Sollte die EU auch den politischen Arm der Hisbollah auf ihre Terrorliste setzen, welche lokale, regionale oder globale Auswirkungen wären zu erwarten?
Die schiitisch libanesische Hisbollah wird in der Beurteilung der Europäischen Union seit 2013 in einen politischen und einen militärischen Arm geteilt. Diese Trennung ermöglichte es, den militärische Arm auf die EU Terrorismusliste zu setzen und gleichzeitig mit allen Institutionen und politischen Parteien im Libanon zusammenarbeiten zu können. Die USA, Kanada, die Niederlande sowie Großbritannien haben die Hisbollah in ihrer Gesamtheit auf ihre nationalen Terrorlisten gesetzt. In Österreich gibt es zurzeit eine Diskussion über ähnliche Schritte. In dieser Ausgabe von inform and debate stellen sich drei Autoren der Frage, welche lokale, regionale oder globale Auswirkungen zu erwarten wären, sollte die EU die Hisbollah in ihrer Gesamtheit auf die EU-Terrorismusliste setzen.
Stephan Reiner | Nahostexperte am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie
Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben unterschiedliche Zugänge zur libanesischen Hisbollah. Brüssel versuchte daher auch seit langem eine einheitliche Unionslinie zu finden. Letzte Aussagen dazu tätigte 2013 die damalige Außenbeauftragte Catherine Ashton. Ihre Position drückte vor allem die Sorge um die Stabilität des Libanons aus. Ashton machte einen Unterschied zwischen einem militärischen und einem politischen Arm der „Partei Gottes“. Ihre Bedenken waren, dass ein Gesamtverbot der Hisbollah eine negative Dynamik in der libanesischen Innenpolitik mit ebenso regionalpolitischen Außenwirkungen nach sich ziehen könnte, weil der politische Teil der Hisbollah im libanesischen Parlament vertreten war und immer noch ist. Dieser Argumentation folgten nicht alle Mitgliedsstaaten. Von mehreren Anschlägen und Anschlagsversuchen in Europa in den Jahren davor leiteten sowohl das Vereinigte Königreich als auch die Niederlande eine restriktivere Politik ab. In beiden Staaten ist die Hisbollah insgesamt verboten.
2016 entschieden sich auch die USA, Kanada, die Mitgliedsstaaten des Golfkooperationsrates, sowie die überwiegende Mehrheit der Außenminister der Arabischen Liga zu einem totalen Verbot der Hisbollah. Für die Arabische Liga diente es vor allem als Signal an die Islamische Republik Iran, allerdings enthielten sich der libanesische und der irakische Außenminister der Stimme. Innerarabisch wird Hisbollah mit ihrer klaren ideologischen – iranischen Prägung durchaus eine regionalpolitische Bedeutung zugemessen. Tatsächlich ist in den aktuellen sunnitisch – schiitischen Brüchen (beispielsweise im Syrienkonflikt, im Jemenkonflikt und in der Golfregion) Hisbollah eine nicht zu unterschätzende Größe, insbesondere, weil sie als libanesische Parlamentspartei die dortige Innenpolitik maßgeblich mitbestimmen kann. Dies gilt es auch aus europäischer Sicht zu bedenken.
Der Südlibanon ist das Kernland der Hisbollah und hat eine direkte Grenze zu Israel. Mitgliedsstaaten der EU engagieren sich dort seit Jahrzehnten bei der militärischen Friedensmission UNIFIL. Neben der Überwachung des Waffenstillstandes zwischen dem Libanon und Israel hat diese Mission auch die Unterbindung des Waffenschmuggels zum militärischen Teil der Hisbollah zum Ziel.
Ein Verbot der gesamten Partei hätte daher auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage der UNIFIL – Mission im Südlibanon. Ebenso würde sich ein Gesamtverbot der Partei negativ auf das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und der Islamischen Republik Iran auswirken. Der Umgang mit Hisbollah ist letztendlich immer auch ein Signal an Teheran. Daher ist auch das Argument Ashtons weiterhin gültig. Ein instabiler Libanon ist aufgrund der vorherrschenden regionalen politischen und geopolitischen Gemengelage und den damit verbundenen konkreten Auswirkungen aus europäischer Sicht nicht wünschenswert.
