Afghanistan – Start Up für ein Krankenhaus

Es ist keine Sensationsmeldung, wenn fast neun Jahre nach der Grundsteinlegung ein Provinzkrankenhaus eröffnet wird – oder doch? Denn der Ort des Geschehens ist ein entlegenes Dorf in Afghanistan. Nach zähen Verhandlungen um Finanzierung, Auslastung, Infrastruktur und Organisation hat ein mit afghanischer Eigeninitiative und österreichischer Hilfe gestiftetes Krankenhaus in der zentral-afghanischen Provinz Parwan im Sommer 2013 zunächst einen Teilbetrieb aufgenommen und wird bereits von PatientInnen überschwemmt. Rund 200 PatientInnen kommen pro Tag in das „Sheikhali Hospital“ vorrangig Frauen und Kinder. Das Personal arbeitet bis spät in die Nacht – doch das Krankenhaus arbeitet längst nicht mit voller Kapazität.

In der Gebirgsregion nordwestlich von Kabul zieht sich entlang des Ghorband-Flusses ein Tal, das schließlich in einer Enge zwischen 3- und 4000 m hohen Gebirgsketten endet, die nur über hohe Pässe zu überwinden sind. Dahane-Djarf heißt diese Stelle im Bezirk Sheikhali, wo nur noch einige Dörfer und verstreute Bauernhöfe an den Hängen kleben. Eine private Initiative führte zu dem Entschluss, genau dort ein modernes Krankenhaus zu bauen. Dessen Einzugsgebiet umfasst allerdings bis zu 200.000 Menschen, da PatientInnen nicht nur aus den umliegenden Orten und Tälern, sondern auch aus den Nachbarprovinzen zu erwarten sind.

Alles ein Wagnis

Gewagt war das Unternehmen dennoch, denn bis vor drei Jahren war diese Gegend nur über eine unbefestigte Straße zu erreichen, deren Verlauf entlang des Flusses etwa mit einer Achterbahn zu vergleichen ist. Mittlerweile ist sie ausgebaut; sie führt durch die Talenge, ist für weitere 10 km bis zum 3000 m hohen Shebar-Pass asphaltiert und verbindet die Hauptstadt Kabul mit Bamian in Zentral-Afghanistan. Vor dem Ausbau der Straße musste das gesamte Baumaterial auf der steinigen Buckelpiste herangeschafft werden; einige Container kamen mit dem Hubschrauber an die Baustelle, sofern solche Dienste verfügbar waren. Im Winter war die Straße häufig unpassierbar, und selbst unter normalen Bedingungen dauerte die Autofahrt von Kabul zu dem ca. 160 km entfernten Ort einen guten halben Tag. Auch jetzt braucht man für die Strecke rund vier Stunden – waghalsige Kurven, gefährliche Wegstrecken, Weidetiere und landwirtschaftlicher Verkehr – auch in Form von Nomadenzügen – sind zu berücksichtigen.

Die Stromversorgung hat den Ort noch nicht erreicht; die neue, erst seit ein paar Jahren bestehende Starkstromleitung von Usbekistan nach Kabul passiert zwar die Provinzhauptstadt von Parwan, Tscharikar, doch bis in das ferne Tal wurde noch keine Stromleitung gelegt. Mit zwei Generatoren, ein großer für den Spitalsbedarf und ein kleinerer für die Beleuchtung, hat man diesen gravierenden Mangel überbrückt, in der Hoffnung, in den nächsten Jahren an das Stromnetz angeschlossen zu werden. – Natürlich hat man auch daran gedacht, Sonnenenergie zu nutzen, doch müsste eine solche Investition gut geplant werden – nicht zuletzt wegen der Wartung unter den extremen geografischen und klimatischen Bedingungen.

Auch die Wasserversorgung war nicht einfach zu bewerkstelligen. Zwar fließen hier reichlich Bäche von den Bergen, solange es Schmelzwasser gibt, doch mit dem kostbaren Nass bewässern die Bauern ihre kargen Terrassenfelder an den Berghängen. Und Oberflächenwasser ist wegen der Verunreinigungen durch Tierhaltung und Haushaltsabwässer problematisch. Es galt also, einen Brunnen zu schlagen. Wasser fand sich in 20 m Tiefe, der Schacht wurde jedoch 40 m tief gebohrt, um auch in den trockenen Sommern die Wasserversorgung zu sichern. Schließlich musste noch eine Schutzmauer am Berghang gebaut werden, um einer möglichen Überflutung des Spitalsareals durch Sturzbäche nach der Schneeschmelze und Regenzeit vorzubeugen.

