Hybride Bedrohungen sind tot – Lange lebe die Resilienz!

Ist es um die Thematik hybrider Bedrohungen und -Kriegsführung still geworden? Seitdem der Konflikt in der Ukraine aus dem Fokus der Medienlandschaft gewichen ist, wird auch diesem oft als neuartiger Kriegsführung beschrieben Vorgehen gewisser staatlicher und nichtstaatlicher Akteure weniger Beachtung geschenkt. Damit zeigt sich im Grunde nicht nur die Politisierung der Debatte, sondern auch der Tunnelblick der Forschung und Sicherheitspolitik auf Russland als Akteur. Zu oft wird dabei nämlich vernachlässigt, dass hybride Bedrohungen durchaus von anderen Akteuren genauso effektiv angewandt werden.

Der Diskurs als solcher ist mittlerweile weg von den Definitionen, über die verschiedenen Mittel und Anwendungsweisen, hin zu den Verwundbarkeiten und Angriffsflächen der „westlichen“ Staatenwelt gewandert. Das Schlagwort „Hybrid Threats“ musste in der Folge dem der „Resilienz“ weichen. Und wenngleich der Terminus in zahlreichen Strategiepapieren der EU und ihrer Mitgliedsstaaten noch aufzufinden ist, richtet sich der Fokus vielmehr auf die Cyber-Dimension mit all ihren Möglichkeiten des „Hackens“, der Desinformation (sei es Social-Media, Blogs, oder Nachrichtenseiten) und der Mobilisierung von Bevölkerungsgruppen (wiederum: Social-Media). Der Fokus auf diese spezielle Dimension ist nicht zuletzt darin geschuldet, dass anhand ihrer Bandbreite und der damit einhergehen Möglichkeiten das eigentliche Potential hybrider Bedrohungen überhaupt erst nutzbar gemacht werden kann.

Insofern kann man zwar sagen, dass sich die Schlagwörter gewandelt haben, aber die (inter)nationalen Bestrebungen der Staatenwelt, sich selbst mitsamt ihrer Gesellschaft auf die weiterentwickelten Bedrohungen unserer Zeit anzupassen, sind weiterhin im Gange. In dieser Hinsicht waren die letzten beiden Jahre auf EU Ebene von reger Tätigkeit geprägt. Denn erst nach einem längeren – freundlich ausdrückt – „Dornröschenschlaf“, beteiligte sich die EU an der Debatte, da Themen wie Sicherheit und Verteidigung lange Zeit stiefmütterlich behandelt wurden, und erst mit der EU Global Strategy sowie Kommissionspräsident Junckers Rede zur Lage der Union im Jahr 2016, mehr in den Vordergrund rückten.

Mittlerweile gibt es einen Gemeinsamen Rahmen für die Abwehr hybrider Bedrohungen in welchem 22 konkrete Maßnahmen vorgeschlagen und die Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert wurden, eigene Verwundbarkeiten und Angriffsflächen zu identifizieren (S. 4). Die Fortschritte werden im Bericht zur Implementation des Gemeinsamen Rahmens (2017) als „gut“ bezeichnet und in der Tat konnten nicht zuletzt mit der Inbetriebnahme der Hybrid Fusion Cell sowie der Gründung des Hybrid Center of Excellence in Helsinki wichtige Schritte unternommen werden [nur um zwei konkrete Beispiele zu nennen, Anm.].

Trotz dieser Bemühungen der EU, liegt es an ihren Mitgliedsstaaten sich mit den jeweiligen Bedrohungsszenarien und den nationalen Verwundbarkeiten auseinanderzusetzen; denn die Union kann letzten Endes nur eine unterstützende Rolle einnehmen.

Aspekte hybrider Bedrohungen

Angriffsflächen und Verwundbarkeiten sind mannigfaltig und unterscheiden sich je nach Land und auch der Definition hybrider Bedrohungen. Sogar in der Forschung tauchen unterschiedliche Formulierungen und Fokusse auf, da man schlichtweg die Thematik nicht in einen sprichwörtlichen Topf werfen kann.

