz speziell dann, wenn migrantische Identität im Mittelpunkt steht. Oft entbehrt eine Diskussion darüber nämlich einer nüchternen Grundlage und oszilliert zwischen harten Kriegsgeschichten oder verzerrten Sensationsmeldungen. Der Mensch, Ängste, Sehnsüchte und Sorgen stehen dabei selten im Zentrum der Debatte. Marina Weisband, selbst als Kind aus der Ukraine nach Deutschland migriert, spricht deutlich an, was MigrantInnen bewegt, dennoch aber selten thematisiert wird.

Migration wird in der Psychologie nicht grundlos als traumatisches Lebensereignis betrachtet. Es ist weit mehr als der Wechsel des Wohnortes. Für viele ist es der Ausfall von Kommunikation mit der Außenwelt, eine Verdrehung sämtlicher bekannter Regeln, eine neue, oft feindliche Umwelt. Die Umgangsformen verlieren jeden Bezugsrahmen und es gibt niemanden, der helfen kann, sich zu orientieren.

Jürgen Neuhuber und Lukas Wank wollten dieser Oberflächlichkeit entgegenwirken und haben im Salon die Bücher Andere Leben und I killed Scheherazade vorgestellt. Gemeinsam wurde dann das Thema Identität und Migration aus einer feministischen Perspektive besprochen.

Die Denkanstöße

8983901Joumana Haddad: I killed Scheherazade – Confessions of an angry Arab woman
Dar Al Saqi, Beirut, 2010, 150 Seiten, 13,35 €

 

 

UnbenanntIman Humaidan: Andere Leben
Lenos Verlag, Basel 2013, 188 Seiten, 19,90 €

 

 

Die Diskussion

Recht früh zeigte sich in der Diskussion, dass Identität mehrdimensional ist. Die Herkunftsregion, der Beruf, die Stellung im Familienverband oder auch die religiöse Einstellung dienen als Ausgangspunkt für die Beantwortung der simplen, aber gleichzeitig hochkomplexen Frage: „Ich bin…“. In weiterer Folge entspann sich eine kontroverse Debatte zu Formen kollektiver Identität und Tendenzen zur Homogenisierung von Gesellschaften. Die beiden vorgestellten Bücher eigneten sich dahingehend als hervorragende Impulsgeber. Die Diversität der libanesischen Gesellschaft, die im Fokus der beiden Bücher stand, bot viele Anstöße, die sich rund um unterschiedliche Identitätskonzepte und Versuche zur Homogenisierung entsponnen.

Die Umwälzungen durch die Umbrüche und Aufstände im arabischen Raum und die diversen Krisen im in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie in Nordafrika haben viele Zuschreibungen und Identitätsvorstellungen, vor allem jene von Flüchtlingen, ins Wanken gebracht. Flucht, Vertreibung und Rückkehr bilden hier traumatische Ereignisse im Leben Vieler. Verstärkt wird dabei weitgehend das Nachdenken über sich selbst. „Ich muss mich nicht mit meiner Identität beschäftigen und das ist ein Luxus.“, fasste ein Teilnehmer seinen Standpunkt zusammen. Diesen Luxus können Flüchtlinge meist nicht teilen. Ihre Realität zwingt sie, sich nicht nur mit ihrer an die Aufnahmeländer gebundene Identität auseinanderzusetzen, sondern auch mit jener ihrer Herkunftsländer.
Viele Menschen sind durch Migration oder andere Veränderungen unvorbereitet mit Zuschreibungen von außen konfrontiert. Sie sehen sich plötzlich dazu gedrängt, sich darüber Gedanken zu machen, wer mensch ist, welche Rolle die Herkunft, das religiöse Bekenntnis oder sexuelle Orientierung für eineN persönlich spielt. Einig waren sich die TeilnehmerInnen auch, dass die Möglichkeit zur Wahl und zur Auslebung der eigenen Identität unterschiedlich möglich ist. Spannend war in dieser Hinsicht die Frage, wie weltweit unterschiedlich mit Homosexualität umgegangen wird.

