Westliche Medien fahren in der Ukraine auf der Einbahnstraße – viele Perspektiven bleiben dabei im Verborgenen.
In den letzten Tagen überschlugen sich die Ereignisse in der Ukraine: Der Entmachtung von nunmehr Ex-Präsident Viktor Janukowytsch folgte die Freilassung seiner ehemaligen Widersacherin Julia Tymoschenko auf dem Fuße. Sie stieg von der Gefängniszelle auf das Podium. Vor Hunderttausenden hielt sie eine frenetische Rede zur Lage der Nation. Seit Sonntag ist ihr Vertrauter Alexander Turtschynow im Amt. Russland fror bis zu den Neuwahlen im Mai einen äußerst benötigten Kredit in der Höhe von 15 Mrd. Euro ein. Ohne diesen Zuschuss geht die weidwunde Ukraine bankrott. Aufseiten der EU schreit man nach dem IWF, dieser solle die Ausfälle kompensieren. EU-Außenbeauftragte Ashton reiste nach Kiew und führt Gespräche zur Situation.
Währenddessen herrscht auf dem „Euromaidan“ die Ruhe nach dem Sturm. Der internationale Medienzirkus hatte in den letzten Tagen alle Hände voll zu tun. Im Sekundentakt rattern Tweets mit unterschiedlichsten Einschätzungen über die Situation die Displays hinunter. Es lag an den medialen Akteuren die komplexen und komprimierten Abläufe möglichst schnell und möglichst theatralisch aufzubereiten. Im Zuge der Ereignisse rund um Euromaidan wird dabei deutlich, wie selektiv der mediale Mainstream dabei vorgeht und damit ein Zerrbild inszeniert: Wir brauchen den Kampf Gut gegen Böse. Die Protagonisten pro-europäischer Fürsprecher sind dabei schnell gefunden: auf der einen Seite stünde eine demokratiehungrige Masse von Ausgebeuteten, die sehnsüchtig darauf wartet von der EU mit dem Humanismus beglückt zu werden. Das zweite Lager führt ein Despot an, der mit der Unterstützung Russlands sowie hausgemachter Oligarchen einen Teil des Landes zu halten vermag.
Ein Kampf Gut gegen Böse ist die Basisingredienz des Informationsgehalts der Mainstream Medien zur Situation in der Ukraine. Für die westlichen Global Player, wie etwa EU oder IWF ist dies Wasser auf deren Mühlräder. Eine derartige Berichterstattung lässt nicht nur vergessen, dass die Proteste zum Teil „Euro-Made“ sind, sondern rechtfertigt im Nachhinein harsche Austeritätsprogramme und Strukturanpassungen, die wiederum pro-europäischen Oligarchen in die Hände spielen werden. Man müsse ja den korrupten Scherbenhaufen der VorgängerInnen beseitigen. Diesem Vokabular bediente sich jüngst Vitali Klitschko, Präsidentschaftskandidat in Spe, Ziehsohn der bürgerlichen Mitte Deutschlands, und auch finanziell fest in Richtung Westen verankert. Darüber hinaus sind sämtliche Oppositionsführer eher neoliberaler Praxis zugeneigt, als der Lösung der sozialen Frage.
Von alledem hört die RezipientIn allerdings nur am Rande und wenn, dann in einer sehr polarisierten Aufbereitung. Wer eine andere Stoßrichtung als diesen Einheitsbrei rezipieren möchte, muss tief graben, besonders was die unilaterale Berichterstattung über die Protestbewegung betrifft. Auch hier offenbart sich eine überraschend klare Kongruenz zwischen der medialen Berichterstattung und der Politik der Europäischen Union. Mit bedingungslosen Zugeständnissen an die Opposition destabilisierte man die Regierung, konzentrierte sich aber wenig auf die brisante Zusammensetzung der Kräfte am Maidan Platz. Dabei kursieren kaum irgendwo die konkreten Forderungen dieser Protestbewegung.
Revolution mit rechtsextremen Makel
Zweifelsohne sind die Ereignisse auf Euromaidan eine Revolution. Die Ansicht pro-russischer Medien, dass es sich bei den Protesten ausschließlich um einen faschistischen Coup d’Etat handle, ist ebenso zu kurz gegriffen und unterstützt letztendlich die Propaganda Putins. Wer aber die russische Berichterstattung ins Kreuzfeuer nimmt, sollte auch nicht vergessen, dass die humanistisch-demokratische Perspektive westlicher Darstellungen eine ebenso eindimensionale Position darstellt. In wenigen Medien konzentriert man sich auf konsistente, differenzierte Auseinandersetzungen, sondern unterstreicht eine „Entweder-Oder Haltung“, selbst in kritischen Stellungnahmen. Es ist verwunderlich wie mediale Kräfte jeweils Wahrheiten für sich beanspruchen und dabei oftmals zum Sprachrohr politischer Agitation werden. Und zwar von allen Seiten.
Eine pauschale Einschätzung der Proteste am Maidan-Platz ist keineswegs angebracht, es handelt sich weder ausschließlich um eine „Demokratiebewegung“, noch um einen plündernden, faschistischen Mob. Dies hindert mediale Akteure jedoch nicht daran entweder in pro-europäischem Pathos zu verfallen, oder die Warnung vor einer faschistischen Revolution zu beschwören. Müssen sich gegensätzliche Positionen innerhalb einer vielseitigen Bewegung zwangsläufig ausschließen? Man könnte den Eindruck gewinnen, dass dem so wäre.