Trotz all dieser Widrigkeiten und extremer Witterungsverhältnisse – und den extra Kosten, die dadurch verursacht wurden – gingen die Bauarbeiten relativ zügig voran. Im Jahr 2008 war der Bau fertig; der österreichische Baumeister, August Jammarnegg, ist inzwischen verstorben. 2009 stand schließlich ein fertiges Krankenhaus an Ort und Stelle, mit 42 Betten und kompletter Ausstattung, sauberen Sanitäreinrichtungen, einem einfachen Labor, einer Entbindungsstation und Ambulanzräumen. Vieles an Ausrüstung war von österreichischen Stellen gespendet worden. Doch…

Es fehlten Ärzte und Ärztinnen!

Dieses gravierende Problem bereitet dem Initiator des Krankenhauses, dem österreichisch-afghanischen Geschäftsmann Hosain Bakhsh, und seinem Team vor Ort noch immer das meiste Kopfzerbrechen. Welches medizinische Personal würde bereit sein, in dieser einsamen und entlegenen Gegend einen Job anzunehmen? Zwar ist Parwan keine „Unruheprovinz“, wirklich sicher ist allerdings auch dieses Terrain nicht. Auf dem nicht weit entfernten Shebar-Pass wurde 2007 eine afghanische Journalistin von Aufständischen getötet, 2006 ereilte zwei Journalisten auf der Straße durch das Ghorband-Tal dasselbe Schicksal. Auch gibt es immer wieder Berichte über lokale Gewaltakte, die die starke internationale und nationale Truppen- und Polizeipräsenz nicht verhindert hat.

Planung und Infrastruktur

Zunächst aber galt es, das private Krankenhausprojekt in die Planungsstruktur des afghanischen Gesundheitswesens zu integrieren. Trotz des lokalen Bedarfs gestaltete sich dies verwaltungstechnisch schwierig. Einer rigiden Administration etwas zu „schenken“, das im geplanten Netz von Distriktkrankenhäusern und lokalen Gesundheitszentren nicht aufschien und im System sozusagen einen „Sonderplatz“ einnehmen würde – das erwies sich als organisatorischer Hürdenlauf. Wobei natürlich auch das Geld eine maßgebliche Rolle spielte und spielt. Denn das Krankenhaus war zwar mit privaten Mitteln des Stifters erbaut und mit Spenden zahlreicher österreichischer Stellen ausgerüstet worden – nun ging es darum, den Betrieb nachhaltig zu finanzieren. Dass nur die wenigsten PatientInnen für die Behandlung bezahlen können, war von Anfang an klar – es könnte bestenfalls ein symbolischer Beitrag sein.

Hinzu kommt, dass die Planung der afghanischen Gesundheitsbehörden auch durch gut gemeinte, aber unproportional ausgelegte Krankenhausprojekte verschiedener Geberländer oder Hilfsorganisationen konterkariert wird. Beispiele dafür sind ein Krankenhaus in Gardez in der südöstlichen Provinz Paktia und ein weiteres in Paktika, einer Grenzprovinz zu Pakistan. Ein US-amerikanischer Audit-Bericht stellt kritisch fest, dass die beiden großen, von der USAID [2. US-Entwicklungsagentur] finanzierten Krankenhäuser wohl kaum mit dem erforderlichen Personal besetzt werden können, weil sogar in bereits vorhandenen Provinz-Spitälern wichtige ÄrztInnen-Posten vakant sind – und das zum Teil schon seit Jahren.

Das nun eröffnete Sheikhali-Spital in Dahane-Djarf ist zwar größenmäßig an den lokalen Bedarf angepasst, jedoch mangelt es an Infrastruktur.

Einige Daten zur Gesundheitsversorgung in Afghanistan: (IPPNW 2010)

Für 10.000 Einwohner stehen 2 ÄrztInnen und 4,2 Spitalsbetten zur Verfügung. 80 % der ÄrztInnen arbeiten in der Hauptstadt Kabul, dort befinden sich auch ca. 60 % der Spitalsbetten und 40 % der Apotheken.

Nur ca. 66 % der Landbevölkerung hatten 2010 Zugang zu medizinischer Versorgung. Nach neueren Angaben gibt es jedoch für 85 % der Bevölkerung eine medizinische Grundversorgung, teils durch mobile Kliniken. Entlegene Gebiete sind durch schwierige Transportwege stark unterversorgt. (Link)

Die Mutter-Kind-Sterblichkeitsrate ist unter den weltweit höchsten, nur bei 19 % der Entbindungen steht medizinisches Personal zur Verfügung (lt. UNICEF 2010 nur bei 14 % – Link)

Jedes Jahr sterben etwa 24.000 Frauen vor, während oder kurz nach der Geburt. Nach Schätzungen der WHO ist die Müttersterblichkeit seit 1995 von 1300 pro 100.000 auf 460 zurück gegangen (Mittlere Inter-Agency-Schätzungen lt. WHO, 2010).

