Südafrika: Jahr Eins nach Mandela

2014 wird für die Republik Südafrika – wieder einmal – ein wegweisendes Jahr: Am 7. Mai werden routinegemäß wie alle fünf Jahre die Parlamentswahlen durchgeführt, welche auch das Präsidentenamt mitbestimmen.

Doch gleichzeitig stellt 2014 auch das Jahr Eins nach der Ära Nelson Mandela dar. Südafrikas erster schwarzer und demokratisch gewählter Altpräsident war am 5. Dezember 2013 nach langer Krankheit im Kreise seiner Familie verstorben. Der unbeugsame Kämpfer gegen die Apartheid wurde 95 Jahre alt, allein 27 Jahre davon musste er in Haft verbringen. Schon längst war er zu einem lebenden Mythos geworden, hinter dem der reale, auch fehlbare Mensch immer weniger greifbar wurde. (Vogel 2014: 93-99) Doch Mythen sind nicht immer gute Grundlagen und Wegweiser für moderne Staaten und nun muss Südafrika beweisen, ob es das bewundernswerte Vorbild Mandelas wirklich verinnerlicht hat und mutig zu Reformen voranschreitet, oder ob es sich hinter dieser übergroßen Vaterfigur bequem versteckt und den Weg so vieler anderer afrikanischer Sub-Sahara Staaten in die von Korruption gekennzeichnete Unbedeutsamkeit wählt.

Ungleichheit an der Tagesordnung

Momentan zeichnet sich Südafrika durch sein Janusgesicht aus. Einerseits ist die sprichwörtliche „Rainbow Nation“ eine die Rassentrennung überwindende wohlwollende Regionalmacht, der einzige afrikanische Vertreter in den G 20 und ein stolzes Mitglied der BRICS Staaten, der bewunderten Gruppe der aufstrebenden Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Andererseits ist es ein von hoher Arbeitslosigkeit und Ungleichheit [1. Diese Ungleichheit spiegelt zum Beispiel der Gini Index wieder. Der Gini Index errechnet die Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft, die Republik Südafrika hat einen Wert von über 63 und gehört somit zu den drei ungerechtesten Nationen weltweit!] gekennzeichneter Staat, der von Kriminalität, Korruption und von einer HIV Epidemie mit mehr als 5 Millionen Infizierten bedroht wird: Rund 30 Prozent der Bevölkerung ist ohne Arbeit und etwa ein Viertel lebt an der Armutsgrenze. Auch wenn der südafrikanische Staat seit dem Ende der Apartheid Tausende Wohnungen geschaffen hat, so kommt dieser Fortschritt bei weitem noch nicht bei allen an. Dazu kommt, dass außerhalb des Staatssektors kein Bereich der südafrikanischen Wirtschaft in der Lage ist, die notwendigen neuen Jobs zu schaffen. Der weiterhin einflussreiche Bergbausektor etwa leidet darunter, dass Auslandsinvestitionen für Modernisierungen nach politischen Diskussionen in Südafrika über mögliche Verstaatlichungen ausbleiben. Somit verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen in den Minen zunehmend, was zu tragischen Unfällen und Streiks führte. Gleichzeitig zeigte sich jedoch, dass Südafrika nicht in der Lage ist, solche Proteste friedlich zu lösen. Das „Massaker von Marikana“ im August 2012 verdeutlichte auf erschreckende Weise die sozialen Spannungen, als die Polizei 34 protestierende Minenarbeiter erschoss. Ein weiters Problem stellt das geringe Ausbildungsniveau in Südafrika dar. 2010 machten nur 60 Prozent der Schüler_innen ihren formalen Schulabschluss, dies stellt eine deutliche Verschlechterung zu 2004 dar, also das noch mehr als 73 Prozent gelang. (vgl. Kappel 2013: 3) Noch ist zusammengefasst völlig unklar, ob Südafrika wie etwa Südkorea der Anschluss zu den Industriestaaten gelingt, oder ob es, wie sein einst ebenso hoffnungsfroher Nachbar Simbabwe, zu einem internationalen Problemfall werden könnte.

