Revisionist und Demokrat: Reuven Rivlen wird israelischer Staatspräsident

Der neue israelische Staatspräsident Reuven Rivlin ist ein entschiedener Gegner der Zweistaatenlösung – eine schlechte Wahl ist er trotzdem nicht.

Überschattet durch den aktuellen Krieg in Gaza hat das Likud-Urgestein Reuven Rivlin die Nachfolge von Schimon Peres als israelischer Staatspräsident angetreten. Rivlin war bereits 2007 Peres unterlegen und fast hätte er es wieder nicht geschafft. Er steht nämlich auf der Liste von Premierminister Benjamin Netanyahus persönlichen Feinden.

Die Gründe für den Bruch zwischen Rivlin und Netanyahu sind in Rivlins zweiter Amtszeit als Präsident der Knesset , des israelischen Parlaments, zu suchen. Beispielsweise weigerte er sich der arabischen Knessetabgeordneten Hanin Zoabi, die 2010 an der Gaza Solidaritätsflotte teilgenommen hatte, das Mandat zu entziehen. Rivlin verteidigte recht unbeeindruckt den Status der gewählten Mandatarin und wurde deswegen von rechts stark kritisiert. In einem Klima, in dem eine regelrechte Hexenjagd auf Zoabi stattfand, war Rivlin ein besonnener Advokat der Rechtsstaatlichkeit.

Anders als etwa Außenminister Avigdor Liebermann behandelt Rivlin die arabischen Israelis, und das sind immerhin rund 20 Prozent der Bevölkerung, nicht als Fremdkörper, sondern als Staatsbürger. Seine erste Reise als Parlamentspräsident führte in z.B. unter anderem nach Umm al-Fahm, einer arabischen Stadt, die Außenminister Avigdor Lieberman am liebsten außerhalb der israelischen Staatsgrenzen sehen würde. Den Knessetabgeordneten Ahmed Tibi, zu dem ihm ein freundschaftliches Verhältnis nachgesagt wird, hatte er zu seinem Stellvertreter als Präsident der Knesset ernannt. Auch diese Geste zeugt von einer demokratischen Grundhaltung, ist Tibi doch der derzeit profilierteste arabische Politiker in Israel, aber auch ein lauter und unbequemer Kritiker des jüdischen Staates.

Als 2010 eine Gruppe von Rabbinern ein religiöses Urteil veröffentlichte, in dem aufgefordert wurde keine Wohnungen an Araber zu vermieten, nannte Rivlin das Urteil der Rabbiner „einen weiteren Nagel in den Sarg der israelischen Demokratie“. Das Lager, in dem afrikanische Emigranten in der Negevwüste interniert werden, bezeichnete er wörtlich als ein Konzentrationslager. Diese Einstellung hinderte ihn freilich nicht daran, während seiner Wahl zum Staatspräsidenten mit der Abgeordneten Miri Regev, die sudanesische Flüchtlinge als Krebsgeschwür bezeichnet hatte, für ein „Selfie“ zu posieren – der Likud verbindet eben.

Auch in jüngster Vergangenheit ist Rivlin positiv in Erscheinung getreten. Nach dem Mord an dem palästinensischen Jugendlichen Muhammed Abu Khdeir durch jüdische Rechtsextremisten und anderen anti-arabischen Übergriffen verlangte er von der Bevölkerung sich dem Rassismus aktiv entgegenzusetzen. Die Liste von Rivlins Verdiensten in den letzten Jahren ließe sich noch fortsetzen, was zählt ist, dass er Rückgrat gezeigt hat, schließlich hat ihn sein Eintreten gegen die Regierung, die Wiederwahl als Knessetpräsident und beinahe die Wahl zum Staatspräsidenten gekostet.

Israels neues Staatsoberhaupt ist keine liberale Lichtgestalt (mit dem Reformjudentum hat er überhaupt große Probleme), er ist viel mehr der lebende Beweis dafür, dass sich die politische Ausrichtung der Knesset in den letzten Jahren stark nach rechts verschoben hat. Diese Entwicklung hat mit sich gebracht, dass sich Positionen rechter Likudniks heute im politischen Zentrum wiederfinden. Politiker wie Rivlin (Mosche Arens wäre ein anderes Beispiel) sind klassische „Falken“, sie haben kein Problem mit dem Bau von Siedlungen oder Militäreinsätzen gegen Palästinenser, aber sie sind auch stark geprägt von demokratischen Werten und keine Rassisten.

Rivlin träumt sicher von einem Großisrael, einem Staat zwischen Jordan und Mittelmehr, dennoch er träumt von einem demokratischen Staat. Israels neuer Präsident befürwortet eine Annexion der Westbank, jedoch er ist er auch bereit die Konsequenzen daraus zu ziehen und den Palästinensern die israelische Staatsbürgerschaft zu geben. Natürlich ist der Staat, den sich Rivlin vorstellt ein jüdischer Staat. Er ist hier sichtlich beeinflusst von Ze’ev Jabotinsky, dem Gründer des zionistischen Revisionismus, dessen Konzepte widersprüchlich sind und der auch solche Positionen vertreten hat. Obwohl hinsichtlich der Umsetzung von Rivlins Ideen viele Fragen offen bleiben, sind seine Ideen z.B. nicht weit entfernt sind von denen der arabisch-israelischen Partei Balad, die ebenfalls für eine Einstaatenlösung eintritt.

Was passiert, wenn Verhandlungen um eine Zweistaatenlösung wirklich Fortschritte machen auch wenn das momentan sehr unwahrscheinlich erscheint? Wird Rivlin in diesem Fall ein derartiges Abkommen torpedieren? Als Parlamentspräsident war er schließlich während seiner ersten Amtszeit einer der führenden Gegner des Abzugs aus Gaza. Das Amt des Staatspräsidenten lässt keine großen Gestaltungsmöglichkeiten zu, was sich gut an Schimon Peres illustrieren lässt: Peres versuchte vehement auf eine Zweistaatenlösung zu drängen, er hat sogar mit seinem palästinensischen Amtskollegen Mahmud Abbas geheim verhandelt. Ergebnisse konnte Peres aber keine liefern, weil ihn Netanyahu nicht unterstützen wollte oder konnte. Es würde Rivlin vermutlich ebenso wenig wie Peres gelingen sich gegen den Premierminister durchzusetzen.

Falls es Netanyahu (oder seinem Nachfolger) wider Erwarten doch gelingen sollte ein Abkommen zu Ende zu verhandeln, dann hat er so viele innenpolitische Hürden überwunden, dass er nicht ausgerechnet am Widerstand Rivlins scheitern wird, dessen Kompetenzen als Staatspräsident sowieso gering sind.

Bis zu diesem Tag in weiter Ferne, sollte er denn überhaupt kommen, ist es positiv, dass Israel ein Staatsoberhaupt hat, das sich in der Vergangenheit als Verfechter demokratischer Werte und rechtsstaatlichen Prinzipien verdient gemacht hat. Es braucht einen Politiker mit Format und Rückgrat als Gegenpol zu Nafali Bennett und Lieberman. Mangels Alternativen bei den Zentrumsparteien kann nur Rivlin dieser Politiker sein – er hat in den letzten Jahren bewiesen, dass er das Zeug dazu hat.

Tobias Lang is a political analyst based in Vienna, Austria, and the author of Die Drusen in Libanon und Israel (“The Druze in Lebanon and Israel”). He operates the blog MENA Minorities and tweets under @tob_la.

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