Plädoyer für mehr Entwicklungspolitik

Wir befinden uns inmitten einer großen Zäsur, die sich darauf auswirkt, wie wir die Welt sehen und unsere Rolle darin verstehen. Die COVID-19 Pandemie ist ein Anstoß eines globalen Transformationsprozesses, in dem sich vieles neu ordnet und zusammensetzt. Dieser Moment bietet aber neuen Ansätzen Raum, um sich in jenen Ländern zu engagieren, die es am meisten benötigten, internationale Verpflichtungen nachdrücklicher zu leben und globalen Herausforderungen zu begegnen.

Entwicklungspolitik (verstanden als Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe) kann in dieser Hinsicht viel anbieten und auf der internationalen Bühne wirksame Instrumente, jahrelange Expertise in lokalen Kontexten, agile und wirksame Strukturen ins Feld führen. Dennoch gelten die derzeitigen Entwicklungen auch für dieses Politikfeld als Lackmustest – einen Test, der mit Leichtigkeit zu bestehen ist, wenn die Stärken in den Vordergrund gestellt werden. Dazu vier Überlegungen:

Entwicklungspolitik hat eine strategische Qualität, die aber nur allzu gern übersehen wird. Indem sie Zukunft gestaltet und nachhaltige Realitäten schafft, ist sie vor allem ein strategisches Investment: Sie löst Probleme, bevor sie überhaupt erst entstehen und hat demnach auch einen langfristigen Return on Investment. Entwicklungszusammenarbeit wirkt aus dem Jetzt ins Morgen. Es ist damit wahrlich Zukunftsarbeit im urtümlichen Sinn .

Entwicklungspolitik ist der Goldstandard außenpolitischen Handelns, denn sie ist in vielen Sektoren zuhause und bietet zu noch mehreren anderen Querschnitte: darunter etwa Gesundheitsmanagement, Wirtschaftsaufbau, Landwirtschaft, Infrastruktur-, Bildungs- und Sozialprojekte, die Wahrung von Menschenrechten, Wasserversorgung, Flüchtlingshilfe, Jugendarbeit oder Krisen- und Konfliktmanagement. Auf diese Weise hinterlegt sie das externe Engagement eines Staates mit fachlichem Wissen und konkreten Werten.

Entwicklungspolitik ist die Visitenkarte der Außenpolitik: Personal von humanitären Organisationen ist unter widrigen und herausfordernden Bedingungen weltweit im Einsatz – etwa in bewaffneten Konflikten, bei Naturkatastrophen, in schwierigen Verhältnissen oder in abgelegenen Gegenden, in denen sie gemeinsam mit Menschen vor Ort – ob Politikerin oder Bauer, Lehrer oder Unternehmerin – an der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen arbeiten. Und an Hilfe und Kooperation erinnern sich Menschen. Entwicklungspolitisches Engagement ist damit das menschliche Gesicht der Außenpolitik.

Entwicklungspolitik ist Mehrwertpolitik. Als solche zieht sie ihre Stärke aus einem umfassenden Verständnis globaler Herausforderungen und inklusiven Ansätzen diese zu bewältigen. Den Grad an Gestaltungsmöglichkeiten, die Entwicklungspolitik damit in die konventionelle Außenpolitik trägt, ermöglicht nicht nur ganz neue Wege und Instrumente, um Menschen überall Lebensperspektiven zu ermöglichen, sondern macht diese zudem auch einfacher und effizienter. Frei nach Aristoteles ist das Außenengagement eines Staates mit einem entwicklungspolitisch kohärenten Ansatz mehr als die Summe seiner einzelnen Teile und involvierten Politikbereiche (wie z.B. Wirtschafts-, Klima-, Außen- oder Sicherheitspolitik).

Außenpolitik ist immer das Ergebnis eines vor und zurück in der Interaktion mit Menschen, sie ist ein lebendiger Prozess, der in der Bewältigung von Herausforderungen wurzelt und entsteht nie nur in den Köpfen kluger FachreferentInnen, die in abgeschotteten Schreibstuben sitzen. Auch die gegenwärtige COVID-19 Pandemie ist eine solche Herausforderung und damit auch ein Anstoß Außenpolitik neu zu denken, in Teilbereichen neu zusammenzusetzen und schließlich auch entsprechend zu leben.

Die entwicklungspolitischen Stärken bieten dafür den Grundstein. Sich diesen Qualitäten jetzt bewusst zu werden und sie strategisch einzusetzen, wird in dem globalen Innovations- und Transformationsprozess, vor dem die Welt steht, einen gravierenden Startvorteil bringen. Entwicklungspolitik ist dabei der frische Wind, der außenpolitischem Engagement jenes Leben einhaucht, dass es wirkungsvoll, und letztendlich glaubwürdig macht.

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