Wütende Proteste gegen ein marodes politisches System erschüttern die Erdölstadt Basra.
Die südirakische Erdölmetropole Basra ist im Juni erneut von heftigen Demonstrationen erschüttert worden. Wie bereits im Vorjahr war auch diesmal die unzureichende Stromversorgung bei fast 50 Grad plus Stein des Anstoßes – jedoch bei weitem nicht der einzige Grund für die Proteste. Auf die Straße zieht es die Menschen wegen der unerträglichen Anhäufung sozialer und ökologischer Missstände. Sei es die weitverbreitete Korruption (Irak ist auf Platz 168 auf dem internationalen Korruptionsindex), die hohe Arbeitslosigkeit oder die schlechte Gesundheitsversorgung.
Der desolate Zustand in Basras Spitälern sorgt für besonderen Zündstoff. Am 6. Juni informierte Vizebürgermeisterin Zahra al-Bidschari die Öffentlichkeit über einen dramatischen Anstieg von Krebserkrankungen. Es sollen heuer 800 neue Fälle pro Monat gemeldet worden sein. Dafür verantwortlich ist die akute Verschmutzung Basras u.a. wegen der Erdölproduktion (insbesondere die Ölverbrennung) und der starke Einsatz von Uranmunition durch die USA während des Krieges ab 2003.
Um die Protestbewegung, in der sich auch viele Mitglieder der wiedererstarkten Kommunistischen Partei engagieren, in den Griff zu bekommen, setzt die Regierung in Bagdad auf altbekannte Mittel: Einerseits Repression, d.h. eine härtere Gangart gegenüber Demonstranten und kritischen Journalisten. Andererseits versucht Bagdad die Stromversorgung vorübergehend wieder zu verbessern. Jedoch ist der Irak puncto Energieversorgung stark vom großen iranischen Nachbarn abhängig. Und dieser Umstand zieht einige Probleme nach sich.
Bagdad zwischen den Fronten
Vor 2019 bezog der Irak 35 bis 40 Prozent des Stroms aus dem Iran. Dies hätte nun aufgrund der US-Sanktionen gegen Teheran beenden werden müssen. Ein völliger Boykott konnte freilich nie richtig durchgesetzt werden. Zu groß war die Sorge, dass Energieengpässe abermals in großen Widerstand seitens der Bevölkerung münden und die irakische Regierung destabilisieren könnte. Aus diesem Grund gewährten die USA Anfang des Jahres eine Verlängerung um drei Monate und seit Juni weitere 45 Tage, in denen Irak vom Iran Strom und Erdgas kaufen darf. Für den Irak ist es ein tanz auf Messers Schneide – die politische Nähe zu Teheran erhöht den Druck der USA. Doch beugt sich Bagdad den Interessen Washingtons, so lassen die Iraner wiederum ihre Muskeln spielen.
Dass eine militärische Eskalation des Konflikts zwischen den USA und Iran höchstwahrscheinlich auf irakischem Boden ausgetragen werden könnte, ist den Menschen in Basra wohl bewusst. Sie fordern von der Regierung eine Distanzierung von Teheran. Wie sehr der iranische Einfluss in Basra abgelehnt wird, zeigte sich bereits im Vorjahr als wütende Demonstranten Ölfelder besetzten und damit drohten, Grenzposten zum Iran zu belagern. Das ist natürlich sehr brisant. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in Basra ist schiitisch. Ein beachtlicher Teil des schiitisch-politischen Establishments ist jedoch mit Teheran verbündet. Es kommt allmählich ein Bruch zwischen Bevölkerung und politischer Führung zum Vorschein. Dieser Widerspruch lässt sich nicht mehr durch den politischen Konfessionalismus verschleiern. Die sunnitische Minderheit taugt in der südirakischen Stadt nicht als Feindbild. Hier hat man vom Krieg gegen den IS wenig mitbekommen, denn gekämpft wurde nördlich von Bagdad. Die Protestbewegung Basras stellt das dysfunktionale politische System als Ganzes infrage, und genau das macht sie gefährlich für die Profiteure des religiösen Sektierertums im Irak.