Im neunten Jahr des syrischen Krieges scheint mit einer stark geschwächten Opposition auch Saudi-Arabien an Einfluss verloren zu haben. In wieweit kann die Golfmonarchie auch weiterhin aktiv und gestaltend auf Syrien einwirken? Fünf ExpertInnen – fünf Perspektiven.
Gudrun Harrer | Nahostexpertin, Redakteurin bei Der Standard und Lektorin am Institut für Orientalistik und der Diplomatischen Akademie
Für Saudi-Arabien markiert Syrien den größtmöglichen strategischen Misserfolg – allerdings einen, für den Kronprinz Mohammed bin Salman, anders als im Jemen, noch nicht verantwortlich zeichnet. Immerhin ist es jedoch als Erfolg für Riad zu verbuchen, dass durch die iranische Präsenz in Syrien die Debatte über die saudische Rolle bei der „Jihadisierung“ des Aufstands in den Hintergrund getreten ist.
Trotz verbrannter Finger wird sich Saudi-Arabien jedoch mit Sicherheit in Syrien engagieren, wobei „Syrien“ in diesem Fall nicht unbedingt mit „Damaskus“ gleichzusetzen ist. Die saudische Unterstützung der Opposition rund um den sunnitischen Stammesführer Ahmad Jarba aus Qamishli existiert schon länger. Selbstverständlich wird Saudi-Arabien in diesem Gebiet, im Nordosten, beim Wiederaufbau mitmischen und dadurch einerseits den arabischen Einfluss innerhalb der „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (QSD) – der von den USA aufgestellten, von Kurden dominierten Einsatztruppe gegen den „Islamischen Staat“ – stärken, aber andererseits auch die gesamten QSD gegen die Türkei.
In welchem Ausmaß und wie schnell sich Riad in Damaskus engagieren wird, hängt vom Fortschritt des soeben erst anlaufenden politischen Prozesses ab. Der saudi-freundliche Teil der Opposition könnte Riad eine Annäherung ermöglichen, etwa mit der Zustimmung zu einem Verfassungsmodell. Davon ist man aber noch weit entfernt. Wenn Saudi-Arabien damit rechnen kann, dass ein Engagement mit Damaskus den iranischen Einfluss erfolgreich kontern könnte, wird es sich zwar widerwillig, aber doch dafür entscheiden.
Interessant in diesem Zusammenhang ist die Rolle des engen Partners Saudi-Arabiens, der Vereinigten Arabischen Emirate, die in Damaskus bereits wieder eine diplomatische Vertretung haben. Korrupte Geschäftskreise, die natürlich auch in die Familie von Bashar al-Assad hereinreichen, haben in Dubai viel Geld geparkt. Nun beginnt das Regime aber gegen diese Mafias vorzugehen, weil es fürchtet, dass die Emirate durch diese politischen Einfluss in Syrien gewinnen könnten, zum Beispiel, indem sie bei Wahlen „ihre“ Leute finanzieren. Auch dieses Modell dürfte Saudi-Arabien interessieren.
Rüdiger Lohlker | Professor am Institut für Orientalistik der Universität Wien
Jegliche Betrachtung der zukünftigen Rolle Saudi-Arabien in Syriens hat von der Geschichte der Rolle Saudi-Arabiens auszugehen. Gehen wir davon aus, dass einer der prominenteste dschihadistischen Prediger in Syrien, al-Muhaysini, saudischer Herkunft ist und eine wahhabitische Ausbildung durchlaufen hat, dass einer der für eine gewisse Zeit führenden Gelehrten des IS, Turki b. ‘Ali, eine Ausbildung bei saudischen Gelehrten erhalten hat und ein in einem Dialekt aus der saudischen Region des Asir sprechender Kämpfer des IS prominent in einem Video über die Zerstörung von Museen im Nordirak auftrat, können wir davon sprechen, dass Saudi-Arabien nicht nur finanziell eine Quelle des Dschihadismus in Syrien ist.
Addieren wir, dass Syrien schon seit einiger Zeit ein Nebenkriegsschauplatz der geopolitischen Auseinandersetzung Saudi-Arabiens mit dem Iran ist, ein Konflikt, der auch anderen Ortes festzustellen ist, ist festzustellen, dass dieser Konflikt aufgrund seiner tief verwurzelten Natur in absehbarer Zeit fortdauern wird, was deutlich an den gehackten Saudi Cables ablesbar ist, die seit Jahren eine globale Fokussierung auf den Konflikt mit dem Iran erkennen lassen. Die geopolitische Auseinandersetzung wird durch eine Codierung in einen sunnitisch-schiitischen Konflikt verfestigt, in dem Saudi-Arabien sich als Fürsprecher einer sunnitischen Position darstellt.
