Westbalkan anno 2025

Wie sieht der Westbalkan im Jahr 2025 aus? Werden Montenegro und Serbien bereits der EU beigetreten sein? Oder wird die Republika Srpska ihre Unabhängigkeit erklären, während sich die Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo weiterhin verschlechtern? Anfang September 2018 veröffentlichte das European Union Institute for Security Studies (EUISS) eine Studie möglicher zukünftiger Entwicklungen entlang “best-middle-worst case Szenarien” am Westbalkan.

Megatrends

Jedes der drei Szenarien der „Balkan Futures“-Publikation berücksichtigt die regionalen Auswirkungen von sechs sogenannten „Megatrends“ – Entwicklungen, die sich in den kommenden sieben Jahren höchstwahrscheinlich nicht ändern werden:

  1. Bevölkerungsrückgang
  2. Hohe Arbeitslosigkeit und öffentliche Verschuldung
  3. Leistungsschwache Institutionen
  4. Ethnisch geprägter Nationalismus und umstrittene Staatlichkeit
  5. Überholtes und fehlerhaftes Bildungssystem
  6. Globalisierungstrends (Internetdurchdringung und Urbanisierung)

Game-Changers

Regierungen und öffentliche Akteure sind jedoch nicht einfach dem Schicksal überlassen. Die Autoren ziehen diesbezüglich auch sogenannte „Game-Changers“ in Betracht: Entscheidungen mit weitreichenden Folgen, die an kritischen Stellen getroffen werden. Diese „Game-Changers“ dienen also nicht lediglich als Beschreibungen, sondern als Plan, der die verschiedenen Möglichkeiten aufzeigt:

  1. EU-Beitritt
    • Werden die Westbalkanstaaten und ihre politischen Eliten sich weiterhin der europäischen Integration verpflichten?
    • Wird die EU sich weiterhin der Erweiterung am Westbalkan widmen?
    • Wie wird sich die EU-Konditionalität weiterentwickeln?
  1. Externe Störfaktoren
    • Werden die Westbalkanstaaten imstande sein potenziell destabilisierende Einflüsse von Seiten Russlands, Chinas, der Türkei und der Golfstaaten zu mildern?
  1. Regionale Zusammenarbeit und bilaterale Streitigkeiten
    • Werden die Westbalkanstaaten regionale und bilaterale Probleme lösen?
    • Wird der Belgrad-Pristina Dialog zur Normalisierung führen und wie wird dieser Bosnien und Herzegowina beeinflussen?
    • Werden die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien und Griechenland eine Einigung erzielen im Namensstreit?
    • Wie werden der Berlin Prozess, die Gründung der Transportunion und andere regionale Initiativen Infrastrukturinvestitionen erhöhen und regionale Kooperation und Konnektivität fördern?
  1. Regionale und nationale Sicherheit
    • Wird die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien der NATO beitreten und was würde das für die Region bedeuten?
    • Welche Gestalt werden zukünftige NATO-Engagements in Kosovo annehmen?
    • Wird die EUFOR Mission in Bosnien und Herzegowina fortbestehen?
    • Werden die Westbalkanstaaten imstande sein Radikalisierung unter Kontrolle zu halten?
    • Wird es einen Rückgang in der organisierten Kriminalität geben?
  1. Good Governance und Rechtsstaatlichkeit
    • Werden die Entscheidungsträger des Westbalkans das EU acquis implementieren und ihre Institutionen stärken?
    • Wie werden Westbalkanstaaten Korruption bekämpfen und wird dies Auswirkungen haben?
  1. Wirtschaftliche Transformation
    • Wird es den Westbalkanstaaten gelingen mehr ausländische Investitionen anzuziehen?
    • Werden sie die Digitalisierung nutzen, um die wirtschaftliche Entwicklung zu beschleunigen und wird die Region die Chance der Vernetzung und Zusammenarbeit durch die Entwicklung von physischen und digitalen Infrastrukturen ergreifen?

Szenario 1 – „Die Stunde Europas“

Eine positive und optimistische Vision: Ausgangspunkt ist die endgültige Lösung des Namensstreits zwischen ‚Nordmazedonien‘ und Griechenland und der darauffolgende „Schneeballeffekt“ positiver Änderungen in der gesamten Region. Serbien und Kosovo haben es geschafft ihre Beziehungen zu normalisieren und sind dadurch im Beitrittsprozess weitergekommen. Robustes Wirtschaftswachstum führte zur einer Reduzierung der Arbeitslosigkeit und zunehmender Nachfrage nach inländischen Arbeitskräften. 2025 treten Montenegro und Serbien der EU bei, während die restlichen Beitrittskandidaten unumkehrbare Reformfortschritte machen. Die Region ist ein glaubwürdiger EU-Partner geworden, indem sie nachhaltige Reformen einleiten und Ergebnisse in den folgenden Kernbereichen erzielen:
i) Rechtsstaatlichkeitsreformen, die Bekämpfung organisierter Kriminalität und Korruptionsbekämpfung
ii) Lösung bilateraler Grenzstreitigkeiten
iii) Förderung der Digitalisierung, Innovation und Konnektivität und damit des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigung iv) Stärkung der Widerstandfähigkeit gegenüber negativer externer Einflussnahme.