Ein paar wenige Aspekte sollen hier genannt werden: Geographische Nähe und damit einhergehende Abhängigkeiten, sowie historisch gewachsene Differenzen erhöhen den Grad der Wahrscheinlichkeit, dass Verwundbarkeiten vorhanden sind. Als Beispiel sind die Anrainer- und Nachbarstaaten Russlands zu nennen, die aufgrund ihrer Geschichte ein schwieriges Verhältnis zur Regionalmacht führen, und gleichzeitig im Energiebereich über Abhängigkeiten verfügen (S. 64 u. 66).

Weiters ist die offene Gesellschaft des demokratischen Rechtsstaates aufgrund der neuen Medien wohl eine der kritischsten Angriffsflächen: Pluralität, unterschiedliche Identitäten, Minderheiten, soziale Bruchlinien und damit einhergehende Konfliktpotentiale, lassen sich mittels hybrider Mittel einfach und kosteneffizient instrumentalisieren, um Staaten zu schwächen, oder sogar zu destabilisieren.

Kritische Infrastruktur ist ein weiterer Bereich, der aufgrund der globalen Vernetzung, aber auch der Interdependenzen zu einem bevorzugten Ziel werden kann. Hier bietet ebenfalls die Cyber-Dimension zahlreiche Möglichkeiten, die von der Spionage, über die Desinformation, bis hin zur Sabotage reichen und gravierende Auswirkungen auf den Staat und seine Gesellschaft haben können.

Schwache Regierungen bieten ebenfalls eine leicht auszunützende Angriffsfläche. Sei es aufgrund mangelnder Legitimität bzw. Rückhalt in der Bevölkerung, oder einem Unvermögen die nötige Autorität und Kontrolle über die eigenen Streitkräfte auszuüben. Vor allem der letzte Punkt wurde in seiner Wichtigkeit bei den Ereignissen im Ukraine-Konflikt unterstrichen.

Wenngleich durch den Wohlstand, den relativen Frieden und der Aufbruchstimmung in Europa der 1990er Jahre (mit dem Ende des Kalten Krieges im Hinterkopf) eine gesellschaftliche Wahrnehmung entstanden ist, dass die EU vor Konflikten gefeit ist, bedarf es stabiler Regierungen und einsatzfähiger Streitkräfte, die zusammen eine abschreckende Wirkung, und im Ernstfall die nötige und zeitgerechte Reaktion ermöglichen, um diese Wahrnehmung auch in der Realität zu garantieren.

Das Problem nationaler Verwundbarkeiten ist die Notwendigkeit einer selbstkritischen und ehrlichen Analyse und Debatte. Die Frage dabei ist, wie öffentlich eine solche erfolgen kann und auch darf. Letzten Endes werden im Zuge eines solchen Prozesses potentiellen Gegnern genau jene Angriffsflächen präsentiert, die es zu schützen gilt.

Was dennoch von großer Bedeutung ist und vor allem den gesellschaftlichen Bruchlinien entgegenwirken kann, ist eine Stärkung der offenen Gesellschaft mithilfe der Pressefreiheit, und der Sicherstellung von Medien, die einer polarisierenden und unseriösen Berichterstattung mit harten Fakten entgegentritt. Damit muss eine viel benötigte Balance in Zeiten geschaffen werden, in welchen aufgrund der Schnelllebigkeit des Internets und dem wirtschaftlichen Zwang „Klicks“ zu generieren, bewusst provokante Rhetorik verwendet wird und weitere Angriffsflächen (Stichwort: Soziale Bruchlinien) geschaffen werden.

Somit spielt die Cyber-Dimension hier neben den „klassischen“ Aspekten des „Hackings“ eine bedeutende Rolle. Aus diesem Grund wird ihr vonseiten der EU und ihrer Mitgliedsstaaten nun die dementsprechende Aufmerksamkeit geschenkt. Denn letzten Endes ist sie das Spielfeld der sozialen Medien, der Kanal für Chatprogramme und ein leicht zu instrumentalisierendes Medium, um Schaden in einer Größenordnung anzurichten, derer sich so mancher nicht bewusst ist.

Hybride Bedrohungen, Resilienz, Cyber – all dies mögen populäre Schlagwörter der Sicherheitspolitik sein, die aufgrund ihrer vermeintlichen „Neuartigkeit“ oft kritisch hinterfragt werden. An ihrer Relevanz verlieren sie deshalb jedoch nicht.

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