Um seine wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen bestehen zu können, wären jedenfalls entsprechende Weichenstellungen auf politischer Ebene notwendig und wie erwähnt ist 2014 Wahljahr. Die Republik Südafrika zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Verfassung aus: Staatsoberhaupt und de facto Regierungschef ist der Staatspräsident, der vom Parlament, der National Assemby, gewählt wird und diesem auch verantwortlich ist. Das politische System hat also Kennzeichen einer Präsidialdemokratie, nur wird der machtvolle Präsident nicht in einer eigenen Wahl wie etwa in Frankreich direkt, oder aber wie in den USA durch eine Wahlmännerversammlung indirekt gewählt. Seit dem Ende der Apartheid und dem Einzug der Demokratie konnte der African National Congress (ANC) immer dieses Amt besetzten und gerade diese Funktion wird durch das Vorbild Mandelas überschattet. Ab 1992 war er der erste schwarze Präsident und nach den ersten freien Wahlen 1994 war er auch der erste demokratisch gewählte Präsident. Mandela stellte sich 1999 bewusst keiner Wiederwahl, obwohl die neue Verfassung eine zweite Amtszeit ermöglicht hätte. Vielmehr wollte er ein Zeichen setzten und sich von so vielen anderen afrikanischen Staatsoberhäuptern abgrenzen, die sich immer wieder – auch unter fadenscheinigen Begründungen – einer Wiederwahl stellten.

Neuer Präsident wurde mit Thabo Mbeki nicht sein erklärter Nachfolgefavorit. Mbeki stellte gleichsam einen ersten Gegenentwurf zur Figur Mandela da: Ein eher technokratisch wirkender, einst noch in Wirtschaftsfragen im Moskauer Exil ausgebildeter Staatsmann, der im dunklem Anzug – der inoffiziellen Uniform der internationalen Diplomatie – gute Figur bei Treffen der Afrikanischen Union machte und seine Idee einer African Renaissance vertrat. Vor allem in seiner zweiten Amtszeit wurde aber zunehmend innerstaatlich Kritik an Mbeki laut – es wurden ihm autoritäre Züge unterstellt. Thematisch geriet er von zwei Seiten ins Kreuzfeuer: Anhänger des ANC wurden zunehmend unzufriedener und forderten, dass er mehr unternehmen müsse, um die immer noch bestehenden negativen Folgen der Apartheid zu bekämpfen. Auch die Politik des bereits seit 1996 laufenden makroökonomischen Wachstums- Beschäftigungs- und Umverteilungsplans (GEAR) wurde zunehmend als zu wirtschaftsliberal empfunden, immer öfter wurde in den Diskussionen die Idee des Developmental State, eines starken, in die Wirtschaft eingreifenden Staates, als Gegenmodell gebracht. Demgegenüber standen Befürchtungen von Wirtschaftskreisen und von der weißen Minderheit, dass das Programm des Black Economic Empowerment durch seine Quotenregelugen die Leistungsfähigkeit der südafrikanischen Wirtschaft und Verwaltung schwächen könnte. Mbekis Amtszeit endete vorzeitig nach ANC-internen Konflikten. Obwohl er nicht zu einer dritten Periode als Staatspräsident antreten konnte, strebte er nochmals die Präsidentschaft des ANC an, vor allem wegen eines Machtkampfs mit dem früheren Vertrauten Jacob Zuma. Am denkwürdigen Parteitag von Polokwane im Dezember 2007 setzte sich der linke, radikalere Flügel durch und wählte Mbeki und seine Parteiführung zugunsten Zumas ab. Im September 2008 trat Mbeki schlussendlich als südafrikanischer Präsident ab und Kgalema Motlanthe übernahm die restliche Amtszeit als Übergangspräsident bis zur Wahl. Diese Episode zeigte das Selbstverständnis des ANC, auch ein Staatspräsident ist demnach nur ein Parteifunktionär, verliert er das interne Vertrauen, so muss er abtreten.

Jacob Zuma – korrupter Frauenheld oder unterschätzte Stimme?

