Harder, faster, Bologna-Prozess. Studieren im Europäischen Hochschulraum heißt, sein Humankapital und seinen Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt zu vergrößern. Ganz nach kapitalistischer Logik werden Köpfe mit Wissen befüllt und später als Kapitalgüter gehandelt.
Je schneller der Studienabschluss, je mehr ECTS auf dem studentischen Punktekonto, je mehr vermittelte Assets & Skills Studierende verinnerlichen, desto besser für unsere Leistungsgesellschaft. Diese Logik vertritt die europäische Hochschulpolitik, die vor allem eines zu benötigen scheint: Ökonomisch verwertbare Studierende. Kritisches Denken und persönliche Bewusstseinsbildung sind hingegen belanglos.
Wer braucht schon Störenfriede? – Eine Kritik.
Um die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. erdachte Wilhelm Humboldt einen Bildungsentwurf, der nicht der Überweisung technokratischer Wissensformen das Wort redete. Der preußische Gelehrte forderte „eine gleichmäßige Schulung des Geistes in allen Künsten“. Bildung solle Bewusstsein schaffen, der Muße und letztlich der Menschheit dienlich sein. Der Bildungsforscher Erich Ribolits kritisiert diese Humbolt’sche Idee zurecht und zeigt ihre Leerstellen auf: Sie formuliert zwar einen scheinbar „humanistischen“ Anspruch, gleichwohl verbleibt universitäre Bildung aber in ihrem Elfenbeinturm. Sie sei unpolitisch und von gesellschaftlichen Entwicklungen sowie sozialen Kämpfen entkoppelt. Damit verfestige sie mit ihrer humanistischen Rhetorik aber unpolitischen Praxis letztlich soziale Hierarchien – ein Trend, der die gesamte Idee der „Aufklärung“ zeit ihrer Erfindung stets begleitet.
Dennoch: Im Vergleich zur Argumentationslinie aktueller europäischer Bildungs- und Hochschulpolitik erscheinen die Überlegungen des preußischen Staatsmannes aus dem 19. Jahrhundert progressiver und liberaler. Das sollte zu denken geben.
Heute: Bankiers-Erziehung im Herz tertiärer Bildung
Der brasilianische Pädagoge Paulo Freire bezeichnete die Funktionslogik des westlichen Bildungswesens als „Bankiers-Konzept der Erziehung“, das Lernende in gesichtslose Bankkonten verwandle. Lehrende würden ihre eigenen Inhalte wie Spareinlagen in die Köpfe der Lernenden transferieren. Heute bedeutet Bildung mehr denn je das unhinterfragte Einlagern von Inhalten auf „Bankkonten“ sowie der Zwang zur Aneignung von Assets und Skills. Seit den letzten Jahren hat dieses Bildungsverständnis Hochkonjunktur. Wir erleben die vollständige Transformation der Universität zur Kasernenschule – zugunsten leistungsorientierter, zielgerichteter und arbeitsmarktadäquater Ausbildung. Die Freiheit von Forschung und Lehre hat sich längst dem Dogma ökonomischer Verwertbarkeit unterworfen. Der Fortschrittsgedanke beschränkt sich vielerorts auf Zielsetzungen wie persönlicher Effizienzsteigerung und Leistungsoptimierung.
Bologna: Standortwettbewerb im Hochschulrennen
Roman Langer beschreibt den Bolonga-Prozess in seinem Artikel „Wirtschaftspolitische Wurzeln und Motivationen des Bologna-Prozesses“ treffend: Das Ziel tertiärer Bildung sei die Vermittlung von Wertanlagen, die – gemäß der Bologna-Deklaration – Europa zum „Bildungsstandort Nummer Eins“ machen möchten. Damit meißelten die Bologna-ArchitektInnen die vollständige Ökonomisierung europäischer Hochschulpolitik endgültig in Stein. Die Ergebnisse dieses strukturellen Überbaus sind Desinteresse, Selbstaufgabe und roboterhaftes Verhalten bei Studierenden und DozentInnen.
Mein ehemaliger Soziologieprofessor echauffierte sich bereits vor Jahren darüber, dass es in seinen Vorlesungen keine ZwischenruferInnen gebe. Mein Chef wiederum erzählte mir Anekdoten von seinen Studienjahren rund um 1975, wo es eigene Zwischenrufer-Gruppierungen gab, die sich gegenseitig in rhetorische Ektase mit dem bürgerlichen Professorentum diskutierten. Hitzige Wortgefechte und streitbare Wissenschaft gehören anscheinend ebenso der Vergangenheit an wie epistemologischer Pathos. Ich persönlich weigere mich, mich einer „Früher war alles besser“-Haltung hinzugeben, denn das ist selten der Fall. Angesichts der Entwicklungen in den letzten Jahren bleibt mir jedoch nichts anderes übrig.
Andererseits gibt es vonseiten vieler Studierender und Lehrender kritische Stimmen, die sich nicht dem Dogma der Verwertbarkeit vollends hingeben möchten. Es ist nie zu spät, Sinn und Unsinn universitärer Bildung infrage zu stellen.
Kritik ist der Zündfunke für Neues.