Szenario 2 – „Der Balkan in der Schwebe“

Zwar sind die Westbalkanstaaten noch im EU-Integrationsprozess, allerdings gibt es nur langsame Fortschritte bei den Strukturreformen aufgrund mangelnden politischen Willens. Zwar wurde der normative Rahmen in mehreren relevanten Bereichen der EU Verhandlungskapitel verbessert, jedoch werden Verpflichtungen allzu oft nicht in konkrete Maßnahmen umgesetzt. Die regionalen politischen Eliten, von denen viele seit über einem Jahrzehnt an der Macht sind, präsentieren sich als reformorientierte EU-Befürworter, die gleichzeitig populistische Kampfrhetorik verwenden und gelegentlich sogar Krisen inszenieren, um die Bevölkerung vom mangelnden konkreten Reformfortschritten abzulenken.

Korruption ist weiterhin weit verbreitet, während politische Macht in einzelnen Politikern verankert ist, anstatt in Institutionen. Manche bilaterale Streitigkeiten wurden erfolgreich gelöst, jedoch dauert der Streit zwischen Serbien und Kosovo an. Ethnozentrisches Denken bleibt nach wie vor das Fundament des politischen Lebens. Dies spiegelt sich nicht nur im Serbien-Kosovo Streit, sondern auch in den sezessionistischen Tendenzen der Republika Srpska wider. Die Regionale Sicherheit ist fragil, da vereinzelte ethno-nationalistische Gewaltausbrüche die Bedrohung bewaffneter Konflikte enthalten und Rechtsstaatlichkeit-Defizite die Funktion des Sicherheitssektors beeinträchtigen. Externe Akteure wie Russland, bleiben potenzielle Instabilitätstreiber. Geringes BIP-Wachstum sowie mangelnde Auslandsinvestitionen und hohe Arbeitslosigkeit bereiten weiterhin große Probleme und erschweren die wirtschaftliche Transformation.

Szenario 3 – „Gespenster der Vergangenheit“

Der EU-Integrationsprozess befindet sich nicht mehr auf der politischen Agenda während Geopolitik und gewaltsame Konflikte zurückkehren. Der Belgrad-Pristina Dialog führte zur Aufteilung Kosovos, was wiederum die Sezession der Republika Srpska auslöste und einen Anstoß für weitere ethnische sezessionistische Bestrebungen in der Region gab. Die Neuziehung der Grenzen im Westbalkan hat auch dieses Mal nicht ohne Blutvergießen stattgefunden – bewaffnete Zusammenstöße rund um die neuen Grenzen, als auch gewaltsame Zwischenfälle in Gebieten die hauptsächlich von ethnischen Minderheiten bewohnt werden, stehen an der Tagesordnung. In Montenegro und Albanien kollidieren die korrupten Regierungen mit an Menschen- und Drogenhandel beteiligten kriminellen Gruppen, während die neue Serbische rechtsextreme Regierung den Fokus ihrer Außenpolitik ganz auf Russland verlagert. In der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien ist die nationalistische VMRO-DPMNE wieder an der Macht und nähert sich Serbien und Russland an. Gleichzeitig ist Kosovo durchgehenden Unruhen ausgesetzt, ausgelöst durch eine drastische Verschlechterungen des Lebensstandards und Menschenrechtsverstößen. Der russische Einfluss in der Region ist gestiegen – vor allem hinsichtlich der militärischen Präsenz – während terroristische Aktivitäten zunehmen. Seit 2018 ist die Arbeitslosenrate um 10 Prozent gestiegen mit einem BIP-Wachstum von weniger als 1 Prozent.

Resümee

Im optimistischen Szenario hängt alles grundsätzlich von einer Lösung des Namensstreits ab. Zwar haben die Regierungschefs eine historische Vereinbarung unterzeichnet, bis zum Inkrafttreten des Abkommens sind jedoch noch hohe Hürden zu überwinden. Derzeit ist die größte Sorge der Regierung in Skopje, dass das Referendum durch zu niedrige Wahlbeteiligung (<50 Prozent) aus rechtlicher Sicht ungültig ist. Es stellt sich auch die Frage, ob die oppositionelle VMRO-DPMNE die benötigte Verfassungsmehrheit für die Implementierung des Abkommens im Parlament unterstützen wird. Auch das griechische Parlament muss das Abkommen schlussendlich noch ratifizieren.

Derzeit ist das mittlere Szenario das wohl wahrscheinlichste. Reformen finden hauptsächlich nur am Papier statt. Eine Abschwächung der ethnischen Spannungen ist kaum vorstellbar, dienen diese doch als Ablenkungsmittel von den Alltagsproblemen der Bürgerinnen und Bürger. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die gegenwärtige Lage auf lange Sicht nicht nachhaltig ist. Die besorgniserregenden Vorschläge bezüglich eines Gebietsaustausches der Präsidenten Aleksandar Vučić und Hashim Thaçi sind ein warnendes Beispiel. Ein wesentlicher Faktor, der in der Studie am Rande erwähnt wurde, ist das nachhaltige Engagement der EU am Westbalkan. Werden Mitgliedsstaaten wie Frankreich und die Niederlande ihre Bedenken bezüglich der EU-Erweiterung aufgeben? Wird die EU bei diversen autokratischen Tendenzen ein Auge zudrücken? Der Einfluss der EU auf mögliche Entwicklungen am Westbalkan bis zum Jahr 2025 ist daher nicht zu unterschätzen.

Der Sinn hinter den 3 Szenarien ist es zu zeigen, dass a) das Jahr 2025 nicht weit entfernt ist und es einen dringenden Handlungsbedarf aufzeigt sowie b) der Unterschied zwischen Szenario 1 und 3 in erster Linie von den regionalen politischen Entscheidungsträgern abhängt.

Literatur:

Čeperković M. & Gaub F. (Eds.). (2018). Balkan futures – Three scenarios for 2025. Chaillot Papers. European Union Institute for Security Studies.

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