Seit den Wahlen 2009 hat Jacob Zuma das angestrebte Präsidentenamt inne. Gerade viele Stimmen aus dem Westen unterschätzen ihn, wenn sie auf seine geringe Schulbildung hinweisen und ihn nur als Linkspopulisten und korrupten Frauenheld bezeichnen. Vielmehr hat man ihn als erfahrenen ANC Funktionär anzuerkennen, der es versteht interne Bündnisse zu schmieden und Kritiker zu entmachten. Dabei schreckte er auch nicht davor zurück, frühere Weggefährten und zeitweise Unterstützer, wie etwa Julius Malema, loszuwerden. Deutlich stellt der machtbewusste Volkstribun Zuma wiederum einen anderen Gegenentwurf zu Mandela dar und ohne Zweifel unterscheidet ihn der – möglicherweise berechtigte, jedenfalls aber oft geäußerte – Vorwurf von Korruption von diesem Amtsvorgänger am deutlichsten. Jüngster Skandal um Präsident Zuma sind Vorwürfe, wonach er sich sein Anwesen in KwaZulu-Natal auf Staatskosten umbauen ließ. Die Verteidigung aus seinem Umfeld lautet, dass es sich um Kosten für Sicherheitsumbauten handle, eine Zeitung meldete aber, dass die umgerechneten 22 Millionen Dollar öffentlicher Gelder auch für etwa ein Swimming Pool und ein Amphitheater verwendet worden seinen. Dieser Skandal sorgte jedenfalls dafür, dass Präsident Zuma bei den Begräbnisfeierlichkeiten Mandelas teilweise ausgebuht wurde!

Wenn auch die effektive politische Macht beim Präsidenten liegt, so hängt doch das politische System vom südafrikanischen Parlament und seiner Zusammensetzung ab. Am Wahlgewinner war und ist bis auf weiters nicht zu zweifeln: Bisher war nur die Frage wichtig, wie stark der ANC – oder genauer die Dreierallianz aus ANC, dem Congress of South African Trade Unions (CONSATU) und der South African Communist Party (SACP) – wird und ob man die Grenze für mögliche Verfassungsänderungen erreicht. Für die diesjährigen Wahlen ist wieder ein Sieg des ANC zu erwarten, aber ein so gutes Ergebnis wie 2009 mit 65,9 Prozent erscheint unwahrscheinlich. (Soest 2012: 4)

Zersplitterte Opposition und Interne Zerreißproben der Dreierallianz

Die größte Gefahr für die regierende Dreierallianz stellt vorerst weniger die erstarkende Oppositionspartei Democratic Alliance (DA), als vielmehr Abspaltungen aus dem eigenen Umfeld dar. Die Dreierallianz ist schon länger von internen Flügelkämpfen geplagt, wobei vor allem aus der Richtung CONSATU zukünftige Probleme entstehen könnten. Die Gewerkschaften stehen – wie auch ihre Schwesterorganisationen in Europa – vor der Herausforderung, einerseits als Regierung auch unpopuläre Maßnahmen durchsetzten zu müssen und doch andererseits die Interessen ihrer Mitglieder vertreten zu müssen. Viele meinen, dies als Opposition leichter zu können, andere wollen die Allianz verlassen und eine reine Arbeiterpartei gründen, um so mehr Bewegungsspielraum zu erlangen. Politische Abspaltungen sind jedenfalls keine Neuheiten in Südafrika. Bereits 2009 trat mit dem Congress of the People (COPE) eine Partei an, welche sich aus dem ANC heraus bildete. So erfolgreich auch COPE mit 7,5 Prozent war, aktuell scheint sie sich als Strohfeuer zu erweisen. Bei Kommunalwahlen 2011 sank ihr Anteil stark und im laufenden Wahlkampf hat sie bisher für wenig Aufsehen gesorgt. 2014 könnte aber eine neue ANC Abspaltung für Furore sorgen. Der frühere Chef der einflussreichen ANC Youth League Julius Malema wurde nach einem Zerwürfnis mit Präsident Zuma und nach immer lauter werdenden Korruptionsvorwürfen im April 2012 aus der Partei ausgeschlossen. Er gründete die Partei Economic Freedom Fighters und will nun mit einem angriffigen linken, viele meinen populistischen, Kurs die Regierung unter Druck setzten.

