Syrien 2025

Im Projekt Syrian Futures analysiert Shabka mögliche Szenarien für ein Syrien im Jahr 2025. Im Folgenden werden die wichtigsten Akteure und deren strategischen Ziele vorgestellt.

Syrien 2025 1

Der Krieg in Syrien wird oft als ein Bürgerkrieg beschrieben und erweckt somit den Anschein, dass SyrerInnen gegen SyrerInnen kämpfen. Doch dies ist lediglich ein kleiner Ausschnitt einer weit komplexeren Realität. Längst scheint es, als hätte sich die gesamte Welt in Syrien versammelt. Junge Männer und Frauen rund um den Globus folgten den Rufen dschihadistischer Prediger, schlossen sich kurdischen Milizen an, oder folgten den Befehlen jener Nationen, die sie entsandten. So weitverzweigt und heterogen ihre Biografien und Motivationen zu sein scheinen, so sind es auch die Interessen und Befürchtungen der einzelnen (Konflikt-)Akteure.

Ein Projekt wie das der Syrian Futures, in dem der Versuch unternommen wird, mögliche zukünftige Entwicklungen zu erkennen, steht somit zu Beginn vor der Herausforderung, die unzähligen AkteurInnen und ihre handlungsleitenden Interessen und Befürchtungen zu identifizieren. Das Syrian Futures Team identifizierte in einem ersten Schritt 27 AkteurInnen bzw. Akteursgruppen. Nach ihrer Bedeutung für die maßgebliche und aktive Gestaltung der Zukunft Syriens bis 2025 gereiht, kristallisierten sich schließlich vier Hauptakteure heraus.

Iran Cluster

Unter dem Iran Cluster verstehen wir den Iran, die libanesische Hisbollah sowie schiitische Milizen. Diese sind seit spätestens 2013 militärisch in Syrien aktiv. Heute werden 80 Prozent der pro-Assad Milizen vom Iran kontrolliert und finanziert. Neben pro-iranischen Streitkräften, die über eine Kampfstärke von etwa 23.000 Mann verfügen, befinden sich noch weitere 12.000 schiitische Kämpfer aus aller Welt, 8.000 Mitglieder der Hisbollah und 3.000 Angehörige der iranischen Revolutionsgarde in Syrien. Der Iran ist zudem einer der stärksten Finanziers des syrischen Regimes.

Dennoch scheinen das syrische Regime und der Iran auf den ersten Blick sehr widersprüchliche Weggefährten zu sein. So entspringt das syrische Baath-Regime einer panarabistisch säkularen Tradition, während der Iran starke theokratische Züge aufweist. Vielleicht ist es genau diese Widersprüchlichkeit, die viele BeobachterInnen dazu veranlasst, den kleinsten gemeinsamen Nenner in der konfessionellen Tradition der zu den Schiiten zählenden Alawiten und dem schiitischen Iran sehen zu wollen. Die Reduktion der syrisch – iranischen Beziehung oder gar des gesamte Konfliktes auf die Religion würde jedoch ein verzerrtes Bild erzeugen. Schließlich waren im baathistischen Machtapparat der Assads Loyalitätsbeziehungen stets vorrangiger als konfessionelle.

Vielmehr sind es ökonomische-, sicherheits- und machtpolitische Interessen, die das iranische Engagement erklären können. Geoffrey Aronson vom Middle East Institute beschrieb die Beziehung zwischen Syrien und dem Iran treffend als „lieblose Realpolitik“.

Vor dem Hintergrund iranisch – saudischer Rivalitäten, ist das Aufrechterhalten eines vom Iran abhängigen syrischen Regimes eines der wichtigsten Ziele Teherans. Syrien ist dabei ein strategisch wichtiger Brückenkopf für das iranische Regime, der diesem einen Zugang zum Mittelmeer bietet. Das Aufrechterhalten der sogenannten “Achse des Widerstandes”, bestehend aus dem Iran, Syrien, der libanesischen Hisbollah und der palästinensischen Hamas, ist hier jedoch eher nebensächlich. Die dazugehörige kriegerische Anti-Israel Rhetorik lässt zwar in kurzer Zeit ein wütendes Kollektiv entstehen, dient jedoch eher zur Abschreckung und zur inneren Konsolidierung durch das Erzeugen eines äußeren Feindes. Im Lichte der zermürbenden US-Sanktionen gegen den Iran bedeutet der freie Zugang zum Mittelmeer weit mehr als die polemische “Achse des Widerstands”, nämlich eine mögliche Handelsroute nach Europa und somit zu jenem Akteur, der nicht aus dem JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action – Atomdeal) ausgestiegen ist. Nicht zuletzt verspricht sich Teheran lukrative Geschäfte wie etwa im Mobilfunksektor. Bereits jetzt hat Teheran zahlreiche wirtschaftliche, kulturelle und militärische Abkommen mit Damaskus geschlossen und ab 1. Oktober einen Teil des Containerhafens in Latakia gemietet. Dies dürfte jedoch bei einem anderen Verbündeten für Irritationen sorgen. Immerhin war die Mittelmeerküste bis jetzt die Spielwiese Moskaus. Und auch mit einer weiteren Schwierigkeit dürfte Teheran zu kämpfen haben: Von vielen SyrerInnen wird der Iran nicht besonders positiv, ja sogar als eine Gefahr wahrgenommen.

