Ein Kopftuchmärchen im Kolonialstil

…und wenn sie sich nicht ausgezogen hat, dann lebt sie einsam und unglücklich bis an ihr Lebensende. Dudu Kücükgöl über den Film  „Die Freischwimmerin“.

Entsetze Freundinnen und Freunde posteten Mittwochabend auf Facebook, schrieben Nachrichten: Ein schrecklicher Film voller Vorurteile sei im ORF gespielt worden – noch dazu sei er eine deutsch-österreichische Produktion und hätte in Wien gespielt. 

Eine kurze Internetrecherche ließ zunächst das Gegenteil vermuten: Deutsche Medien, die über den Film „Die Freischwimmerin“ schrieben, empörten sich nämlich genau in die entgegengesetzte Richtung. „Mit Kopftuch ins Wohlfühlbad“ titelte die FAZ am 4.5.13 über den Film, der am selbigen Abend gleichzeitig im ARD und im ORF lief. „Religiöser Balllast“ würde über Bord geworfen. Ganz abschätzig hieß es, es handle sich um einen kitschigen „Wohlfühlfilm“. Die Welt titelte „Es war einmal ein Wellnessbad der Integration“, und stellte fest: „Ilyda ist kein Opfer. Sie wird nicht gezwungen zum Kopftuch. Das macht sie nur noch verdächtiger. Noch einsamer. Ihr Bruder ist kein Islamdiktator. Der Schuldirektor kein antiislamischer Unmensch. […]Irgendwann ist das dann selbst dem größten Märchengläubigen alles zu viel.“ Den deutschen Medien waren es also nicht genug islamophobe Klischees im Film, das wahre Gesicht der „missglückten Integration“ sei verschleiert worden. 

Unmögliche Zustände in Österreich
Ja, es ist auch wirklich ein Ding der Unmöglichkeit, dass ein Mädchen freiwillig ein Kopftuch trägt, ohne von einem männlichen Verwandten dazu gezwungen zu werden. Noch unmöglicher ist es, dass sie von ihren MitschülerInnen so akzeptiert würde. Und dass ein österreichischer Schuldirektor „kein antiislamischer Unmensch“ ist, schein für unsere lieben Nachbarn absolut unverständlich zu sein. 
Die Reaktionen von jungen Musliminnen und die Berichterstattung in deutschen Medien könnten gegensätzlicher nicht sein: Betroffene empören sich über die geballte Ladung Klischees, während deutsche Medien meinen, der Film sei kitschig und realitätsfern, er verschönere die Realität.

Der Filminhalt
Der Film spielt an einem fiktiven Gymanisium in Wien. Ilayda trägt seit dem Tod ihres Vaters ein Kopftuch und wird auch seit dem von der Klassengemeinschaft ausgeschlossen. Sie ist eine sehr gute Schwimmerin, aber kann den Sport aufgrund ihrer selbstgewählten Kleidung nicht mehr ausführen bis eines Tages ihre engagierte Lehrerin [der „white savior complex“ lässt grüßen] ihr einen Burkini kauft und sich alles zum Guten wendet (bis auf die feuchtfröhliche Party, der für die unfreiwillig alkoholisierte Ilayda in Unterwäsche sehr entwürdigend endet). Aber egal, als sie bei einem Schwimmwettbewerb mitmachen möchte, wird ihr trotz anfänglicher Zusage die Teilnahme verwehrt. Das Team wird fast disqualifiziert, alle sind enttäuscht bis Ilayda im normalen Badeanzug auftaucht und allen ein Lächeln ins Gesicht zaubert – eine ORF-Kamera hält diesen Moment auch für die ZuseherInnen sichtbar fest. Sie belegen einen guten Platz und jetzt ist sogar der tote „Baba“ stolz auf sie.

Der Film hat auch helle Momente
Die muslimische Familie ist offen, die Mutter trägt ein Kopftuch, die eine Tochter nicht, die andere schon. Der Bruder betreibt sogar eine Bar (wäre er ein Maurer oder Mechaniker, wäre es etwas realistischer – aber auch das gibt es). Es ist gut zu sehen, dass die Vielfalt innerhalb einer muslimischen Familie dargestellt wird.
Mir gefiel auch fast – nur fast – die Szene, in der die Lehrerin wegen Ilayda mit dem Vater sprechen wollte und im Verlauf des Gesprächs mit dem Bruder entdeckt, dass er gar nicht dem Klischee des bösen, männlichen Verwandten entspricht. Dies entspricht mehr der Realität, da auch Studien zu Motiven von Kopftuchtragenden eindeutig zeigen, dass männliche Verwandte nicht der Grund für die Entscheidung sind. Als er dann aber schelmisch lächelt und sagt: „Und wenn Sie ihr das mit dem Kopftuch auch ausreden, dann bekommen Sie noch einen Gratis-Kaffee,“ war meine Begeisterung für die Szene auch schon wieder zerplatzt.

Mädchen, lass endlich alle an deinem Körper teilhaben, dann wird alles gut!
Und das ist das Problem des Films: Er bricht Vorurteile bis zu einem gewissen Grad auf und kommt dann mit einer noch schlimmeren Botschaft. Das „Richtige“ sind immer die Anliegen und Wünsche der anderen, das Wohlempfinden aller anderen um Ilayda herum und niemals ihr eigener Wunsch. Die Gesellschaft wird nicht gefordert vermeintlich andere zu respektieren oder auch nur zu tolerieren, ihr Wille wird durchgebracht – auch wenn das die Unterdrückung Ilaydas bedeutet. Der Film scheint das stereotype Bild des zum Kopftuch gezwungenen Mädchens aufzubrechen, aber schildert es als Riesenhindernis. Sie ist ein Opfer ihrer eigenen Wahl, sie kann deswegen nicht schwimmen, an der Klassengemeinschaft teilhaben, FreundInnen gewinnen; kurz: keinen Spaß und keinen Erfolg haben.

Die Botschaft des Filmes ist: Mädchen, ihr seid selber schuld an eurer Diskriminierung – nicht etwa arrogante und ignorante Menschen. Die Schule und eure Freunde können euch nur teilweise akzeptieren, aber am Ende müsst ihr die Toleranten belohnen und euch vor ihnen ausziehen. Gerade die besonders voyeuristisch dargestellte Nacktheit Ilaydas fiel auf: Jedes Mal war die Szene ihres Ausziehens sehnlichst erwartet, fand vor einer Menschenansammlung statt und wurde gefilmt. Auch für muslimische Eltern hat der Film eine Botschaft: „Lasst eure Mädls ja nicht auf österreichische Partys, dort werden sie alkoholisiert und ausgezogen!“

Ilaydas Umgebung wird nicht gefordert zu lernen mit Vielfalt umzugehen, ihre kulturimperialistischen und eurozentristischen Positionen zu reflektieren, stattdessen werden Überlegenheitsansprüche verstärkt. Der Film hätte großes Potenzial gehabt, so ist er leider nur ein Plädoyer für Unterdrückung.

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