Eine politische Entscheidung zum Verbot sollte daher an eine in sich konsistente Nahmittelost-Politik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten gekoppelt sein.
Lukas Wank | Gründer und Co-Direktor von Shabka
Die libanesische Hisbollah besteht, vereinfacht dargestellt, aus einem militärischen und einem politischen Arm. Von einigen Staaten wird ihr militärischer Flügel als Terrororganisation eingestuft. Einige wenige – darunter die USA, Großbritannien und auch Deutschland – stufen die gesamte Organisation inklusive politischem Arm so ein. Die Debatte darüber, welche Teile der 1985 im libanesischen Bürgerkrieg gegründeten Organisation, als Terrororganisation einzustufen sind, ist jedenfalls kontrovers und wird selbst im Libanon unterschiedlichst gesehen. Vor dem Hintergrund der hochkomplexen politischen Gemengelage im Land, der verzweigten Organisarionsstruktur und den Verbindungen der Organisation in die Politik ist das nicht verwunderlich. Diese Undurchsichtigkeit ist mitunter auch ein Grund, warum viele Staaten keine Unterscheidung mehr zwischen politischem und militärischem Arm machen.
Daneben ist aber auch die Außendimension von hoher Relevanz. Nachdem die Organisation in allen Bereichen sicherheitspolitisch eng mit Iran verbunden ist, hängt auch die Debatte über Hisbollah in gewissem Maß an der Dynamik Teherans. Und diese kommt in Wellen: Engagement im Syrienkonflikt an der Seite der Regierungstruppen, Eskalationsspitzen zwischen Iran und USA bzw. Saudi-Arabien aber auch die Rolle, Interessen und Bedrohungslage Israels sind dabei im Mix der Abwägungen und beeinflussen die Debatte. Je mehr einer dieser Faktoren in den roten Bereich wandert, desto relevanter wird demnach die Hisbollah als Einflussfaktor, um die regionale Balance zu halten, was durchaus oft vorkommt. In diesem Sinn wird die Hisbollah vielfach als ein Bargaining Chip in der strategischen Großwetterlage wahrgenommen. Grundsätzlich setzen Staaten die Organisation daher selten aus ideologischen Gründen auf die Terrorliste (auch wenn es oft so dargestellt wird), sondern aus strategischem Kalkül wie etwa einer Vertiefung der Beziehungen mit den USA, als Druckmittel in Atomverhandlungen mit dem Iran oder etwa einer ökonomischem Annäherungen an die Golfstaaten.
Die Entscheidung, die Hisbollah als eine terroristische Organisation einzustufen, ist demnach üblicherweise eine strategische und von einer Haltung geprägt, die außenpolitische Interessen unterstützen. Ist ein Interesse, dass sich in einer klaren strategischen Entscheidung ausdrückt, nicht gegeben, sind es jedoch nicht selten Partikularinteressen (von einer Partei, Interessensvertretungen, gesellschaftlichen Fraktionen, etc.) die im Vordergrund stehen. Ist das der Fall, muss man sich als Staat jedoch zumindest die Frage stellen, welche Grundhaltung und Werte der Entscheidung eine umstrittene, aber immerhin gewählte Partei als Terrororganisation einzustufen, zugrunde legt. In jedem Fall ist das mit Blick auf die Hisbollah relevant – zumal der Libanon am Rande von regionalen Konflikten und des eigenen wirtschaftlichen Zusammenbruchs gerade jetzt offene Gesprächskanäle braucht. Zudem ist das Signal, dass man in die Region sendet, indem man demokratisch gewählten Parteien und Regierungen deren Legitimität abspricht, problematisch.
