Der derzeitige Konflikt im Jemen und die von Saudi-Arabien geleitete Militäraktion werden von vielen Seiten als konfessioneller Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und Iran bewertet. Stattdessen nutzt Saudi-Arabien den Konflikt zwischen den Huthis und der Zentralregierung in Sana’a jedoch, um ein machtpolitisches Zeichen zu setzen und seinem hegemonialen Anspruch auf der Arabischen Halbinsel Nachdruck zu verleihen.
Am 26. März startete die von Saudi-Arabien geführte Militärallianz Luftangriffe gegen die Huthis, die seit dem 21. September letzten Jahres die jemenitische Hauptstadt Sana’a kontrollieren. Auslöser der Militäraktion war laut saudischer Seite der Hilferuf des jemenitischen Präsidenten Abd-Rabbu Mansur Hadi, der Ende Februar in die südjeminitische Hafenstadt Aden floh, nachdem sein Wohnsitz in Sana‘a von Huthis umzingelt worden war. Mittlerweile befindet sich Hadi im saudischen Exil.
An der Militäraktion beteiligt sind mehrere arabische und muslimische Staaten, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Bahrain, Kuwait, Ägypten, Jordanien, Sudan und Pakistan. Laut dem saudischen Botschafter in den USA, Adel al-Jubeir, gehe es bei der Offensive darum, gemeinsam mit den Verbündeten der Golf-Region die legitime Regierung Hadis zu verteidigen. Die Angriffe würden daher fortgesetzt bis die Huthis entwaffnet sind und Präsident Hadi die Autorität zurückerhalten hat.
Die Operation “Sturm der Entschlossenheit” gilt zwar mittlerweile als beendet, jedoch operiert die saudische Armee weiterhin im Jemen, besonders durch Bombardements von Huthi-Stellungen.
Der militärische Einsatz hat nicht nur eine neue Diskussion über die sicherheitspolitische Situation im Jemen in Gang gesetzt, sondern auch eine über einen vermeintlichen Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und Iran im Jemen. Zahlreiche politische Analysten, Politikwissenschaftler und selbsternannte Nahostexperten gehen von einem Stellvertreterkrieg auf jemenitischem Boden aus. Dabei wird die beliebte „konfessionelle Karte“ ins Spiel gebracht: Bei den Huthis handelt es sich um zaiditische Schiiten, Präsident Hadi gehört dem sunnitischen Islam an – dieser Lesart folgend seien die unterschiedlichen Konfessionen der zentrale Grund für den Konflikt. Diese simplifizierte Einordnung der Sachlage wird insbesondere seit dem Krieg gegen den Irak passepartout-artig auf fast alle Konflikte in der Region übertragen. Fakt ist allerdings, dass diese verkürzte Darstellung der derzeitigen Situation im Jemen kaum der Realität entspricht und kein adäquates Bild des Konfliktes liefern kann. Rund zwei Drittel der 24 Millionen Jemeniten gehören dem sunnitischen Glauben an. Circa ein Drittel wird dem schiitischen Glauben zugeordnet, innerhalb derer die Zaiditen die größte Gruppe bilden. Die Tatsache, dass Huthis dem Zaidismus angehören, wird zum Anlass genommen, um von einem konfessionellen Konflikt zu reden. Allerdings ist die zaiditische Glaubensrichtung im Nordjemen sehr verbreitet und nicht nur Huthis gehören ihr an. Der ehemalige Präsident Ali Abdallah Saleh ist beispielsweise ebenfalls ein Zaidit. Konfessionelle Zugehörigkeiten spielten im Jemen bisher nur eine sehr marginale Rolle. Dies mitunter deswegen, weil der Zaidismus dem sunnitischen Islam relativ nahekommt. Hingegen sind vielmehr Stammeszugehörigkeiten und politische Interessensüberschneidungen von Bedeutung.
