Auf der Flucht: Von HelferInnen und Flüchtenden

Dass sich täglich mehrere Tausende auf den Weg machen, um den Grauen des Krieges zu entkommen, ist mittlerweile bekannt. Doch wer sind diese Personen, die sich auf die Flucht begeben? Was sind ihre Beweggründe das Land zu verlassen?

Mathilde Schwabeneder und Karim El-Gawhary sind bestrebt in ihrem Buch Antworten auf diese Fragen zu geben. In Form von Portraits schildern sie Problemstellungen, Hoffnungen und die Ungewissheit, mit der die Flüchtenden konfrontiert sind. „Auf der Flucht“ ist eine Sammlung individueller Erfahrungen von Personen, die sich aufgrund unterschiedlicher Faktoren gezwungen sehen, ihr Land zu verlassen.

Karim El-Gawhary bei einer Veranstalung 2014 in Wien. Photo: Thomas König, Shabka
Der ORF-Korrespondent für die arabische Welt, Karim El-Gawhary, bei einer Veranstalung 2014 in Wien. Photo: Thomas König, Shabka

Als ORF-Korrespondent für die arabische Welt berichtet Karim El-Gawhary aus Ländern im Krieg und vom Leben in Flüchtlingslagern, von selbst erbauten Wellblechhütten, Plastikverschlägen, von katastrophalen gesundheitlichen und hygienischen Bedingungen. Die Dokumentationen seiner Reisen der letzten vier Jahre in Länder wie Syrien, Libanon, Irak und Ägypten, zeigen die Verhältnisse der Orte, denen die Menschen entfliehen. Seine Reportagen machen deutlich, dass Flucht für den Großteil keine freie Entscheidung sondern oftmals die einzige Option darstellt. Doch nicht nur akute Umstände, auch langfristige Probleme wie die psychologischen und sozialen Folgen der erschütternden Erlebnisse werden thematisiert.

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Leiterin des ORF-Büros in Rom Mathilde Schwabeneder. Foto: tirol.orf.at

Die derzeitige Leiterin des ORF-Büros in Rom Mathilde Schwabeneder berichtet von der Situation in Italien, von dort also, wo jene Flüchtlinge, die die Überfahrt überleben, ankommen. In ihren Aufzeichnungen finden sich nicht nur Gespräche mit jenen, die den tödlichen Gefahren des Mittelmeers entkommen sind, sondern auch mit Helferinnen und Helfern vor Ort. Ebenso wie für die Flüchtenden gehören die traumatischen Geschichten für viele der Freiwilligen zum Alltag. In Lampedusa erreichen täglich neue Personen die Küste oder müssen aufgrund der schlechten Beschaffenheit der Boote aus dem Wasser geborgen werden. Die Einsätze sind hart und belasten auch erfahrene HelferInnen sehr.

Andererseits entwickelten sich die Flüchtlingsströme in den vergangenen Jahren schnell zu einem bedeutsamen Geschäftszweig. Die Transporte nach Europa zählen zu den lukrativsten Geschäften, insbesondere für das organisierte Verbrechen. Aufgrund der mangelnden Möglichkeit zur legalen Einreise entsteht ein rechtsfreier Raum, vor allem zu Lasten der Schwächsten. „Wer ersäuft, der ersäuft eben, wer ankommt, kommt an, und wer festgenommen wird, der wird halt festgenommen. Die Schlepper gewinnen immer“ wird Abdou aus dem ägyptischen Küstenort Abukir zitiert. Schwabeneder sowie auch El-Gawhary sehen in Bezug auf das Problem nur eine Lösung: die Legalisierung der Einreise.

Obwohl das Buch gemeinsam herausgegeben wurde, haben die beiden jeweils ihren individuellen Zugang beibehalten. Während Schwabeneder sich auf detaillierte Beschreibungen der Situationen vor Ort konzentriert, versucht El-Gawhary immer wieder mehr oder weniger geglückt die Leserschaft aktiv einzubinden: „Was würden Sie als Leser oder Leserin in eine einzige Fluchttasche packen?“ Auch das Reflektieren der eigenen Position als Journalist kommt nicht zu kurz. Ferner spekuliert El-Gawhary darüber, weswegen die Europäer und Europäerinnen so wenig Empathie gegenüber den Flüchtenden zeigen und nennt die fremden Lebensumstände als mögliche Ursache. An dieser Stelle wünschte man sich, dass der aktuelle politische Diskurs zum Thema Flucht und Asyl innerhalb der Europäischen Union etwas genauer behandelt und mit einbezogen wäre.

Die unterschiedlichen Berichte von Schwabeneder und El-Gawhary ergeben ein umfassendes Bild von den Umständen, der Tragik und der Hoffnung der Flüchtenden. Doch einige Fragen bleiben offen: was tut Europa? Wie agieren die internationalen Organisationen?

Fest steht, dass das Buch keine Analyse der aktuellen Lage und der politischen Rahmenbedingungen ist, sondern viel eher eine Illustration der Zustände und persönlichen Erfahrungen der Flüchtenden. Zahlen und Fakten bleiben im Hintergrund, die zugrunde liegende Botschaft ist ein Appell an die Leserschaft, Mitgefühl walten zu lassen. Dies wird zum Abschluss auch exemplarisch am Beispiel der Bevölkerung von Großraming illustriert – in diesem kleinen Ort in Oberösterreich zeigt sich, dass mit Engagement viel erreicht werden kann und ein friedvolles Nebeneinander, manchmal sogar Miteinander, möglich ist. Ob dies allerdings langfristig ohne entsprechendes politisches Handeln wirksam ist, bleibt fraglich.


df5455a4b85b59bd1e6571ef298041e4Karim El-Gawhary, Mathilde Schwabeneder: Auf der Flucht
Kremayer & Scheriau, Wien 2015, 192 Seiten. 22 €

 

 

This review was originally published in April 2016 in INTERNATIONAL – Zeitschrift für internationale Politik, Issue 1-2016.

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