KAIRO. Vor genau drei Jahren erreichte die ägyptische Revolution ihren Höhepunkt (Shabka hat dazu bereits ausführlich berichtet). Die Massen standen Schulter an Schulter, ein Volk hatte sich vereint um das vermeintlich Unmögliche möglich zu machen und den scheinbar so sattelfesten Diktator Hosni Mubarak nach 30 Jahren an der Macht vom Thron zu stürzen. Heute ist von der Anfangsromantik der Revolution wenig zu spüren: Um den dritten Jahrestag der Revolution vom 25. Jänner 2011 wurde das Land von einer Serie von Bombenanschlägen heimgesucht, welche in der Bevölkerung Angst und Schrecken verbreiten. Regimekritische Proteste werden niederenknüppelt und für politische Querdenker gibt es immer weniger Raum. Das Land ist polarisierter denn je, der repressive Sicherheitsapparat durchdringt die Gesellschaft in alter Gewohnheit und der Ruf nach einem starken Führer, der das Land mit sicherer Hand aus der Krise leitet wird lauter und lauter.
Nicht ohne Grund wurde Ägypten von Reportern ohne Grenzen kürzlich gleich hinter Syrien und dem Irak als das drittgefährlichste Land der Welt für JournalistInnen bezeichnet: Wer hier nicht der Propaganda des Militärs folgt wird schnell beschuldigt terroristische Elemente zu unterstützen und riskiert Haft, Prügel, vielleicht gar sein Leben. Eine ganze Reihe von ReporterInnen internationaler Medien kann davon ein leidvolles Lied singen: Kritische Berichterstattung wurde in den vergangenen Monaten immer gefährlicher. Folgt man nicht der Linie des Regimes wird man schnell der Unterstützung des Terrorismus beschuldigt und immer öfter in den regimetreuen Medien und von aufgebrachten Mobs angefeindet.
Als vor drei Jahren die Proteste auf den Straßen Ägyptens ihren Anfang nahmen war die Atmosphäre noch eine ganz andere: Auch damals spielte Abgrenzung eine wichtige Rolle: Präsident Mubarak verkörperte dabei den gemeinsamen Gegner der Revolution. Sein Gesicht wurde zum einenden Element für eine Bewegung, die heterogener wohl kaum sein hätte können: Unabhängig von sozialer Herkunft, politischer Orientierung und Religion verband diese Menschen ein Verlangen nach einem Leben in Würde, in einem Staat dessen Ungleichheitsschere sich in den vergangenen Jahren fast ins Unermessliche hin geöffnet hatte. Damals war die Forderung nach „Brot, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit“ in aller Munde und die ÄgypterInnen waren ein Volk, das voller Zuversicht und Selbstsicherheit in die Zukunft blickte. Heute ist das Bild dramatisch anders: Rufe nach Sicherheit überschatten die ursprünglichen Forderungen. Die verfehlte Politik der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit der Muslimbrüder und die systematische Propaganda des Militärregimes haben dabei volle Arbeit geleistet: Nicht nur Islamisten, sondern alle die von der Linie des Militärs abweichen, werden plötzlich als Bedrohung wahrgenommen. Daraus ergibt sich eine gewisse Nostalgie für die Verhältnisse unter Mubarak: „Mubarak hat dieses Land und sein Volk verstanden. Wir Christen hatten es unter ihm in jeder Hinsicht besser. Ich wünsche mir, dass Abdel Fatah As-Sissi Präsident wird und dieses Land zu alten Verhältnissen zurückführt.“, erzählte mir heute Morgen der aufgebrachte Fahrer eines Sammeltaxis am Rande eines Gesprächs über die sozialen Proteste in Bosnien.
Das ganz zentrale Thema der Revolution war und bleibt jedoch der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit. Weder das Militär noch die Muslimbruderschaft haben es bislang verstanden diese Anliegen zu beantworten. Inwiefern die Zustimmung zu Feldmarschall as-Sissi eine derart hohe bleibt, wird er tatsächlich der nächste Präsident Ägyptens werden, bleibt daher abzuwarten. Einmal mehr wird in Ägypten der Versuch unternommen die Revolution an einem einzelnen Gesicht fest zu machen. All diese Bemühungen sind in der Vergangenheit gescheitert. Diese Revolution ist kein linearer Mechanismus, sondern ein Prozess voller Widersprüche. In dieser Revolution geht es nicht um die Personen wie Hosni Mubarak, Mohammed El Barradei oder Mohammed Mursi. Hier geht es um soziale Werte, die man nicht an einer einzelnen Person festmachen kann, sondern die eine ganze Region und die Welt bewegen. Trotz aller Gewalt, der unzähligen Toten und des vielen Leides hat diese Revolution bis heute eine zutiefst menschliche Qualität. Sie war in ihrem Kern nie ein Ruf nach mehr Sicherheit und einem starken Führer, auch wenn dieses Anliegen im Moment mehrheitsfähig sein mag. Es bleibt also abzuwarten ob auch für Abdel Fatah As-Sissi das alte Sprichwort gilt: „Die Revolution frisst ihre Präsidenten.“
Adham Hamed ist Friedens- und Konfliktforscher und Projektkoordinator für Shabka im Nahen Osten und Nordafrika. Er ist Herausgeber des im Frühjahr in Zusammenarbeit zwischen dem Wiener Verlag für Sozialforschung und Shabka erscheinende Buches “Revolution as a Process – The Case oft the Egyptian Uprising”.