Die bereits erwähnte stärkste Oppositionspartei DA konnte 2009 mit 16,7 Prozent ihr bestes Ergebnis verzeichnen und stellt in der Provinz Western Cape mit ihrer deutschstämmigen Chefin Helen Zille auch die Ministerpräsidentin, eine Ausnahme unter den sonst ANC regierten Provinzen. Doch immer noch ist die hoch professionelle und moderne DA eine Partei der weißen Mittelschicht und scheiterte bisher daran, auch große schwarze Wählerschichten anzusprechen.

Ein neuerlicher Versuch, das zu ändern, war die Idee Mamphela Ramphele als Spitzenkandidatin für die Wahlen und für das Präsidentenamt zu gewinnen. Ramphele, eine Lebensgefährtin des legendären Anti Apartheid Kämpfers Steve Biko, ist eine erfolgreiche, millionenschwere Geschäftsfrau und Gründerin der jedoch relativ unbedeutenden Partei Agang und sollte durch ein gemeinsames Antreten dieses Manko beheben. Allerdings zeigte sich wieder einmal die Schwäche und die Zerstrittenheit der südafrikanischen Opposition. Ramphele kündigte nach wenigen Tagen die Zusammenarbeit auf und entschied sich dafür, weiter mit Agang einen eigenen Kurs einzuschlagen. Bei der öffentlich ausgetragen Trennung blieben sich die Kontrahentinnen nichts schuldig: Zille meinte, Ramphele könne wieder einmal kein Projekt zu Ende bringen, während diese erwiderte, dass die DA immer noch auf Rassenpolitik basierte! Eine andere traditionelle Oppositionspartei, die Ikatha Freedom Party, scheint ihre beste Zeit hinter sich zu haben. Diese in der Region KwaZulu-Natal einst starke Partei ist von mehr als 10 Prozent (1994) auf weniger als 4,6 Prozent bei den letzten Wahlen zurückgefallen. Ihren momentanen Niedergang kann man nicht nur dadurch erklären, dass der ANC mit Zuma nun auch einen Zulu-stämmigen Parteichef hat.

So sehr die Schwäche der zahlreichen Oppositionsparteien auch der ANC geführten Regierung noch nützten mag, für das politische Klima in Südafrika wird 2014 ein Wendejahr. Zum ersten Mal dürfen die sogenannten born free wählen, also jene Erstwähler_innen, welche nach der Apartheid geboren wurden. In der rasch wachsenden südafrikanischen Gesellschaft stellt diese junge Schicht bereits 40 Prozent der Gesamtbevölkerung. Ab jetzt wird sich zeigen, ob der ANC mit seiner Rhetorik einer Befreiungsbewegung und seiner Tradition noch überzeugen kann, oder ob die Wählerschaft ideologiefrei eher Problemlösungskompetenz der Regierung einfordern wird. Gerade der Tod der Vaterfigur Mandela kann hierbei für unerwartete Folgen sorgen. Für viele Südafrikaner_innen war es bisher undenkbar nicht den ANC zu wählen, etwaiger Protest wurde höchstens durch ein Fernbleiben an den Wahlurnen ausgelebt. Das könnte sich nun ändern, ohne Mandela könnten Unzufriedene nun ohne schlechtes Gewissen auch andere Parteien wählen. Ob sie es auch tun werden, wird man im Mai erfahren.

Anderas Brocza ist Lehrbeauftragter an der Universität Wien. [email protected]

Literatur:

  • Kappel, Robert: Südafrika – die Krisensymptome verstärken sich. GIGA Focus Afrika Nummer 7 2013 S.3
  • Soest, Christian von: Südafrika: Der ANC hat keine Lösung für die soziale Misere. GIGA Focus Afrika Nummer 12 2012 S.4
  • Vogel, Benjamin: Revolutionär statt Ikone: Der wahre Mandela. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 2/14 S.93-99
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