Schwache Fundamente und niedrige Werte

Wieso fürchtet sich der Westen so sehr vor dem islamistischen Terrorismus? Die Angst sitzt uns allen im Nacken. Ein Zettel mit der Aufschrift „Bombe“ am Mistkübel eines Zuges, reichte neulich aus um den Salzburger Bahnhof zu räumen und abzusperren. Mehr als alles andere fürchten wir islamistische Terroristen. Aber haben wir wirklich Angst um unser Leben und unsere Sicherheit?

Was ans Tageslicht kommt

Der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo hat den Westen schwer traumatisiert und wie nach jedem schockierenden Ereignis gibt es eine verzweifelte Suche nach Erklärungen. Der Philosoph Slavoj Zizek ortet die Ursache in den schwachen Glaubensfundamenten von religiös motivierten Terroristen.  Sie empfinden jede Karikatur und jeden Witz als Beleidigung, gerade weil ihr Glaube schwach ist. Der Fundamentalismus ist eine Fassade hinter der sich eine äußerst labile, verletzliche Ideologie versteckt. Der Ansatz erklärt jedenfalls mehr als die Spurensuche im Koran, die im Mainstream besonders beliebt ist und unter dem Label „Islamkritik“ banalen Rassismus salonfähig macht. Doch Zizeks Beobachtung erklärt nicht nur die Motivation von gewaltbereiten Fanatikern, sondern auch die Furcht des Westens. Denn während die Karikaturen die schwachen Fundamente von Gläubigen offenbaren, machen terroristische Anschläge die niedrigen Werte des aufgeklärten Westens sichtbar. Das macht Angst.

Die Werte mit den Werten bekämpfen

Wenn Muslime heute nach einem Anschlag versuchen zu erklären, dass die Gewalt nichts mit dem Islam zu tun hat, stoßen sie auf Unverständnis und Spott. Schon lange wird von selbsternannten Islamkritikern der Begriff der „Religion des Friedens“ zynisch verwendet. Während Muslime versuchen der Außenwelt zu versichern, dass ihr Glaube frei von mörderischer Gewalt ist, versucht der Westen das Trauma der Anschläge mit der Verstärkung der eigenen Werte zu überwinden. Deshalb war sich George Bush nach 9/11 sicher, dass die Terroristen die Freiheit des Westens hassten und deswegen Anschläge verübten.
Doch so wie die Muslime, denen es immer schwerer fällt den Westen davon zu überzeugen, dass der Islam eine Religion des Friedens ist, schafft der Westen es nicht, die Außenwelt davon zu überzeugen, dass Freiheit, Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Gleichheit „westliche Werte“ sind. Denn die Reaktionen auf Anschläge zeigen, dass nicht nur menschliche Leben verloren gehen, sondern auch die Werte. Der Westen gibt die eigenen Grundsätze auf, um genau diese Werte zu beschützen. Genau wie radikale Islamisten, die ihre Fundamente aufgeben, um ihre Fundamente zu verteidigen.

Fürchterliche Verlockungen

Michel Houellebecq zeichnet in seinem neuesten Roman „Unterwerfung“ das Szenario eines Frankreichs nach der Übernahme durch eine islamistische Partei. Doch es ist nicht ganz klar, ob es sich um eine Dystopie oder gar eine verzerrte Utopie handelt. In den Interviews zu seinem Roman betont Houellebecq, dass eine Gesellschaft eine Religion braucht um zu überleben. Gerade deshalb fürchten sich die säkularen westlichen Gesellschaften vor islamistischen Terrorismus. Hinter der Furcht versteckt sich ein Verlangen nach Halt, den die post-moderne säkulare Gesellschaft nicht allen bieten kann.
Es ist kein Zufall, dass PEGIDA vor der Unterdrückung von Frauen durch den Islam warnt, aber gleichzeitig im Gender Mainstreaming eine Gefahr für die Gesellschaft vermutet und für traditionelle Geschlechterrollen eintritt. Die imaginierte totalitäre Version des Islams verrät mehr über heimliche Wünsche der westlichen „Islamkritiker“ als über die Realität der Muslime.

Auf der anderen Seite stehen radikale Islamisten, die gegen westliche Dekadenz und Materialismus kämpfen wollen, aber auf Twitter mit Nutellagläsern posieren und sich den künstlerischen Einfluss für ihre Werbevideos aus durchschnittlichen Hollywood-Filmen entnehmen. Die Drohnen des westlichen Imperialismus machen ihnen keine Angst, sondern die eigenen schwachen Fundamente.

Der Westen hingegen fürchtet nicht die gewaltsame Ausbreitung des Islams, sondern die Verlockung der freiwilligen „Unterwerfung“ in einer Gesellschaft, in der die eigenen Werte immer niedriger werden.

Es wird Zeit die Fundamente zu stärken und die Werte zu erhöhen, ohne sie zu verlieren.

Ali Cem Deniz ist freier Journalist. Er arbeitet unter anderem für Radio FM4, Wiener Zeitung und das Stadtmagazin biber.

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