Oder: Warum das Ziel vor lauter Zahlenspielen nicht vergessen werden darf
Wir befinden uns in der heißen Phase der Verhandlungen über den sogenannten „Mehrjährigen Finanzrahmen“ (MFR), also das EU-Budget 2021-2027. Es wird wohl diesen Herbst während der deutschen Ratspräsidentschaft fertig verhandelt (unter Kanzlerin Merkel, wie ich wette). Das Budget setzt sich aus je etwa 1,0 Prozent der Wirtschaftsleistung der einzelnen Mitgliedstaaten zusammen. Um die neuen Herausforderungen bewältigen zu können, soll das Budget nun erhöht werden. Die Vorschläge bewegen sich zwischen 1,11 Prozent (EU-Kommission), 1,07 Prozent (Ratspräsident Charles Michel) und 1,3 Prozent (EU-Parlament).
Österreich zählt in der Allianz mit den Niederlanden, Dänemark und Schweden zu den „Sparsamen Vier“, die auf keinen Fall mehr zahlen wollen – unabhängig von den Zielen und Projekten der europäischen Politik, für die sie das Budget eigentlich zusammenstellen.
Die österreichische öffentliche Debatte über die Gestaltung der EU-Politik ist geprägt von einigen Erzählungen. Die Klassiker sind: Erstens: „Wir sind bereits Nettozahler und zahlen schon so viel“. Zweitens: „Wir müssen am System sparen, vor allem im bürokratischen Brüssel“. Und Drittens: „Die EU soll sich den großen Fragen widmen, die kleinen besser den Mitgliedstaaten und Regionen überlassen“. Wie passen diese Aussagen zu den Vorschlägen des Mehrjährigen Finanzrahmen und in welcher Relation stehen die debattierten Zahlen? Werfen wir einen Blick darauf.
1. „Wir sind bereits Nettozahler und zahlen schon so viel!“
Wenn man das EU-Budget schon starrsinnig als Kosten-Nutzen-Rechnung und nicht als Investition betrachtet, muss man dies schon umfassend tun: In den letzten 25 Jahren zahlte Österreich im Schnitt 0,6 Milliarden Euro – also 1,0 Prozent der Wirtschaftsleistung – Mitgliedsbeitrag an die Europäische Union. Zum Vergleich: Die Gewinne österreichischer Unternehmen in Osteuropa lagen 2018 bei 1,2 Prozent der Wirtschaftsleistung. Nun sind das eine Staatsausgaben und das andere private Gewinne, aber banal gesagt: Die Rechnung geht auf! Kein anderes EU-Mitgliedsland hat von der EU-Osterweiterung so profitiert wie Österreich. Bei einer Erhöhung auf 1,1 Prozent zum EU-Budget würde Österreich aufgerundet etwa 7€ mehr pro Jahr und EinwohnerInüberweisen. Ich denke, diese zwei Krügerl Bier können wir uns leisten, wenn wir wollen, dass die EU in den Bereichen Außengrenzschutz, GSVP und Klimawende neue Aufgaben übernimmt. Oder könnte man wo anders sparen?
2. „Sparen am System: Jetzt auch in Brüssel“
Diese Aussage ist verlockend, aber der bekannte Mythos der EU als zu sehr aufgeblasener Bürokratieapparat greift nicht. Denn es fließen nur 6-7 Prozent des EU-Budgets in die eigene Verwaltung, in der Republik Österreich sind mit 12,3 Prozent deutlich mehr. Die EU-Kommission hat ähnlich viel Beamte wie die Städte Wien oder Hamburg. Selbstverständlich gilt es davor zu warnen, diese Verwaltungsapparate 1:1 zu vergleichen. Im Verwaltungsbudget des Bundes ist u.a. Staatsschuldentilgung enthalten, die die EU nicht leisten muss. Allerdings wird ein Sechstel des Verwaltungsaufwandes der EU für Dolmetscher verwendet, was der Bund wiederum nicht muss. Auf jeden Fall bleibt die Frage bestehen, wenn die Verwaltung keine 7 Prozent des Budgets ausmacht, wo genau da der rote Stift angesetzt werden soll?
3. „Die EU soll sich den großen Fragen widmen“
Das wichtigste zum Schluss – die EU muss in „großen“ Fragen „größer“ werden. Darüber herrscht ja Einigkeit, nur wie soll man das finanzieren? Die tägliche Kleingeld-Debatte widmet sich nicht dem Nutzen, nur den Kosten. Vor lauter Zahlenspielen werden scheinbar die Ziele vergessen: Der European Green Deal, der garantieren soll, dass bei der Klimaneutralität bis 2050 niemand zurückgelassen wird; der gemeinsame Schengen-Außengrenzschutz und die Verteidigungskooperation, die Ausrüstung unserer Wirtschaft für die digitale Transformation und die Nachrüstung für den globalen Wettbewerb.
Vergessen wir diese Ziele nicht und reden mehr darüber, welcher Nutzen mit diesem Budget geschaffen werden soll. Daran sollten auch die Staats- und Regierungschefs beim Gipfeltreffen des Europäischen Rats am Donnerstag tun.