Russland

Russland und Syrien teilen eine lange Geschichte. Bereits 1946 unterstützte die Sowjetunion die Unabhängigkeit Syriens und 1971 wurde in Tartus ein bis heute bedeutender russischer Navy Stützpunkt errichtet. Russische Universitäten und Militärakademien dienten auch als Ausbildungsstätten der politischen und militärischen Führungsriege in Syrien.

Seit Ausbruch des Bürgerkrieges 2011 steht Russland hinter dem syrischen Regime. Die treibende Kraft dahinter dürfte jedoch weniger in einer geschichtlichen Verbindung oder im Schutz der Person Assad zu finden sein. Vielmehr sind es machtpolitische und geostrategische Interessen, die Moskaus Nahostambitionen leiten. Das militärische Engagement Russlands, welches 2015 in Syrien begann, steht auch in Verbindung mit den EU – Russland Beziehungen. Die Annektion der Krim durch Russland isolierte Moskau schrittweise auf der internationalen Bühne. Doch als die größeren Kampfhandlungen in der Ostukraine 2015 eingestellt und somit Ressourcen freigespielt wurden, begann das militärische Engagement im Nahen Osten.

Durch das aktive Eintreten Moskaus in den Syrienkonflikt als Konfliktakteur, aber auch als Vermittler verfeindeter Seiten, erhoffte sich Vladimir Putin ein Comeback auf der Weltbühne. Als Vermittler schaffte es Moskau auch immer wieder, Akteure mit unterschiedlichen Positionen, etwa die Türkei und den Iran, an einen Verhandlungstisch zu bringen und dennoch klar zu einer Seite Position zu beziehen. Moskau sendete damit jedoch auch die Botschaft in die Welt, dass es militärisch und finanziell fähig ist, solch einen Krieg zu führen. Nebenbei diente Syrien als Testgebiet für neue russische Militärtechnik. Bis 2018 sollen 200 neue Arten an Militärtechnik getestet worden sein. Moskau löst die USA schrittweise als regionale Ordnungsmacht ab, die im Nahen Osten an Glaubwürdigkeit verloren haben. Auch wenn Moskau in der Region aufgrund seiner fehlenden normativen Vorgehensweisen von zivilgesellschaftlichen Akteuren wohl weniger geschätzt wird, sind es speziell autokratische Herrscher, die in Putin einen verlässlichen Partner sehen.

Der Syrienfeldzug wird jedoch nicht bloß von Machtinteressen geleitet, sondern auch von ökonomischen. Lukrative Geschäfte und Konzessionen beim Abbau von Ressourcen, wie etwa Phosphat, locken Moskau. Damit steht Russland jedoch in Konkurrenz um politischen und wirtschaftlichen Einfluss mit dem Iran, welcher sich mittelfristig zu einer Gefahr für Moskau entwickeln könnte. Die größte Befürchtung des Kremls dürfte jedoch sein, den Krieg nicht beenden und das Land nicht konsolidieren zu können. Denn dies würde Moskau finanziell schwer belasten und der Positionierung als regionale Ordnungsmacht entgegenlaufen.

Türkei

Die Türkei pflegte zu Syrien traditionell eher gute Beziehungen. Dies änderte sich jedoch mit dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs 2011. Schon bald kam es zu kleineren, grenzüberschreitenden militärischen Auseinandersetzungen. Erdogan, der 2011 das Amt des Premierministers bekleidete, brach bereits in diesem Jahr die offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Damaskus ab. Sowohl die oppositionelle SNC (Syrian National Coalition) als auch die FSA (Free Syrian Army) fanden im syrisch- türkischen Grenzgebiet um Gaziantep einen geeigneten Rückzugsraum und werden seit Jahren von der Türkei unterstützt.