Etwa jedes 10. Kind ist unterernährt; jedes sechste Kind stirbt vor dem 5. Lebensjahr. (Link) Laut WHO 2009 stirbt jedes 10. Kind vor Erreichen des 5. Lebensjahres.

Finanzierung

Angesichts dieser schwierigen Verhältnisse verlangt ein gut ausgebildeter Arzt bis zu 2000 US-Dollar pro Monat, um in Dahane-Djarf zu arbeiten. Es gibt entsprechende Ausschreibungen, um eventuell auch Ärzte aus Indien anzuwerben. Zum Vergleich: in einem Krankenhaus in der Hauptstadt Kabul bekommen ÄrztInnen rund 70 Dollar im Monat; viele führen daneben eine private Praxis, womöglich mit Hausapotheke, was ihnen zusätzliche lukrative Einkommensquellen verschafft. Dass Ärzte dann oft nur bis Mittag im Krankenhaus Dienst tun und viele Patienten zur Weiterbehandlung an ihre Praxen verweisen, wird von den Behörden stillschweigend toleriert.

In dem fernen Winkel von Dahane-Djarf funktioniert das jedoch nicht. Das medizinische Personal muss ausreichend bezahlt werden, um vor Ort zu bleiben. Nach langen, ergebnislosen Verhandlungen mit potentiellen Unterstützern musste sich der Initiator des Projekts, Hosain Bakhsh, verpflichten, die Gehälter des Personals für zwei Jahre zu übernehmen – das beläuft sich auf 15.000 bis 20.000 US-Dollar monatlich. Derzeit arbeiten im Krankenhaus ein Chirurg und ein Internist, die am Wochenende in ihre Heimatorte in der Provinz Parwan fahren, eine Hebamme und drei Krankenschwestern, die beim Krankenhaus wohnen, ein Kinderarzt, der zu gewissen Ordinationszeiten anwesend ist, zwei Helferinnen, ein Pharmazeut für einfache Laboruntersuchungen, sowie ein Buchhalter vor Ort und ein Verwalter, der zwischen Kabul und Dahane-Djarf hin- und her pendelt. Außerdem gibt es noch einen Krankenpfleger und Notarzt in einer Person, der eine dreimonatige Kurzausbildung des afghanischen Gesundheitsministeriums absolviert hat. Hinzu kommen zwei Männer als Wachpersonal und eine Person am Aufnahme- und Informationsschalter. Sie alle erhalten moderate Gehälter nach afghanischem Standard. Als Wohnmöglichkeiten für das Personal wurden einfache Häuser errichtet.

Um das Krankenhaus endlich in Betrieb nehmen zu können, hat sich das afghanische Gesundheitsministerium verpflichtet, die Kosten für Medikamente, das Essen für stationäre PatientInnen sowie die Heizkosten und den Aufwand für Spitalskleidung für zwei Jahre zu übernehmen. Doch immer wieder muss der Geschäftsmann und Initiator Hosain Bakhsh auch hier etwas zuschießen, um die Versorgung zu gewährleisten. Und wie es nach den ersten zwei Jahren weitergehen wird, ist ungewiss. Derzeit kommen pro Tag rund 200 Patienten – darunter besonders viele Frauen und Kinder. Das Personal – in erster Linie die ständig anwesende Hebamme und die Krankenschwestern – arbeiten täglich bis spät abends, um den Ansturm zu bewältigen. Jede und jeder muss flexibel sein und auch Arbeiten unter und manchmal sogar über ihrer oder seiner Qualifikation ausführen.

Doch der Optimismus ist groß, und dass die neue Gesundheitseinrichtung dringend gebraucht wird, hat sich mehr als erwiesen. Nun gilt es, ausreichend Personal bereitzustellen, damit die vielen ambulanten und stationären PatientInnen entsprechend versorgt werden können. Hosain Bakhsh, dem Stifter des Krankenhauses liegt es am Herzen, den Menschen seiner Heimat – gerade in jener unterversorgten Gegend, in der er geboren wurde – medizinische Behandlung zu ermöglichen. Das humanitäre Engagement der zahlreichen SpenderInnen und ehrenamtlichen UnterstützerInnen ist die stärkste Motivation, medizinischer Einsatz und organisatorisches Know-how sind ebenso gefragt.

Allen Stellen und Privatpersonen, die die Realisierung dieses Projekts ermöglicht und das Krankenhaus materiell und ideell unterstützt haben bzw. unterstützen, sei an dieser Stelle im Namen der Menschen, die dort ärztliche Hilfe finden, herzlich gedankt!

Quellen (Infobox):

IPPNW (2010): Schätzungen. Internat. Ärzte f. d. Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), Medizinische Versorgung in Afghanistan, Jan. 2010;

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