Wie die US Strategie in Syrien an ihren Widersprüchlichkeiten zerbricht.
Der Abzug der noch etwa 1.000 verbliebenen US-Truppen aus Syrien kommt nicht so überraschend, wie in den letzten Tagen oft in den Medien kolportiert. So begann der Rückzug aus der Region schon während der Obama Administration und wurde nun durch den jacksonianisten Trump fortgesetzt. Der Zeitpunkt, die Radikalität und die erschreckende Gedankenlosigkeit sind es jedoch, die überraschen. Sie sind Ausdruck einer Strategielosigkeit, die neue Rahmenbedingungen in der Region schaffen und zahlreichen Menschen das Leben kosten wird. Bereits heute sollen durch die “Operation Friedensquelle” im Nordosten Syriens mehrere hundert Menschen umgekommen und 150.000 bis 200.000 Menschen vertrieben worden sein.
Strategielosigkeit und Ignoranz – Eine Kombination mit weitreichenden Folgen
Drei große Ziele verfolgten die USA in den letzten Jahren in Syrien. Erstens wurde ein Regimewechsel in Damaskus angestrebt, der jedoch bereits in den letzten Monaten immer wieder in den Hintergrund rückte. Zweitens, der Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) und drittens, und das ist der eigentliche Kern der US-Nahoststrategie, ist man bestrebt, den iranischen Einfluss in der gesamten Region einzudämmen.
Die folgenschwere Entscheidung, die Trump nach einem Telefonat mit Erdogan traf, nämlich das Verlassen der im Vorfeld von den USA und der Türkei patrouillierten Sicherheitszone im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei und schließlich der (fast) komplette Truppenabzug, wird wohl als ein Worst Practice Beispiel in Lehrbücher über Strategie eingehen. Denn dieser ließ einen sogenannten Means End Gap entstehen. Das bedeutet, dass die Anwendung zur verfügungstehender Mittel, wie etwa der Diplomatie und dem Militär, und die eigentliche Zielsetzung nicht konsistent, ja sogar widersprüchlich sind.
Diese inkonsistente Strategie steht vor dem Hintergrund einer beratungsresistenten Ignoranz von US-Entscheidungsträgern, die es vernachlässigen, sowohl auf die Sicherheitsbedürfnisse ihrer Verbündeten in Syrien, den Syrian Democratic Forces (SDF), als auch ihrem NATO Partner Türkei einzugehen. Denn was Al-Qaida für die USA ist, ist die PKK nahe YPG – die tragenden Kräfte in den SDF – für die Türkei und umgekehrt. Daran hätte auch eine US- türkisch kontrollierte Sicherheitszone langfristig wenig geändert. Die Wiederbelebung des 2015 gestoppten Friedensprozesses zwischen der Türkei und der PKK wäre ein wichtiger Schritt gewesen.
Neue Entwicklungen, alte Probleme
Nach Absprache mit der kurdisch dominierten SDF begann letzte Woche die syrische Armee nach Kobane und Manbij vorzurücken. In den von den SDF verwalteten Gebieten kontrolliert die Regimearmee nun strategisch wichtige Ortschaften und Straßenverbindungen wie etwa die Autobahn M4. Ein wichtiger Schritt für Assad, der eine autonome Kurdenregion ohnehin nicht geduldet hätte und nun auf einem guten Weg ist, das Land zu konsolidieren und seine Macht zu festigen.
Speziell jedoch darf sich der territorial zerschlagene und militärisch geschwächte Islamische Staat (IS) dieser Tage besonders freuen. In dem von den SDF kontrollierten Gebieten befinden sich etwa 11.000 Gefangene IS-KämpferInnen, etwa 15% von ihnen sind in provisorischen Gefängnissen untergebracht, welche im Zielgebiet der Türkei liegen. Derzeit dürften, nach unterschiedlichen Berichten zu urteilen, mehreren DschihadistInnen die Flucht gelungen sein, darunter auch einigen europäischen IS AnhängerInnen. Bereits wird von offenen Kämpfen zwischen dem IS und den SDF in den Lagern berichtet. Der IS bekommt nun die Chance, sich neu zu gruppieren und das Chaos und Sicherheitsvakuum in der Region für sich zu nutzen. Auch die Gefahr, dass europäische DschihadistInnen unkontrolliert nach Europa gelangen, ist gestiegen. Die Chance, diese Menschen geordnet zurückzubringen und vor nationale Gerichte zu stellen, haben die europäischen Staaten nun endgültig verstreichen lassen.
Die Türkei ist gekommen, um zu bleiben
Auch wenn der Ausgang der “Operation Friedensquelle” noch unklar scheint, zeichnen sich bereits heute einige Dynamiken ab. Die türkische Position ist die Einrichtung einer etwa 460 km breiten und 32 km tiefen Sicherheitszone im Nordosten Syriens. Auch die momentan unterbrochenen Kampfhandlungen können dies nicht ändern. Sollte Erdogan wirklich diese Sicherheitszone einrichten können, steht der Region wohl ein ähnliches Schicksal bevor wie jenes in Afrin: Die Verwaltung der Region durch die Türkei und die damit verbundene de facto Eingliederung in die Verwaltungsstrukturen türkischer Nachbarprovinzen wie etwa Hatay im Falle Afrins. Flucht und Vertreibungen von KurdInnen und ein künstlich herbeigeführter demografischer Wandel, bedingt durch die Ansiedlung arabisch- sunnitischer und turkmenischer Flüchtlinge in den kurdischen Regionen. Dabei stört es Erdogan auch nicht, dass die meisten syrischen Flüchtlinge in der Türkei aus Gebieten westlich des Euphrats stammen.
Assad hingegen wird wohl kaum eine ständige türkische Präsenz in Syrien dulden können, speziell wenn diese über die durch das Adana Abkommen verbrieften 15 km hinausgeht. Immer wieder tauchen erste Berichte über Scharmützel zwischen der syrischen Armee und den von der Türkei unterstützten Milizen auf. Wie Russland, der wichtigste Verbündete Assads, der auch die Türkei für sein Astana Format braucht, reagieren wird, ist die große Frage, die dieser Tage im Raum steht.