Von der Leine gelassen

Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker über Pseudo-Experten in der Tageszeitung „Die Presse“.

Der Samstag ist so ein Tag, an dem sich einige Zeitungen zur Lektüre ausgehen. Leider auch „Die Presse”. Sie hat wieder einen ihrer Im-Islam-Auskenner von der Leine gelassen, mit einem Buchtitel könnten wir auch sagen: „Panikmacher”. Das Ergebnis entspricht dem Wetter: Es ist trübe.
Es geht um den Artikel „Homo, Jud und Christ” in der Ausgabe vom 3. Mai 2014. Der Verfasser, offiziell Sozialwissenschaftler, hat eine Studie in die Finger bekommen – mit arger Verspätung. Nun sollte man erwarten, dass er sich auch methodisch mit diesen Studien auseinandersetzt… Aber dann müsste er sich ja mit der Kritik an dieser Studie (und einer anderen zitierten) beschäftigen. Und das stört das gängige Vorurteil.
Da es hier eher um Vorurteile als um – in welcher Weise auch immer – abgewogene Urteile handelt, kann man sich die Analyse der Wiedergabe der Studienergebnisse sparen. Was wichtiger ist, ist die selbstgestrickte Theologie. Wir können es uns denken, worum es geht: um den „Djihhad”; stammt nicht von mir, ein weiser Setzer hat das hier durchgenudelte Fantasieprodukt wohl vom real existierenden Konzept des Djihad unterscheiden wollen. Leider war der Setzer nicht konsequent, sonst hätten wir einen hübschen neuen Begriff.
Es sind die üblichen Fantasien an dieses Wort geknüpft. Die „friedliche” – der Autor will auch denjenigen, die vergeblich versuchen, ihm das reale Konzept des Djihad zu erklären, das Wasser abgraben – oder „gewaltsame” Eroberung der Welt.

Ich beuge das Knie

Einige Verwaschenheiten prägen den Text (ist das das Niveau einer Qualitätszeitung?) der versucht Verbindungen zu schaffen, die der eigenen Fantasieproduktion einen Sinn geben. So werden die „europäischen Totalitarismen” herangezogen, die „fundamentalistisch” werden, um dann eine „Symbiose von Totalitarismus und Islam” zu schaffen. Frohes Schaffen! So lässt sich – höchst unelegant – eine Verquickung einer Religion mit politischen Bewegungen (die der Autor mit einer vorherigen Obsession als politische Religionen versteht) schaffen. Kurzum: Der „Islamofaschismus“ geht um, der auch gescheiterten Immobilienkäufern oder Ex-US-Präsidenten so lieb ist.
Eines würde ich gerne einmal erklärt bekommen: wenn ein Zug der europäischen Moderne die in Krisen entstehenden „Totalitarismen” sind, warum ist die „Modernisierung des Islams“ so dringend notwendig?
Der Sozialwissenschaftler kehrt nebenbei den islamischen Gelehrten heraus. Wir erfahren, dass die „Dämonisierung anderer Religionen […] ein integraler Bestandteil des Islam, die sich im Koran und in der gesamten religiösen Tradition findet”, ist. Der Verfasser beherrscht also „die gesamte religiöse Tradition“ des Islams! Vor soviel Genialität kann man nur das Knie beugen.
Widerlegt wird, so der Autor der „Presse”, die Mär vom friedlichen Islam.

Sehen wir einmal davon ab etwas als „Mär” zu bezeichnen, es somit als falsch zu erkennen – und damit bedarf es keiner Entlarvung mehr. Ach, die deutsche Sprache ist ein Hund…

Auch die „Islamisierung der europäischen Gesellschaften” wird aus der Mottenkiste des Vorurteils hervorgekramt.
Jedenfalls dekretiert der Islamgelehrte der „Presse”: „Der Djihad ist für jeden orthodoxen Muslim verbindlich und damit ein integraler Bestandteil des Islam.” Abgesehen davon, dass der Autor eine Definition von Orthodoxie schuldig bleibt, bleibt er den Lesenden auch die Logik schuldig. Was auch immer ein „orthodoxer Muslim” sein mag – wohl die Inkarnation des Bösen -, wenn der Djihad (manchmal auch Dschihad, Dschihhad wäre wirklich besser), womit der gewaltsame Kampf gemeint ist (oder der friedliche (s.o.), aber beide wollen ja eh das Gleiche, nur einmal eben friedlich), „integraler Bestandteil des Islam” ist, haben auch nicht so „orthodoxe“ Muslime (und Musliminnen? – oder gilt hier keine Gleichberechtigung? – oder der Autor gehört auch zu denen, die keine präzise Sprache wollen) keine Möglichkeit, diesem Djihad zu entgehen. Sie müssen ihn einfach führen, denn sonst geben sie ja einen „integralen Bestandteil” ihrer Religion auf!
Worauf läuft die Übung im Vorurteil hinaus? Es wird wieder einmal Hans Magnus Enzensbergers Essay „Aussichten auf den Bürgerkrieg” aufpoliert. Wenn wir in diesem Verweis einen Hinweis auf eine Projektion der eigenen Absichten sehen, dürften wir nicht ganz falsch liegen. Oder ist es nur eine Werbung für das eigene Buch, das dieser Projektion weiter Futter gibt? Ein Werbetext?

Über integrale Bestandteile des Islams

Wenn der so vom Islamgelehrten der Presse konstruierte „integrale Bestandteil des Islam” vorhanden wäre, der dann für alle Muslime (Musliminnen dürfen sich mit gemeint fühlen) obligatorisch wäre, bliebe eigentlich nur was zu tun? Und „Die Presse” soll nicht sagen, sie wisse nicht, was sie tut.

Und weil die Realität wieder ums Eck schaut: warum liest man denn in „Qualitätszeitungen” nicht jeden Tag, dass Muslime (Musliminnen dürfen sich mit gemeint fühlen) mindestens einen Nichtmuslim (Nichtmusliminnen dürfen sich mit gemeint fühlen) ermorden? Das wäre dann eigentlich zu erklären, wenn denn die Prämisse des Autors richtig konstruiert wäre! Mangelnder Glaubenseifer?
Ach ja: dass so etwas via Medienförderung von meinem Steuergeld mit bezahlt wird, empfinde ich schon als ziemliche Unverfrorenheit.
Ach ja 2: Warum ist der einzige aktuelle Proto-Bürgerkrieg in Europa (die Ukraine ist gemeint) einer, in dem immer wieder Kreuze zu sehen sind?
Ach ja 3: Vielleicht hat der Islamgelehrte der „Presse” sein profundes Wissen aus den Schriften des von ihm zitierten „Islamexperten“ (noch so ein Schimpfwort) Thomas Tartsch, Verfasser solch qualifizierter Werke wie „Muhammads Erbe: Dschihad, Dhimmi, Tötungs- und Bekämpfungsvers” oder „Der Mensch ist ein Raubtier”. Ah, ersteres Werk ist erschienen im Selbstverlag dieses Autors mit Namen „Gehenna”-Verlag. Die von ihm inspirierte Textproduktion des „Presse”-Gelehrten ist eine Strafe für meine Übeltaten. Habe ich wirklich so schlimme Dinge getan? Ich gehe in mich.

Rüdiger Lohlker ist Professor für Islamwissenschaften an der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind zeitgenössiger Islam, islamisches Recht und Islam im Internet. Dieser Text ist erstmals auf seinem Blog erschienen.

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