Wie Riot ist Pussy?

Unmittelbar nach ihrer Freilassung haben sich Pussy Riot Aktivistinnen für die Präsidentschaftskandidatur des ebenfalls aus dem Gefängnis entlassenen Kreml-Kritikers Michail Chodorkowski ausgesprochen.  Ein guter Anlass zu einer grundlegenden Frage: wie Riot ist Pussy?

Die Punk-Gruppe Pussy Riot ist mehr eine Bewegung als eine Band. Ihre Mitglieder heißen  “Blondie”, “Terminator”, “Garage”, “Seraphim”, “die Katze” oder “Schumacher”. Es dürfte mehrere dutzend Aktivistinnen geben, die sich an verschiedensten Aktionen beteiligten.  Eine ihrer bekanntesten war das Aufmalen eines riesigen Penis auf eine der Hängebrücken über die Newa in St. Petersburg. Als die Brücken in der Nacht hochgezogen wurden, bekamen die PolizistInnen des Geheimdienstes FSB in den gegenüberliegenden Büros eine deutliche Botschaft, was viele Menschen von ihren halten.  (Mehr dazu hier)

Schließlich richteten sich ihre Aktionen immer klarer gegen die Regierung und den eng mit ihr verbundenen orthodoxen Klerus.  Ihr bekannter Tanz in der Kirche brachte sie schließlich ins Gefängnis.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=ALS92big4TY]

Als Pussy Riot Aktivistinnen schließlich verurteilt wurden, war der Aufschrei groß. Der westliche liberale Mainstream hatte mit den jungen Müttern einen weiteren Grund zur scheinbaren Empörung über die russische Regierung gefunden – was wohl eher mit unterschiedlichen strategischen und wirtschaftlichen Interessen zusammenhängt: Immerhin hat der Westen ganz allgemein wenig Probleme mit Menschenrechtsverletzungen in Ländern, die mit ihm verbündet sind.

Von Freunden und Feinden

Glaubwürdiger protestierten viele fortschrittliche Menschen. Diese sind nun – und durchaus zurecht – vor den Kopf gestoßen. Denn Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Alechina sprachen sich unmittelbar nach ihrer Freilassung für die Präsidentschafts-Kandidatur eines der wichtigsten russischen Oligarchen der letzten zwanzig Jahre aus.

Michail Chodorkowski war einer der großen Gewinner des Ausverkaufs von russischem Staatsvermögen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.  Gegen Ende der 1990er galt er als reichster Mann Russlands. Gleichzeitig präsentierte er sich immer stärker als „Mann des Westens“ und Gegengewicht zur Regierung Putin.  Der Fischer Weltalmanach zitiert ihn damit, dass er nicht nur Parlamente, sondern auch Wahlergebnisse kaufen könne.

Chodorkowskis Machtansage beantwortete die Putin-Administration, indem sie ihn ab Oktober 2003 für zehn Jahre ins Gefängnis warf. Möglicherweise gab es dafür sogar gute Gründe im Dreck der Bereicherung an der Privatisierungswelle der 1990er. Doch die Gründe des Kreml lagen natürlich im eigenen Machterhalt.

Dennoch: die zwei Pussy Riot Mitglieder haben hier nach einem klassischen Muster agiert, nämlich, dass der Feind meines Feindes mein Freund sei. Und das ist im Falle des Privatisierungsgewinnlers Chodorkowski doch eher zweifelhaft. Gleichzeitig folgen Tolokonnikowa und Alechina damit einem Muster, das in Teilen der russischen Linken sehr bekannt ist, nämlich einem positiven Bezug auf jede Opposition gegen den Kreml, egal aus welcher Richtung sie kommen möge.  

Seltsame Orte für das Spiel mit dem Kapitalismus

Nadeschda Tolokonnikowa führte aus dem Gefängnis heraus einen Briefwechsel mit dem marxistischen Philosophen Slavoj Žižek, wo sie sich in vielerlei Hinsicht, aber durchaus antikapitalistisch positionierte (Ein Auszug in englischer Übersetzung findet sich hier) Gleichzeitig aber schrieb Tolokonnikowa:  “Nicht mit den Fäusten, wie die alten Linken werden wir den Kapitalismus pauschal zurückweisen, produktiver wäre es, mit ihm zu spielen.”

Dieses Spiel allerdings führt Tolokonnikowa an seltsame Orte. So bezog sie sich auch positiv auf den russischen Nationalisten Alexei Nawalny. Nawalny wurde bekannt als bürgerlicher Kämpfer gegen Korruption, ab 2011 aber begann er immer stärker, nationalistische Phrasen zu verwenden. In einem Video verglich er Menschen aus dem Kaukasus mit Kakerlaken, die allerdings im Gegensatz zu diesen Insekten erschossen gehörten und nicht mit der Fliegenklatsche getötet.

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Die russische Linke

Diese seltsame Solidarisierung von Pussy-Aktivistin Tolokonnikowa ist leider kein Einzelfall. Sie hat sehr viel mit der Entwicklung der russischen Linken nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu tun, die sich in ihrer Mehrheit positiv auf die alte UdSSR bezieht.

Die sogenannte Kommunistische Partei marschiert gemeinsam mit NationalistInnen und vertritt großrussische und chauvinistische Positionen, manchmal gewürzt mit einer Prise Antisemitismus. Auf vielen Demonstrationen ist es üblich, dass NationalistInnen mit den StalinistInnen gemeinsame Sache machen. Die sogenannten „Nationalbolschewiken“ bringen diese Allianz dann endgültig zusammen: sie sind schlicht FaschistInnen, die Fahnen im Stil der NSDAP verwenden, in der Mitte findet sich statt dem Hakenkreuz absurderweise allerdings Hammer und Sichel.

Der Autor dieser Zeilen erlebte Anfang der 1990er in Moskau selbst, wie eine alte KP-Anhängerin einigen Aktivisten ein empörtes „Israel, Zion, Trotzki“ entgegenschleuderte, als diese  Flugblätter einer Organisation in der Tradition des  antistalinistischen Kommunisten Leo Trotzki verteilten.

Andere Teile der Linken wiederum gehen einen anderen Weg: In ihrem Bestreben, sich vom Stalinismus und auch von der Putin-Despotie abzugrenzen, beginnen sie, auch rechte Kreml-Kritiker zu verteidigen. Und in diesem Umfeld ordnen sich nun auch Pussy Riot ein.

Daneben allerdings gibt es auch eine dritte Linke in Russland. Es sind unabhängige GewerkschafterInnen, Links-SozialistInnen, Öko- und LGBT-AktivistInnen, TrotzkistInnen, AnarchistInnen und viele andere.

Auch aus diesen Organisationen wurden Pussy Riot übrigens konsequent verteidigt. Und diese Organisationen unterliegen ebenfalls scharfer Repression durch die Machthaber, so etwa durch die Anti-Schwulen-Gesetze, im jahrelangen Kampf gegen die Verbauung des Moskauer Stadtwaldes oder bei Polizei-Aktionen gegen Occupy-AktivistInnen im Frühjahr 2012. Diese vielfältigen Strukturen mögen weniger brauchbar sein für einen Medien-Hype. Doch sie sind mindestens so Riot wie Pussy.

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