Männlich, muslimisch, migrantisch

„Wo warst du, als es passiert ist?“ war einer der berühmten Slogans nach dem 11. September. Mehr als ein Jahrzehnt später spielen sich ähnliche Szenen ab. Ein blutiger Anschlag im Zentrum einer europäischen Stadt. Die Zahl der Toten ist viel niedriger, doch die unmittelbare Brutalität erschüttert alle.

Als die Attentäter des „7. Jänner“ die Redaktionsräume von Charlie Hebdo stürmten, saß ich bei einem türkischen Frisör. „Etwas Hipster, aber hebt meinen Vollbart gut hervor.“ dachte ich mir, als Süleyman mit meinem Haarschnitt fertig war. Mit dem neuem Selbstbewusstsein spazierte ich ohne Haube durch das eiskalte Wien, um meine Freundin von der Arbeit abzuholen. „Hast du von dem Anschlag gehört?“

Wir kennen das schon

Nein hatte ich nicht, aber ihr erschrockenes und müdes Gesicht verriet mehr als alle Twitter-Feeds und Live-Ticker der Welt. Wir mussten gar nicht auf die Nachrichten warten. Wir sind in der Post 9/11-Welt groß geworden. Schock, Trauer, Wut, Enttäuschung und Angst. Wir kennen das alles schon. Wieso das alles passiert, haben wir uns auch immer gefragt, aber Antworten haben wir nie gefunden. Trotzdem wird man uns fragen, implizit oder explizit. Schließlich sind wir Muslime und da sollte man lieber eine Nummer sicher gehen und sich erkundigen, ob wir eh kaltblütiges Morden genauso schrecklich finden wie Nicht-Muslime.

Vor der Kälte fliehen wir in ein Café und wollen uns mit heißer Schokolade aufwärmen. Wir reden möglichst nicht über den Anschlag; wollen uns ablenken, wohlwissend, dass wir an nichts anderes denken können. Mein Blick wandert immer wieder auf die verspiegelten Wände. Nicht um meine neue Frisur zu bewundern, sondern weil ich mich unwohl fühle. An den Nebentischen sehe ich ganz gewöhnliche Österreicher und Touristen. Manchmal bilde ich mir ein, dass sie mich anblicken. Meine schwarzen Haare, mein Vollbart, mein „südländisches“ Aussehen. Haben die etwa Angst vor mir?

 Unsichtbar und unter Beobachtung

Über Frauen im Islam wird viel geredet. Kopftücher, Unterdrückung und Emanzipation sind beliebte Themen. Die Männer sind einfach die Despoten, die das alles verursachen. Wenn es um anti-muslimischen Rassismus geht, konzentriert man sich zu Recht auf die Frauen, denn sie sind mit ihrer Kleidung sichtbare Zielscheiben und am häufigsten Opfer rassistischer Attacken. Doch was ist mit den muslimischen Männern?

Seit dem 11. September verspüre ich ein Unbehagen, wenn ich an einem Flughafen bin. Nicht weil ich Angst habe vor Anschlägen, sondern weil ich mich vor Verwechslungen und Verhören fürchte. Mit 15 wurde ich am Münchner Flughafen von der Polizei gestoppt und eine halbe Stunde befragt, wieso ich in der Türkei war, was ich dort gemacht habe und wieso ich von München wegfliege und nicht von Österreich. Ich sah bei der Passkontrolle immer die Bilder von gesuchten Terroristen. Junge Schwarzköpfe, die mir nicht ganz unähnlich sahen. In den letzten zehn Jahren wurde ich fünf Mal von der Polizei grundlos auf der Straße gestoppt und nach dem Ausweis gefragt. Zweimal waren es Polizisten in Zivil und beide Male hatte ich einen prächtigen Vollbart. Das perfekte Deutsch und mein österreichischer Pass halfen mir, aber ich fragte mich immer, was passieren würde, wenn ich all das nicht hätte.

Im Gymnasium „spaßte“ meine Geschichtslehrerin immer wieder, ob ich denn nicht ein Schläfer sei, weil ich so unauffällig und untypisch für einen Moslem sei. Die Attentäter des 11. September waren schließlich auch Studenten. Gute, nette Jungs – wie ich eben. Als ich in Wien mit zwei türkischen Freunden in eine WG zog, klingelte am nächsten Tag gleich die besorgte Nachbarin. Was wir da machen, ob wir alle Papiere hätten und gemeldet wären.

 Wehret den Anfängen

Ich bin ein Mann, ein Moslem und ein Migrant in der Post-9/11 Welt. Für viele Menschen im Westen bedeutet das heute, dass ich gefährlich sein könnte. Hohe Gewaltbereitschaft, Chauvinismus, Sexismus, Homophobie, Hass gegen den Westen, Antisemitismus, Islamismus, Sympathie für den Terror. Das alles sind Attribute, die Menschen mit den drei „M“, tagtäglich implizit oder explizit zugeschrieben werden. Gerade in der sogenannten „Mitte“ der Gesellschaft.

Es mag pathetisch klingen, aber ich habe mich daran gewöhnt der Sündenbock moderner, westlicher Gesellschaften zu sein.

Doch wie viele Freunde frage ich mich, wie lange ich hier noch willkommen bin und ob meine Kinder hier eine Zukunft haben. Ich weiß die Frage ist gefährlich, denn aufgeben möchte ich nicht. Das Motto „Wehret den Anfängen“ habe ich verinnerlicht, aber mit jedem Anschlag wird es anstrengender, Widerstand zu leisten. Je brutaler und extremer die Angriffe werden, desto stärker werden ich persönlich und Muslime weltweit mit den Gräueltaten assoziiert. Das ist natürlich das wahre Ziel der Terroristen. Genau deshalb muss der anti-muslimische Rassismus bekämpft werden. Nicht um den Islam unantastbar zu machen, sondern um die sogenannten „westlichen Werte“ zu beschützen. Denn in einer Gesellschaft, in der alle gleich sind und die „Anderen“ nicht mehr leben können, sind diese Werte nichts mehr als hohle Phrasen. Ich hoffe, dass die Post-7. Jänner Welt nicht die Fehler des letzten Jahrzehnts wiederholt.

Ali Cem Deniz ist freier Journalist. Er arbeitet unter anderem für Radio FM4, Wiener Zeitung und das Stadtmagazin biber.

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