Allerdings – und hier ist auch der linksliberalen Medienkritik zu widersprechen – muss man dem Maidan-Platz dennoch ein Problem mit dem Rechtsextremismus unterstellen, der mitunter sein Fundament in einer fehlgeleiteten Aufarbeitung der ukrainischen Geschichte findet: der Ultra-Nationalist Stephan Bandera, im Zweiten Weltkrieg verantwortlich für Kriegsverbrechen an Juden und Kommunisten, wird von einer breiten Gesellschaft als Nationalheld gefeiert und von verschiedensten PolitikerInnen als Symbol der ukrainischen Befreiung instrumentalisiert.
Die ProtagonistInnen auf dem Maidan halten Bandera-Bilder hoch und skandieren eine Befreiung aus der russischen Umklammerung. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit innerhalb der Maidan-Bewegung ist Spiegelbild eines überstrapazierten und instrumentalisierten Narrativs, der seine Wurzeln sehr wohl in einer rechts-nationalistischen Grundhaltung findet.
Neben pro-europäischen Positionen herrscht auf dem Maidan also auch ein nationalistischer Tenor, der seine institutionelle Ausprägung in der Svoboda Partei findet. Diese schmiedete gemeinsam mit kampferprobten, rechtsradikalen Kräften die vorderste Front bei den Protesten gegen die Regierung. Ihre politische Programmatik ist höchst fragwürdig. Der Führer Oleh Tyahnybok bezeichnete die ukrainischen Kollaborateure gemeinsam mit der Wehrmacht als Helden, die „die Ukraine vor unsauberen Elementen beschützten.“. Ihre Haltung gegenüber der EU ist ähnlich exklusiv. Svoboda nannte eine Annäherung an die Union noch vor kurzem „ein Zugeständnis an den Kosmopolitismus […] das neoliberale Imperium wird die nationale Identität vollständig auslöschen und mit ihrer Gesetzgebung gleichgeschlechtliche Ehen und die Integration afro-asiatischer Migranten erlauben.“
Der Chefjurist derselben Svoboda Partei, Oleh Makhnitskyi, wurde zum interimsmäßigen Generalstaatsanwalt ernannt. Der mediale Aufschrei lässt auf sich warten, die Reaktion der europäischen Politik auch. Dabei wäre die Notwendigkeit eines differenzierten Blicks nicht nur vorhanden, sondern auch sehr erwünscht. Zwar thematisiert der westliche Mainstream mittlerweile die rechte Orientierung auf dem Maidan, von historischem Tiefgang fehlt allerdings jegliche Spur. Würden von dieser Seite unterschiedliche Positionen beleuchtet, könnte er sich ebenso gegen die Kritik der Instrumentalisierung immunisieren.
Eine widersprüchliche Bewegung
Die genauen Zutaten der Revolution sind nämlich vielfältiger als ein Kampf des Lichts gegen die Dunkelheit. Natürlich existiert ein Ost-West Gegensatz, der sprachlich-ethnisch motiviert ist, aber zusätzlich strukturelle Faktoren beinhaltet, wie Arbeit bzw. Einkommen. Ebenso ist die aktuelle soziale und politische Lage mitunter Auslöser der Proteste. Im ukrainischen Westen wird die EU oftmals als Role-Model herangezogen, vor allem weil gravierende Einkommensunterschiede zwischen dem Nachbarland Polen und der Ukraine herrschen. Dies ist der sozio-ökonomische Anreiz für proeuropäische Positionen. Die fatale Rahmung der Maidan-Proteste bilden geopolitische Interessen. Während die EU kontinuierlich ihre Macht gen Osten erweitern kann, stößt sie mit der Ukraine in die unmittelbare Einflusssphäre Russlands. Nicht zu vergessen ist darüber hinaus die wesentliche Rolle der Ukraine für euro-russische Gastransits. Dieses Setting beeinflusst im Hintergrund die mediale Berichterstattung in Europa und Russland, zahlreiche Betrachtungsweisen bleiben allerdings im Verborgenen.
Bemerkenswert ist auch, dass die europäische Politik den rechten Kräften auf dem Maidan-Platz kaum ein Ohr leiht, als würden sich diese nach den Protesten wie von selbst auflösen. Diese Ausblendung könnte fatale Folgen für die Zukunft mit sich bringen, wenn der Einfluss mancher Helden von Maidan steigt. Unweigerlich fühlt man sich an das Verhalten westlicher Akteure erinnert, die immer wieder (rechts-)radikale Gruppen zugunsten einer Markterschließung bzw. einer machtpolitischen Erweiterung unterstützten. Man denke hier zum Beispiel an den Jugoslawienkrieg.
Deswegen wäre ein kritischer Journalismus gefragt, der Denkanstöße für Politik und Zivilgesellschaft liefert und nicht in polarisierenden Positionen verhaftet bleibt: kein „Entweder-Oder“ sondern ein „Sowohl-als-auch“ würde sich vom Mainstream wohltuend abheben.