Mit der Operation Euphrat Shield, die sich auf den Norden Aleppos konzentrierte, trat die Türkei 2016 militärisch in den Konflikt ein. Ziel war es einerseits gegen den Islamischen Staat vorzugehen, andererseits aber auch den Einfluss der kurdischen YPG zu begrenzen. Mit der Operation Olive Branch besetzte die Türkei 2018 schließlich die Region Afrin, eine vormals kurdisch dominierte Region im Gouvernorat Aleppo.

Attestierten KommentatorInnen der Türkei vor einigen Jahren noch regionale Hegemoniebestrebungen, änderte sich dies spätestens nach den Gebietsgewinnen des syrischen Regimes und der stetig sinkenden politischen Bedeutung der SNC. Heute ist die Syrienstrategie in erster Linie an die Kurdenfrage geknüpft. Das türkische Sicherheitsverständnis nimmt eine autonome Kurdenregion im Norden Syriens als wohl größte Bedrohung war. Dementsprechend ist es der Türkei ein großes Anliegen, eine 30km breite Sicherheitszone im türkisch – syrischen Grenzgebiet zu errichten und zu kontrollieren. Auch wurden immer wieder Berichte laut, die Türkei versuche gezielt arabisch sunnitische und turkmenische Flüchtlinge im kurdisch dominierten Grenzgebiet anzusiedeln.

Die Verbündeten der Türkei in dieser Region sind Teile der übriggebliebenen FSA. Diese dürften jedoch eher nur den Namen mit der ursprünglich moderaten FSA, die aus Deserteuren der Assad Armee in Verbindung mit lokalen Milizen gebildet wurde, gemein haben. Neben arabischen und turkmenischen Milizen sind es heute auch Dschihadisten und ehemalige Kämpfer des Islamischen Staates, die sich in ihren Reihen befinden. Der Kontrollverlust über instrumentalisierte Dschihadisten und die Zerschlagung der FSA stellen neben der Etablierung eines autonomen Kurdengebietes die größten Befürchtungen für Ankara dar.

USA

Das Syrienengagement der USA war von Anfang an ein sehr zaghaftes. Ben Rhodes, Stellvertretender Berater für nationale Sicherheit in der Obama Administration, beschrieb später das US Engagement als gezeichnet von einem Hangover des Irakkrieges. Sich zu tief in den syrischen Krieg verstricken oder große Truppenkontingente stationieren, wollten die USA um jeden Preis vermeiden. Auch eine neuer Versuch eines Nation Building Ansatzes, wie die Bush Administration es im Irak verfolgte, kam nicht in Frage. Die USA hatten etwa 2.500 Marines im Norden Syriens stationiert und unterstützen die kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF). Nun sollen lediglich einige Hundert Soldaten bleiben. Eines scheint sich jedoch bereits abzuzeichnen: Die USA dürften Russland als Ordnungsmacht in Syrien anerkannt haben. Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass Washington kein Interesse daran hat, die syrische Nachkriegsordnung mitzugestalten. Alles steht und fällt mit dem Iran, den die USA und Israel zu ihrem Hauptfeind erklärten. Die Nahoststrategie der USA ist auch an dieser Linie ausgerichtet. Vor diesem Hintergrund wurden in den letzten Monaten immer wieder Stimmen in Washington laut, die Bashar al-Assad, den einst Geächteten, wieder zu einem tragfähigen Partner machen wollen, sollte Damaskus Teheran fallen lassen. Die größten Befürchtungen der USA sind, dass der Iran in der Region weiter an Einfluss gewinnen kann sowie ein Wiedererstarken des Dschihadismus.

Es mag auf den ersten Blick verwundern, warum eine Liste mit den Hauptakteuren in diesem Konflikt nicht etwa das syrische Regime, das seit Jahren um den Erhalt seiner Macht kämpft, die syrische Opposition oder die leidtragende Bevölkerung beinhaltet. Es sind eben diese vier Akteure, die auf einem realpolitischen Parkett Entscheidungen treffen. Realpolitik hin oder her, nachhaltiger Frieden braucht die Stimmen von vor Ort. Das Syrian Futures Projekt ist sich dieser Problematik bewusst und versucht gezielt, die Stimmen der syrischen Zivilgesellschaft in den Szenarioprozess einfließen zu lassen.



Share on facebook
Share on twitter
Share on pinterest
Share on telegram
Share on whatsapp
Share on pocket

More from Shabka Journal

Veranstaltungsreihe Demokratie unter Druck

Die aktuellen Herausforderungen zwingen uns aber Begrifflichkeiten und Denkweisen auseinander zu dividieren, um daraufhin die wichtige Frage zu stellen: Was bedroht Demokratie? Was bedeutet liberal und was angemessen? Viele antidemokratische