Die Olympischen Winterspiele in Sotschi waren ein riesiges Propagandaevent, aber nicht nur für Russland.
Die Rodelfahrerin Kate Hansen filmte im olympischen Dorf in Sotchi einen Wolf, der durch die Gänge ihres Hotels wanderte. Das Video, das sie auf ihrem Twitter-Account teilte, wurde in kurzer Zeit „viral“ und sofort zur wichtigsten Meldung in den Sportnachrichten. Erst später stellte sich heraus, dass das Video eigentlich vom Comedian Jimmy Kimmel produziert wurde. Kate Hansen hatte gemeinsam mit Kimmel den größten „Prank“ von Olympia durchgezogen. Der Wolf im Hotelkorridor war nur ein Beispiel aus einer langen Reihe von bizarren Meldungen über Sotschi.
In den letzten Jahren kommt keine große Sportveranstaltung ohne unzählige Debatten aus. Olympia in China, Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika und zuletzt die Spiele in Sotschi lieferten eine große Menge an Material für Diskussionen. Ein beliebtes Argument war dabei, dass diese Länder solche Großereignisse für ihre Propagandazwecke missbrauchen und der Sport eher im Hintergrund steht. Um dafür zu sorgen, dass die missliche Lage in diesen Ländern ja nicht von den pompösen Eröffnungsfeiern und der spannenden Jagd nach neuen sportlichen Rekorden verschleiert wird, machten sich die Medien schon Monate vor den Events zur Aufgabe, die Zuschauer daran zu erinnern, dass diese Austragungsorte nicht „unschuldig“ sind.
Extrem spannend und extrem kritisch
Vor den Olympischen Spielen in China konnte man täglich Interviews mit tibetischen Mönchen, Bloggern und Künstlern wie Ai Wei Wei in Fernsehen und Zeitungen finden. Bei den aktuellen Winterspielen in Sotschi konzentrieren sich die Medien vor allem auf Pussy Riot, die Diskriminierung von Homosexuellen und allgemein um die Person Putins. Eine derartige Berichterstattung sollte also verhindern, dass diese sportlichen Großereignisse zur Propaganda für die Regime werden. Der Vergleich mit Berlin 1936 war dabei das effektivste Mittel, um dem interessierten Zuschauer zu verdeutlichen, dass ein Olympia in China oder in Russland kein „normales“ sportliches Ereignis ist. Wie die Cola-Flasche, die uns ständig daran erinnert das Getränk zu genießen, wurden die Zuseher ständig an die unschönen Realitäten erinnert, die sie ohnehin aus den Nachrichten kennen. Bei der ganzen sportlichen Spannung, sollte das kritische Wissen über Russland ja nicht vergessen werden.
Zwischen Kritik und Propaganda
Wenn Sotschi eine Propagandaveranstaltung für den russischen Präsidenten Putin ist, wieso strahlen die Sender im Westen das live aus? Trotz aller Kritik hielten alle Sender an den Live-Ausstrahlungen fest. Gleichzeitig wurde versichert, dass es besser gewesen wäre, wenn diese Spiele in Österreich, Schweiz oder einem anderen westlichen Land stattgefunden hätten. Das ist sicherlich mit ein Grund wieso eben der Wolf in den Hotelkorridoren oder ein Foto eines kaputten Betonbelags aus Wien zu Sensationen in der Berichterstattung über Sotschi wurden.
Nicht umsonst wurden besonders jene Probleme Russlands „kritisch“ betrachtet, die wir in unseren Gesellschaften als gelöst verstehen, wie z.B. die Diskriminierung von Homosexuellen. Andere schwerwiegende Problem in Russland wie der Rassismus gegenüber Minderheiten oder der vergessene Völkermord an den Tscherkessen wurden nur am Rande der „kritischen“ Berichterstattung behandelt. Während bei den Olympischen Spielen in China, Tibet Fixpunkt der täglichen Nachrichten war, wurde die Situation im Kaukasus weitgehend ignoriert. Wenn der Kaukasus zum Thema wurde, dann als eine Art „Mordor“ von islamistischen Extremisten.
Für eine kritische Berichterstattung wäre es aber notwendig gewesen, Probleme wie Rassismus nicht zu übersehen, die auch zu den unschönen Realitäten westlicher Gesellschaften zählen. Stattdessen hörten wir bizarre Geschichten, wie die Auspeitschung von Pussy Riot durch Kosaken, die im Westen unvorstellbar sind. Doch bei all dieser tendenziösen Berichterstattung sollte nicht vergessen werden, dass es keine „unschuldigen“ Olympischen Spiele gibt. Jedes internationale Sportevent ist Propaganda, aber nicht unbedingt für die Austragenden.
Ali Cem Deniz arbeitet als freier Journalist bei FM4, Shabka, Wiener Zeitung und dem Stadtmagazin biber. An der Universität Wien hat er Internationale Entwicklung und Europäische Ethnologie studiert. Seine Schwerpunkte sind Politik und Popkultur.