Saudi-Arabien ist nicht bereit, eine konstruktive Lösung für die Probleme Syriens zu finden – falls eine Zerstörung der Reste der syrischen Gesellschaft nicht als Problemlösung verstanden wird. Angesichts der unterstützten dschihadistischen Gruppierungen ist das gesellschaftliche Projekt eine Islamisierung entlang saudischer Vorstellungen.
Neben der gesellschaftlichen Dimension ist angesichts der vielfachen saudischen Krise auch keine ernsthafte ökonomische Unterstützung eines Rebuilding-Projektes in Syrien zu erwarten.
Margareta Wetchy | Mitarbeiterin bei Shabka und dem Syrian Futures Projekt
Das Handeln Saudi-Arabiens ist zu großen Teilen von der Sorge des innen- wie außenpolitischen Macht- und Kontrollverlusts gesteuert. Innenpolitisch versucht der Staat, StaatsbürgerInnen, denen die Zugeständnisse der Regierung nicht mehr ausreichen und die die repressiven Strukturen des Regimes sichtbar zu machen versuchen, verstummen zu lassen. Außenpolitisch verstand sich Saudi-Arabien in der Region in den letzten Jahrzehnten als zentraler Gestalter der Politik und als Hüter des (sunnitischen) Islam. Beide Rollen schienen dem autokratisch regierten Staat durch die Veränderungen im Rahmen des Arabischen Frühlings in Syrien und durch die Einflussnahme des Iran streitig gemacht zu werden. So ist es bestimmender Teil der saudischen Politik-Doktrin, den in Syrien (und auch im Irak) größer werdenden iranischen Einfluss in der politischen wie auch religiösen Sphäre zurückzudrängen – Grund genug, den eigenen Fuß in der Tür Syriens zu lassen und auf ein Ende der Regierung Assads hinzuarbeiten. Die Unterstützung salafistischer Gruppen im Land wird so einerseits essentieller Bestandteil der Syrien-Politik Saudi-Arabiens bleiben.
Um die Beziehungen zu den USA und anderen westlichen Nationen nicht zu gefährden, sieht sich Saudi-Arabien andererseits gezwungen, die Entschlossenheit im Kampf gegen den Terror – in Syrien für die ganze Welt sichtbar geworden – glaubhaft zu machen. Die ideologische Abgrenzung zu den in Syrien aktiven, islamistisch-salafistischen Gruppen fällt dabei jedoch sichtlich schwer und schränkt die Erfolge einer Anti-Terrorallianz ein.
Im Sommer 2019 kam es nach Aussage des Instituts for the Study of War zu Treffen zwischen dem saudischen Minister für Außenpolitik im Arabischen Golf1, US-amerikanischen Armeemitgliedern und lokalen Politikern in der östlichen Region Deir ez-Zor, um über zukünftige Unterstützungsmöglichkeiten zu diskutieren, deren Ausmaß und Wirkung jedoch nicht festgelegt scheinen.
Dass Saudi-Arabien in naher Zukunft versuchen wird, seine Position in Syrien auszubauen, scheint nach derzeitigem Stand unbestritten. Macht und Stärke zu demonstrieren wird auch weiterhin essentielles Ziel Saudi-Arabiens bleiben. Die Frage, in welcher Form Saudi-Arabien weiterhin eingreifen bzw. Gruppierungen unterstützen wird, ist dabei weniger klar vorherzusagen. Die maßgeblichen Faktoren Iran – USA – sunnitischer Islam und der deutlich mehr Aufmerksamkeit fordernde Krieg im Jemen werden dabei situationsabhängig unterschiedlich stark ins Gewicht fallen.
1Thamer al-Subhan, Minister for Arab Gulf Affairs
Mohamed Bassam Kabbani | Lektor am Institut für Orientalistik der Universität Wien
Um dieser Frage nachgehen zu können, empfiehlt es sich, erst über die Interessen bzw. Bewegungsrahmen Saudi-Arabiens zu reflektieren. Syrien stellt für Saudi-Arabien ein Land dar, das zurzeit und seit einigen Jahrzehnten weitgehend unter der Kontrolle des Erzfeinds Saudi-Arabiens steht: dem Iran. Syrien ist der wichtigste Verbündete Irans auf der sogenannten „Schia-Achse“, da es der einzige Staat dieser Achse ist, während es sich bei den anderen um nur „Parteien“, Milizen oder Anhänger handelt.
