Das Schreckgespenst aus Osteuropa

Mit dem 1. Jänner 2014 haben rumänische und bulgarische BürgerInnen vollen Zugang zum EU-Arbeitsmarkt bekommen. In einigen EU-Ländern macht sich die Angst vor einem Ansturm breit und führt zu fragwürdigen Forderungen.

„Romabanden“ und „aggressive Bettler“ – wenn es um  Bulgarien oder Rumänien geht, wird gerne tief in die Stereotypen-Kiste gegriffen. An Schreckensszenarien wird selten gespart. Die beiden Länder haben nach einer siebenjährigen Übergangsfrist nun uneingeschränkten Zugang zum EU-Arbeitsmarkt bekommen. Doch schon im Vorfeld wurde heftig über die möglichen Folgen für den Sozialstaat, etwa in Großbritannien debattiert. Dort zeigt sich die Innenministerin Theresa May besorgt über eine angeblich drohende „rumänische Kriminalitätswelle“. Premierminister David Cameron möchte die Freizügigkeit innerhalb der EU vom Wohlstand des Herkunftslandes abhängig machen, um so „Wohlfahrtstourismus“ zu unterbinden. Cameron kündigte auch eine Einschränkung beim Zugang zu Sozialleistungen für Neuzuwanderer an, um so gegen einen vermeintlich bevorstehenden „Ansturm“ auf das Sozialsystem vorzugehen. Doch dass die Ängste wie so oft an der Realität vorbei gehen, zeigt etwa die Tatsache, dass Rumänien und Bulgarien zwar stark von Auswanderung betroffen sind, jedoch mit positiven Folgen für Einwanderungsländer, wie z.B. Deutschland. So wandern vor allem gut qualifizierte Arbeitskräfte wie ÄrztInnen, IngeneurInnen und andere SpezialistInnen in westliche Länder aus. Klaus F. Zimmermann vom „Institut zur Zukunft der Arbeit“ spricht von Stimmungsmache und meint, es könne nicht von massenhafter Zuwanderung aus Armut in die deutschen Sozialsysteme die Rede sein. (Quelle)

Kein Kindergeld für „Armutszuwanderer“

Die öffentliche Debatte zeichnet aber ein anderes Bild der Realität ab. In Deutschland zeigt sich die Politik besorgt über den neue Freizügigkeit Rumäniens und Bulgariens und erwägt Einschränkungen im Zugang zu finanziellen Leistungen, nach britischem Vorbild. Die christlich-soziale CSU fordert schärfere Regeln gegen „Armutszuwanderung“.

Der CSU-Politiker Hans-Peter fordert, das Kindergeld für Eltern zu streichen, deren Kinder sich nicht in Deutschland aufhalten. Innerhalb der EU ist es für EU-BürgerInnen möglich Familienleistungen für Kinder zu beziehen, die in einem anderen EU-Land leben (EU-Verordnung Nr. 884/2004). Vereinfacht gilt: dort wo gearbeitet wird, dürfen Familienleistungen bezogen werden. Wenn also jemand in Deutschland arbeitet, mit welcher Begründung soll der Zugang zu finanziellen Leistungen für seine/ihre Kinder eingeschränkt werden? Oder anders formuliert: wieso sollte Bulgarien oder Rumänien Familienleistungen an Personen zahlen, die in einem anderen Land arbeiten? Wenn man aber die Forderung zu Ende denkt, stellt sich zwangsläufig die Frage: wird dann der Familienzuzug nach Deutschland für rumänische und bulgarische Kinder erleichtert werden? Wohl kaum. Das Bundesfamilienministerium bestätigt dies bereits: eine solche Einschränkung beim Kindergeldbezug sei aus verfassungs- und europarechtlichen Gründen nicht möglich.

EU-Kommission rechnet mit Wohlstand

Dass solche Forderungen mehr auf Ressentiments und heraufbeschworenen Schreckensszenarien beruhen als auf Tatsachen, liegt auf der Hand. Schon bei früheren EU-Erweiterungen haben sich diese Befürchtungen als unbegründet erwiesen. Eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt schließlich zu dem Schluss, dass Länder wie Deutschland von rumänischer und bulgarischer Zuwanderung stark profitieren. Auch die EU-Kommission zeigt sich optimistisch:  der EU-Sozialkommissar Laszlo Andor sieht darin eine große Chance den Arbeitskräftemangel in einigen Branchen in Deutschland zu beseitigen.

Nach der siebenjährigen Wartefrist für Rumänien und Bulgarien sind die letzten bürokratischen Hürden überwunden. Doch europäische PolitikerInnen fordern neue Einschränkungen. Es ist abzuwarten, welchen Folgen die Freizügigkeit Rumäniens und Bulgariens für die EU letztendlich haben wird. Bis dahin wird in Europa weiterhin die Angst vor dem Schreckgespenst aus Osteuropa geschürt.

Ayper Cetin ist Leiterin des Ressorts Migration bei Shabka. [email protected]

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