Roter Faden statt rotes Tuch: Wo der Feminismus geblieben ist

Das Beispiel der Dokumentations- und Informationsstelle Ariadne an der Österreichischen Nationalbibliothek

Feministische Theorie hat mit der Realität nur mehr wenig gemeinsam. Das Ungeheuer im Labyrinth, von dem sich Frauenforscherinnen wie die Mädchen von nebenan gefangen sehen, heißt nicht Minotaurus. Es handelt sich eher um ein Phänomen, das man geneigt ist, Femi-Missmut zu nennen.

Als „Ariadne“, die Dokumentations- und Informationsstelle für Literatur zur Frauen- und Geschlechterforschung an der Österreichischen Nationalbibliothek, 1992 gegründet wurde, war die Welt noch auf gänzlich andere Art in Unordnung. Damals handelte es sich um ein Labyrinth bibliothekarischer Art: Mühsam mussten Zeitungsauschnitte, Programmheftchen und andere fliegende Blätter zusammengesucht werden, geordnet, schließlich mit neuester Technik digitalisiert. Als „selbstständig“ erscheinende Literatur existierte die Frauenforschung kaum.
Der Bestand der ÖNB wurde im Hinblick auf Frauenfragen nicht nur erfasst, erschlossen und erweitert, sondern auch durch die Entwicklung eines umfangreichen Schlagwortkatalogs für Interessierte verwertbar gemacht.
Nicht umsonst wählten die Gründerinnen Christa Bittermann-Wille und Helga Hofmann-Weinberger (nun im Ruhestand, abgelöst von Lydia Jammernegg) den Ariadnefaden als Symbol ihrer Arbeit: Im Irrgarten aus Philosophie, Sozial- und Literaturgeschichte, zwischen Zeitschriften und Lexika, erstem und zweiten Weltkrieg – und schließlich auch zweitem und dem dritten Geschlecht – wurde der Faden, nicht der Strick, in die Hand genommen.

Im Labyrinth von heute sehen sich Frauen eher mit sich selbst konfrontiert, als mit einer undurchdringbar scheinenden Steinmauer. Der Femi-Missmut ist vor allem durch eine gelangweilte Passivität gekennzeichnet, die Ratlosigkeit darüber, wofür es sich lohnt, aktiv feministisch zu lesen – wenn nicht gar zu leben. Doch was tun, wenn die Worte E. L. James und Eva Hermans lebensnäher erscheinen als Judith Butler und Elaine Scarry? Was tun, wenn Simone de Beauvoir zwar die wilde Mutti von damals erfreute, aber nicht die Tochter aus gutem Hause von heute? Der bissige Ton des Journalismus braucht in diesen Tagen keine Alice Schwarzer mehr, dann doch lieber nervenschonendere Hausfrauen in Serie. Wie kann ein Faden zwischen der inzwischen so ausgefeilten, diversen feministischen Theorie und der dürftigen Praxis gespannt werden?

Christa Bittermann-Wille und Lydia Jammernegg sehen sich als „Informationsvermittlerinnen und Vermittlerinnen einer möglichst großen Diversität an Positionen aus dem Feld der feministischen wie auch Frauen-/Geschlechter-/Queer- usw. –forschung“. Die Palette an Informationen soll breit sein, sich selbst sehen sie davon abgegrenzt. Was sie besonders interessiert, dem gehen Bittermann-Wille und Jammernegg innerhalb der Projekte nach, wie etwa der historischen Frauenbewegung im Rahmen von „Frauen in Bewegung“ (1848-1938). Der Blick nach hinten lohnt meist mehr, als das Reflektieren in den verschwommenen Gefilden der Zukunft. Lesehungrige Augen sind vor allem in der virtuellen Ariadne-Bibliothek gut aufgehoben, in der vom Sofa aus in belletristischen feministischen Werken von Elsa Asenijeff, Marie Eugenie Delle Grazie und ihren Zeitgenossinnen geschmökert werden kann. Die beiden Frauen von Ariadne wissen: Um den Mut zu haben, den Faden in die Hand zu nehmen, sollte man nämlich vor allem wissen, woher er überhaupt kommt.

(Wer darüber hinaus noch überblicken möchte, wie es in der Frauenforschung und Frauenliteratur weitergeht, dem sei vor allem der Ariadne-NewsLetter ans Herz gelegt, der alle zwei Monate die interessantesten Neuerwerbungen der ÖNB im Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung verzeichnet – und erklärt.)

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