Doris Lessing oder Ziegen, die meckern, beißt man nicht!

Die gängigsten Merkmale, die man einer feministisch engagierten, bzw. interessierten Frau unterstellt, sind: Frigidität, Hysterie, Männerhass, Verbitterung, mangelnde Ästhetik, Neid. Dem Bild, das die Gesellschaft von der im letzten Jahr verstorbenen Autorin Doris Lessing hat, entsprechen nahezu alle dieser Merkmale. Kein Wunder, dass sich die Ansicht, Doris Lessing habe mit Das Goldene Notizbuch nicht nur die Bibel der 68er Feministinnen geschrieben, sondern sei auch noch selbst eine solche, nicht aus dem öffentlichen Bewusstsein löschen lässt.

Bereits 2007, als die britische Schriftstellerin den Literaturnobelpreis erhielt, wurde in der Berichterstattung häufig erwähnt, dass sich Doris Lessing zeitlebens weigerte, als ein Maßstäbe setzender Bestandteil der Frauenbewegung wahrgenommen zu werden. Bei der Erwähnung blieb es, während der Beantwortung dieser Diskrepanz nicht nachgegangen wurde. Da hatte sie ja auch schon wieder viel zu meckern, die Lessing, über das Internet und solche Dinge, dass solche Feinheiten glatt vergessen werden konnten.

Die Meckerei, die sie übrigens mit vielen Feministinnen gemeinsam hat, war eine der Lieblingsbeschäftigungen der Autorin und immer mit dem für sie so typischen Sarkasmus gewürzt. Am Anfang der 50er Jahre ging es um die politische Situation in den britischen Kolonien, in einer davon, Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe, verlebte Doris Lessing ihre Kindheit und Jugend, in den 60er Jahren wurde dieses Thema abgelöst vom Kampf der Geschlechter (und sie, die sie zwei Mal unglücklich verheiratet war, musste es ja schließlich wissen), dem Fernseher, Nuklearwaffen und der kommunistischen Partei, deren Mitglied sie einst war, um sich nur auf wenige Konfliktpunkte zu begrenzen.

Doch scheint die Meckerei über die fälschliche Zuordnung zur Liga bedeutender Feministinnen einer anderen Kategorie anzugehören. Doris Lessing war nämlich – allem voran – immer ein Mensch, der sich zwar so allerlei Meinung anhörte, jedoch größtenteils auf allerlei pfiff.

Das fing schon in ihrer Kindheit an. Als Tochter zweier paralysierter Kriegsveteranen, genauer, einer unzufriedenen, depressiven Mutter und einem einbeinigen, depressiven Vater, gab es für sie nur ein Mantra: „Ich werde nicht!“… so werden wie meine Eltern. Und so wie dieser Vorsatz bewahrheiteten sich viele Dinge in Doris Lessings Leben. Nämlich die lang  geplante „Flucht“ aus Südrhodesien an der Seite eines Mannes, den sie nicht liebte, das harte und arme Leben in dem von der Nachkriegszeit gebeutelten London, ihr Leben in „wilder Ehe“ mit diversen Männern, die Rolle der alleinerziehenden Mutter allen Konventionen zu Trotz und eben nicht zuletzt eine Karriere als Schriftstellerin, die so ungefähr jeden Literaturpreis erhielt, den man sich vorstellen kann.

“The Golden Notebook is generally considered my best novel. Perhaps it is, but I have my own ideas.”, schreibt Doris Lessing im zweiten Teil ihrer Autobiographie Walking in the Shade. Ihr Unverständnis über die anfangs so ablehnenden Kritiken wandelte sich in wachsendes Unbehagen ob der Hysterie, mit welcher der 800 Seiten-Wälzer nur kurze Zeit darauf von (weiblichen) Anhängern der keimenden Frauenbewegung verschlungen wurde.

Nach ihrem Austritt aus der Kommunistischen Partei 1956 stand Doris Lessing Gruppierungen jeglicher Art höchst skeptisch gegenüber.

…it is a commonplace of sociology and psychology that a group anywhere, no matter what ist first inspiration, political, literary, even criminal, tends in the end to become religious: ‚religious‘ interpreted broadly.

Jede Gruppierung braucht zudem Kategorisierungen, positiv wie negativ besetzte Bilder, gegen eben solche sich Das Goldene Notizbuch doch so heftig aussprach.

Schlimmer noch, Doris Lessing selbst fühlte sich von den Kämpferinnen um weibliche Gleichberechtigungen derart kategorisiert und für die eigene Agenda genutzt, dass ihr nichts blieb, als sich dagegen zu wehren. Ein Kampf dagegen, in die hilflose Lage des Kindes einer depressiven Mutter zurückversetzt zu werden: „Ich werde nicht“… euren Ansprüchen entsprechen nur um zu gefallen.

Verkannt wird noch heute, dass es sich bei Doris Lessing  nicht um eine ideologische Querulantin handelte, sondern um eine, die der Zufall geschaffen hatte. Aufgewachsen fernab jeglichen Einflusses westlicher, „schädlicher“, Zivilisation, war es der ab 1949 in London lebenden Schriftstellerin bis zu diesem Zeitpunkt kaum in den Sinn gekommen, sich für ihren Körper, ihre Andersheit, ihre Weiblichkeit zu schämen.

Als sie zögerte, im 1952 erschienenen Martha Quest eine Szene zu beschreiben, in der die badenden Protagonistin ihr dichtes Schamhaar bewundert, widersetzt sie sich diesem Zwiespalt nicht aufgrund feministischer Maßstäbe, sondern um ihrem Berufsverständnis treu zu bleiben.

Kleidet sie sich entgegen der mütterlichen Weisungen in ungewöhnliche Kleider, Röcke oder gar Büstenhalter, tut sie dies nicht aus dem Impuls heraus, die Gesellschaft zu verändern, sondern, wie es Teenagern eigen ist, um sich vom elterlichen Vorbild zu lösen. Ob dies ein Merkmal ist, das alle Feministinnen auszeichnet, muss allerdings an anderer Stelle erörtert werden.

Doris Lessing persönlich war nämlich aus einem ganz anderen Grund rückblickend nicht besonders überzeugt von „Das Goldene Notizbuch“: Obwohl das Konzept des Romans nüchterner und eingehender Planung entsprang, nährte sich der Schreibprozess selbst jedoch aus emotionalem Material, nämlich dem zweier gescheiterter Liebesbeziehungen in den Jahren zuvor. Sie empfand folglich den Gefühlsüberschwang, der sie am Schreiben hielt, als ein Versagen als Schriftstellerin. Nun, besonders emanzipiert mutet dies tatsächlich nicht an. Doch, Gefühlsduselei hin oder her, Doris Lessing zeichnete im Unterschied zu vielen anderen Menschen vor allen Dingen eins aus: Die Emanzipation von sich selbst, die es ihr erlaubte, das eigene Scheitern laut zu äußern – Feminismus beiseite.

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