Ob Saudi-Arabien in naher Zukunft eine aktive und gestaltende Rolle in Syrien einnehmen wird, erübrigt sich fast zur Gänze, da Saudi-Arabien, ob direkt oder durch seine Unterstützung bestimmter Milizen, von Anfang an involviert war und immer noch ist. Man kann in diesem Zusammenhang über die Art und das Ausmaß dieser Involviertheit diskutieren und ob da Änderungen erfolgen könnten, und wenn ja, in welcher Richtung.
Nicht zu ignorieren in diesem Zusammenhang sind zwei sehr bedeutende Grundsätze. Auf der einen Seite ist Demokratisierung für die Königsfamilie kein Thema, ja sogar unerwünscht, da diese an ihrem Status im eigenen Land rütteln könnte. Auf der anderen Seite sind viele der in Syrien involvierten Milizen bzw. militärische Splittergruppen Anhänger einer abgespeckten oder extremistischeren Form der Staatsideologie Saudi-Arabiens.
Ob Saudi-Arabien über unabhängige Bewegungsrahmen bzw. freie Gestaltungsmöglichkeiten eigener Außenpolitik verfügt, kann auf keinen Fall beantwortet werden, ohne den Status Saudi-Arabiens als Hauptlieferant für Energie und als Verbündeter der USA in der Region in Betracht zu ziehen. Die Verfolgung der Politik und der Positionierungen Saudi-Arabiens der syrischen Krise gegenüber zeigt in aller Deutlichkeit Parallelitäten zu den USA. Am Anfang der Krise waren die Stimmen sehr laut und auffordernd, dass Assad keine Legitimität mehr hätte und den Weg für eine Demokratisierung frei zu machen hätte. Mit der Intervention Russlands sind diese Stimmen allmählich verschwindend bis bejahend einer Lösung, die Assad als Teil der Lösung akzeptiert.
Etwas ist hier auch anzumerken; die militärische Intervention Saudi-Arabiens in Jemen schwächte bzw. lenkte massiv davon ab, eine aktivere Politik in Syrien zu betreiben.
Stephan Reiner | Nahostexperte am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie
Saudi-Arabiens Einflussnahme in Syrien reicht bis in die 1980-er Jahre zurück. Zu diesem Zeitpunkt entwickelte sich in der syrischen Gesellschaft eine Strömung der Entsäkularisierung, analog zu weiteren Ländern des Nahen Ostens.
Seit 2011, dem Beginn des Aufstandes in Syrien, ist ein Engagement Saudi-Arabiens evident. Oppositionelle bewaffnete, salafistische Gruppierungen werden finanziell, sowie mit Rüstungsgütern und Logistik unterstützt. Eine zukünftige aktive und gestaltende Rolle Riads ist in Syrien aus aktueller Sicht erwartbar. Eingeschränkt ist dabei zu bemerken, dass „aktiv“ und „gestaltend“ positiv konnotierte Begriffe darstellen. Im Umgang mit möglichen positiven Aspekten saudi-arabischer Außenpolitik bleibt aus westlicher Perzeption jedoch auch zukünftig ein gewisses Maß an Skepsis.
Perspektivisch ergibt sich eine aktive Rolle Riads aus mehreren Faktoren:
- Ein Regimewechsel hat für Riad weiterhin oberste Priorität. Dabei wird eine engere Abstimmung sowohl mit den USA als auch mit der Türkei angestrebt. Letztere ist zwar ganz klar dem Lager der Moslembruderschaft zuzurechnen, im Umgang mit Syrien setzt man auf den Pragmatismus einer Zweckgemeinschaft.
- Syrien ist aus Sicht Saudi-Arabiens ein Stellvertreterschauplatz für die inneren Verwerfungen des Golfkooperationsrates (GCC). Die eigenständige Außenpolitik Katars, sowie dessen diametralen Auffassungsunterschiede in der Regionalpolitik werden durch das Königshaus nicht akzeptiert.
- Saudi-Arabien hat im operativen Umsetzen seiner strategischen Zielsetzungen seit 2011 aus westlicher Sicht versagt. Aus Sicht Riads war es jedoch ein Versagen der US-Politik. Die Abstimmung mit der Administration Trump ist hinter den Kulissen intensiver und beinhaltet auch Initiativen über den GCC-USA Rahmen hinaus.
- Syrien ist aus Sicht Riads die rote Linie im Umgang mit der Islamischen Republik Iran. Die Vision eines sunnitischen Herrschaftsraumes kann keine alawitische Republik, unterstützt durch den zwölferschiitischen Iran, akzeptieren.
Letztendlich stellt Syrien für Saudi-Arabien auch zukünftig eine ideologische Grundsatzfrage dar. Im „Kernland der Araber“ ist aus Lesart Riads ein aktives Engagement daher geboten.