Lesestoff zum Weiterdenken

Jürgen Neuhuber, 23 Mai 2016
Joumana Haddad: Scheherazade und andere westliche Stereotype
In einer Zeit, in der Stereotypen und Klischees eine Hochkonjunktur erfahren, ist es notwendig und gut, sich mit den bunten Facetten des Lebens, vor allem in der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen zu beschäftigen. Joumana Haddad gibt uns einen Anstoß tiefer über den “Anderen”, über das Fremde, nachzudenken.

Lukas Wank, 04 Mai 2016
Mehrere Leben gleichzeitig leben
Mit dem Roman Other Lives lieferte Iman Humaydan-Younis einen Denkanstoß dazu, was es bedeutet, sein Land während eines Krieges zu verlassen. Im Fokus steht zwar der Libanon, die Erfahrungen und Emotionen der Protagonistin lassen sich aber auf jedes andere Land und Schicksal übertragen. Schließlich treffen wir jeden Tag auf Menschen, die auf der Flucht sind oder waren.

Lauren Bohn, 10 Juni 2016
The Lenny Interview: Four Women Who Fled Syria
Survivors of an untelevised war share their stories of struggle and hope.

Lukas Wank, 16 April 2014
Let’s talk about sex, habibi!
Shereen El Feki schafft es in Sex und die Zitadelle Einblicke in arabische Lebenswelten durch Menschen mit verschiedensten Hintergründen zu geben.

Amartya Sen – „Die Identitätsfalle“ Edward Said – „The Clash of Ignorance“
Beide Bücher versuchen, als Gegenentwurf zu Huntingtons These des „Clash of Civilizations“ die Pluralität von Kulturen und das kreative Potenzial der selbigen hervorzuheben.

Zena El Khalil – „Beirut, I love You“
Die junge libanesische Autorin, Künstlerin und Bloggerin beschreibt ihre Rückkehr in den Libanon nach dem Bürgerkrieg. Eine Zeit die geprägt war vom Aufatmen nach 15 Jahren voller Zerstörung und der Suche nach Sinn und Möglichkeiten mit der wiedergewonnen Freiheit umzugehen.

Salon Shabka

Der Salon will Raum für politische und gesellschaftliche Diskussionen schaffen. Alle sechs bis acht Wochen wollen wir zusammen kommen, um uns abseits des sehr hektischen, raschen öffentlichen Diskurses, in dem oft simplifiziert wird, Argumente nicht gehört werden und sich meist der/die Stärkere durchsetzt, auszutauschen und zu diskutieren.

In diesem Rahmen soll intensiv und kontrovers, differenziert und abwägend, detailliert und kontextualisiert diskutiert werden. Gleichzeitig wollen wir auch der Atmosphäre akademischer Gesprächszirkel entgegenwirken, in der ein offenes Gesprächsklima meist auch nur Phantasie ist. Deshalb sind Kommentare und kritische Anmerkungen sehr willkommen.

Nächster Salon

Den geschaffenen Raum wollen wir jetzt gerne beibehalten. Wenn jemand Interesse hat sich einzubringen, würde uns das sehr freuen. Oder vielleicht kennt ihr ja jemanden, für den/die das interessant sein könnte?

Den nächsten Salon würden wir für ca. Mitte August planen. Da wir den Salon jedenfalls nicht rein auf Literatur beschränken wollen, sind wir für andere Themen aus Politik und Gesellschaft, Film, Musik und Kunst offen. Auch Uni-relevantes könnte im Salon besprochen und diskutiert werden.

Wenn ihr Interesse habt, dann meldet euch einfach unter [email protected] oder [email protected].

 

Share on facebook
Share on twitter
Share on pinterest
Share on telegram
Share on whatsapp
Share on pocket

More from Shabka Journal

Veranstaltungsreihe Demokratie unter Druck

Die aktuellen Herausforderungen zwingen uns aber Begrifflichkeiten und Denkweisen auseinander zu dividieren, um daraufhin die wichtige Frage zu stellen: Was bedroht Demokratie? Was bedeutet liberal und was angemessen? Viele antidemokratische