Was es anstatt dessen bräuche, sind Verhandlungs- und Meditationinitiativen, um regionale Spannungen zu lösen. Mit Ressourcen bewehrte humanitäre und entwicklungspolitische Instrumente und Maßnahmen, um militanten Akteuren vor Ort die Mobilisierungsbasis zu entziehen, wäre eine andere Handlungsoption. Gangbar wäre auch eine außenpolitische Annäherung an die Region, die politische – v.a. demokratisch gewählte – Akteure in die Pflicht nimmt, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Jede einzelne dieser Herangehensweisen währe im Falle der Hisbollah ein möglicher, realistischer und umsetzbarer Course of Action.
Gerade für Österreich, mit diplomatischer Restreputation in Nahost (langjährige Peacekeeping-Erfahrung, Wien als Verhandlungsort des Atomabkommens mit dem.Iran, etc.) und als verantwortungsvoller internationaler Akteur (derzeit als Mitglied im UN-Menschenrechtsrat, Wien als Sitz internationaler Organisationen, mit einer lebhaften und international erfahrenen zivilgesellschaftlichen Szene, etc.) wäre das die strategisch klügste aller Entscheidungen.
Constantin Lager | Projektkoordination Syrian Futures Projekt bei Shabka
Politische Legitimität ist eines der zentralen Hindernisse, um mit Gruppierungen, die als terroristisch gelten, offizielle Gespräche führen zu können. Organisationen, die zum Erreichen ihrer Ziele illegitime Mittel einsetzen, sollen durch das Label Terrorismus delegitimiert werden. Im Spannungsfeld zwischen politischer Legitimität und Delegitimation als Terrororganisation findet die neuerliche Bewertung des politischen Arms der Hisbollah statt.
Die Geschichte der letzten Jahrzehnte bietet uns jedoch zahlreiche Beispiele, in denen es terroristischen Organisationen gelang, politische Legitimität zu erlangen. So galt die palästinensische PLO einst als Terrororganisation genauso wie der Irgun, eine der Vorläuferorganisationen des israelischen Likuds.
Die neuere Konfliktforschung legt nahe, dass die Aufnahme von Gesprächen und die damit einhergehende politische Legitimierung von Terrororganisationen zu einer Reduktion von politischer Gewalt führen kann. Drei Gründe können dafür angeführt werden: A) Politische Legitimität von Terrororganisationen können gewissen Triebkräften – wie etwa dem Gefühl sozialer- und politischer Exklusion – entgegenwirken, indem sie gesellschaftspolitische Teilhabe versprechen. B) Moderate Kräfte innerhalb der Organisation können gegenüber den Hardlinern gestärkt werden. C) Politische Legitimität kann zur Wahl gewaltfreier strategischer Mittel beitragen.
Die Geschichte der IRA und ihrer politischen Partei Sinn Fein steht hierfür exemplarisch. Das Erlangen politischer Legitimität trug zum erfolgreichen Friedensprozess der späten 1980er und frühen 1990er Jahre bei. Auch wenn das Erreichen politischer Legitimität nicht notwendigerweise in Friedensverträge mündet, wie im Fall Nordirlands, ist tendenziell eine Reduktion von physischer Gewalt zu beobachten.
Im Umkehrschluss kann jedoch argumentiert werden, dass die Verweigerung der Gesprächsaufnahme zu einer weiteren Radikalisierung der ohnehin bereits extremistischen Gruppen führen kann. Die Verweigerungshaltung würde das Narrativ der sozial Ausgestoßenen und politisch Ohnmächtigen weiter bedienen und politische Gewalt als einzig brauchbares Mittel erscheinen lassen.
Für die Beantwortung der eingangs gestellten Frage ist dies von großer Bedeutung. Eine defacto Gesprächsverweigerung mit der Hisbollah auf internationaler Ebene könnte somit zu einer Gewaltsteigerung und weiteren Radikalisierung führen. Da die schiitisch islamistische Gruppierung nicht nur eine lokal agierende, sondern eine regionale ist, könnte dies auf die Stabilität des Libanons sowie der Region negative Auswirkungen haben.
Eine Beurteilung der Hisbollah mit den entsprechenden politischen Implikationen sollte daher nicht aufgrund emotionaler Argumentationen sondern aufgrund einer kritisch- realistischen Auseinandersetzung stattfinden. Dies würde auch der Komplexität der Internationalen Beziehungen Rechnung tragen.