Nachwehen der Revolution 2011
Hinzukommt, dass der Konflikt zwischen der Zentralregierung in Sana’a und den Huthis bereits seit 2004 schwelt und nun erneut eskaliert ist. Grund hierfür ist die zunehmende Einflussnahme der Huthis in den nördlichen Gouvernoraten im Zuge der Transformationsprozesse seit 2011. Die Huthis beteiligten sich an der „jemenitischen Revolution“ und konnten seither ihre Anhängerschaft auch außerhalb der Hochburg Sa’ada vergrößern. Die Zentralregierung in Sana’a fühlte sich bedroht und die Einnahme der Hauptstadt Ende September 2014 führte zu einem Ausbruch des Konfliktes. Seither ist besonders die Lage in der Hauptstadt und seit einigen Wochen auch in der südlichen Hafenstadt Aden zunehmend außer Kontrolle geraten. Von einer Übernahme des politischen Machtapparates kann jedoch nicht die Rede sein. Denn hätten die Houthis die politische Kontrolle tatsächlich übernehmen wollen, wären sie dazu bereits Ende letzten Jahres in der Lage gewesen. Außerhalb ihrer Hochburgen im nördlichen Jemen, finden sie allerdings nur wenige Unterstützer. Die Huthis sind sich bewusst, dass sie nicht den ganzen Jemen kontrollieren können. Ihre Forderungen beschränken sich daher auf sicherheitspolitische Lösungen im Kampf gegen AQAP (al-Qaida auf der arabischen Halbinsel), Reformen der politischen Ebene (u.a. Neuwahlen und Einsetzen eines Premierministers) und Einhaltung des im September 2014 ausgehandelten Peace and National Partnership Agreement.
Saudi Arabien: “Wahrer der Stabilität” oder Durchsetzung eigener Interessen?
Das Ausspielen der konfessionellen Karte erweist sich allerdings für politische Gegner der Huthis als effektives Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen. Saudi-Arabien nutzt den Konflikt gezielt, um sich als Wahrer der Stabilität innerhalb der Region zu profilieren. Laut Saudi-Arabien und der USA werden die Huthis finanziell und militärisch von Iran unterstützt. Ziel Teherans sei es, seinen Einfluss auf der arabischen Halbinsel auszuweiten und die sunnitisch geführten Regierungen ins Wanken zu bringen. Handfeste Beweise gibt es dafür keine. Zudem dürfte Iran kaum daran interessiert sein, die Atom-Verhandlungen mit den Großmächten (die sog. P5+1) aufs Spiel zu setzen, die offiziell noch bis Ende Juni andauern sollen. Immerhin könnte hierbei ein Wegfall der internationalen Sanktionen gegen Iran erzielt werden, unter denen die Bevölkerung des Landes seit Jahrzehnten wirtschaftlich leidet.
Für Saudi-Arabiens König Salman, der erst seit wenigen Monaten im Amt ist, bietet der Konflikt jedoch eine Möglichkeit mit seinem außenpolitischen Kurs ein machtpolitisches Signal zu senden und dem Legitimationsanspruch Saudi-Arabiens in der Region Nachdruck verleihen. Intern kann er sich darüber hinaus als machtvolle Führungspersönlichkeit zeigen, die in der Lage ist, kühne Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Saudi-Arabien hielt über Jahrzehnte gute Beziehungen zu der politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes und war sich der Loyalität der jemenitischen Regierung sicher. Seit 2011 befindet sich der Jemen jedoch in einem politischen und gesellschaftlichen Transformationsprozess. Der ehemalige Präsident Ali Abdullah Salih, der für Monate in das saudische Königreich flüchtete, musste schließlich sein Amt niederlegen. Sein Nachfolger wurde sein langjähriger Stellvertreter Abd-Rabbu Mansur Hadi, der als einziger Präsidentschaftskandidat im Jahr 2013 ins Rennen ging. Nun ist auch seine politische Zukunft als Präsident durch die Präsenz der Huthis in Sana’a ins Wanken geraten und Riad fürchtet um seinen Einfluss im Jemen.
Das Risiko der konfessionellen Karte
Den Konflikt im Jemen weiterhin als konfessionellen Stellvertreterkrieg zu beurteilen, kann sich als äußerst fatal erweisen. Nicht nur, weil der Jemen auf diese Weise vermehrt zum Spielball geopolitischer Kräfte geraten kann, sondern weil dadurch konfessionelle Spannungen im Jemen entfacht werden können, die so bisher nicht existierten. Daher erscheint es alternativlos, dass die von dem saudischen Königreich angeführte Militäraktion sofort eingestellt werden muss – und zwar nachhaltig und nicht nur „offiziell“. Statt eines von externen Akteuren geführten militärischen Kampfeinsatzes bedarf es ernstgemeinter diplomatischer Lösungen auf nationaler Ebene, an der alle relevanten politischen Akteure im Jemen beteiligt werden müssten.
Janina Mitwalli studierte Orientalistik, Islamwissenschaft und Gender Studies in Bochum und Sana’a. Zu ihren Schwerpunkten zählen u.a. politische und gesellschaftliche Entwicklungen des Jemen.