Nelson und ich … und die aktuelle Situation in Südafrika

Als ich 14 war, hatte ich einen Freund, ich weiß seinen Namen nicht mehr, wie das oft so ist bei Teenagerfreundschaften. Wir lachten, wir lernten, wir prügelten uns um die selbe Frau – was im übrigen taktisch unklug war, er war damals zwei Köpfe größer als ich (gekriegt haben wir sie trotzdem beide nicht).

Vor allem über Politik aber stritten wir bis aufs Blut. Er war Südafrikaner, er war weiß und er war ein überzeugter Verfechter der Apartheid. Mein erstes politisches Referat hielt ich in unserer Schulklasse, um gegen die Apartheid aufzutreten.

Der Boykott von Obst aus Südafrika (damals ein wichtiges Thema) war selbstverständlich – auch wenn mir der Verzicht auf die geliebten Granny Smith Äpfel sehr schwer fiel. Chile war in der Öffentlichkeit leider kein Thema, doch schon bald kamen dann auch keine Packhams-Birnen mehr ins Elternhaus.

Ein Jahr später, es wird wohl mein erstes politisches Festival überhaupt gewesen sein, war ich auf einem Südafrika-Solidaritätskonzert der linksoppositionellen SJ Favoriten auf einer Wiese irgendwo im zehnten Hieb.

Dort kaufte ich mir dann meine erste politische Ausrüstung: einen Button, ein T-Shirt mit der Bitte um Solidarität für den südafrikanischen Gewerkschaftsdachverband COSATU und eine Tasche mit der Aufschrift „Unterstützt die Frontstaaten! Boykottiert Südafrika!“ Gemeint waren mit den Frontstaaten vor allem die linken Regierungen in Angola und Mocambique, die den Kampf gegen die Apartheid unterstützten und selbst militärisch von Südafrika bekämpft wurden.

Der Kampf gegen die Apartheid wird international – und entpolitisiert

Immer stärker wurde auch die Öffentlichkeit auf das Leid in Südafrika aufmerksam. Ein Höhepunkt war sicher 1988 das Free-Nelson-Mandela Konzert im Wembley Stadion, das per TV rund 600 Millionen Menschen mitverfolgten. Ich erinnere mich bis heute an die Schauer, als die Eurythmics – bekannt für „Sweet Dreams“ – ihr „Freedom in South Africa“ anstimmten.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=SA4-T1dPIxU&feature=player_detailpage#t=169]

und vor allem natürlich an das wunderbare „Free Nelson Mandela“ der „Specials“

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=AgcTvoWjZJU]

Diese breite Öffentlichkeit hatte einerseits sehr positive Aspekte: immer mehr Konzerne zogen sich als Reaktion auf Proteste aus dem Apartheid-Südafrika zurück oder mussten ihr Engagement in Südafrika rechtfertigen, darunter die Deutsche Bank, Daimler oder GM. Andererseits aber wurde der Protest dadurch auch entpolitisiert. Es ging nun um Freiheit für den „Menschenrechtler“ Nelson Mandela. Die Hintergründe der Apartheid wurden ausgeblendet.

Kein Wort mehr davon, dass es auch in Europa begeisterte Unterstützung für die Apartheid gab. So erschienen im Jahr 1987 Mitglieder der Young Conservatives, der Jugendorganisation von Maggie Thatchers Conservative Party, auf einem Parteitag mit „Hängt Nelson Mandela!“-Abzeichen. So erklärte Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauss: „Die Politik der Apartheid beruht auf einem positiven religiösen Verantwortungsbewußtsein für die Entwicklung der nichtweißen Bevölkerungsschichten.“ Und so wurde Südafrika als verlässlicher Verbündeter im Kampf gegen ein rotes Bollwerk an der Südspitze Afrikas geschätzt.

Ein Guerilla-Offizier als Zeuge für gewaltfreien Widerstand?

Young_MandelaEbenfalls auffällig war, dass Mandelas politischer Hintergrund ausgeblendet wurde und wird. So schreibt „Österreich“ in seinem Nachruf am 06.12. vom Vorkämpfer des „gewaltfreien Widerstands“. Was für ein Unsinn! Mandela war ein Führer der Guerilla-Organisation Umkhonto we Sizwe oder MK, auf Deutsch Speer der Nation. Der MK war vom ANC und der SACP, der Kommunistischen Partei, für den bewaffneten Kampf gegen das Regime gebildet worden. Als MK-Offizier wurde Mandela vom Apartheid-Regime auch verfolgt und verhaftet.

Mandela bezahlte einen hohen Preis. Er blieb für 27 Jahre inhaftiert, davon 18 auf der berüchtigten Gefängnisinsel Robben Island. Er blieb in dieser Zeit standhaft und ließ sich nicht vom Regime kaufen.

Hier singt Mandela übrigens gemeinsam mit Mitgliedern des MK und der SACP die Hymne des MK:

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=fcOXqFQw2hc]

(Bitte ignoriert die offensichtlich rechten Kommentare bzw. Einblendungen. Auch die Übersetzung ist problematisch. Ama-Bhulu steht für die holländisch-burische Oberschicht, nicht allgemein für Weiße.)

Die Apartheid fällt

Es ist sicher kein Zufall, dass die Apartheid ab schrittweise 1990 fiel, also nach dem Zusammenbruch des Stalinismus. Erst dann war für die westlichen Eliten ein „schwarzes“ Südafrika akzeptabel – weil es eben mangels internationaler Verbündeter unwahrscheinlich war, dass es ein „rotes“ Südafrika werden würde.

Für mich, ich war bereits ein junger Aktivist der trotzkistischen „Vorwärts“-Strömung, ruhten die Hoffnungen auf unseren GenossInnen des linksoppositionellen „Congress Militant“ innerhalb des ANC. Mit ihrer Zeitung Inquaba ya Basebenzi versuchten sie, den ANC und die mit ihm verbündete SACP nach links zu pushen. Doch leider vergeblich: Der ANC und die SACP genossen durch ihren aufopferungsvollen Kampf gegen die Apartheid enormen Rückhalt in der Bevölkerung, kritische Fragen wurden nicht gern gehört.

Stattdessen wurde Südafrika auf kapitalistischer Grundlage weiter betrieben. Es gab die sogenannten Wahrheitskommissionen, wo die ehemaligen Folterknechte und Mörder des Regimes aussagten und dafür straffrei davon kamen, eine unglaubliche Enttäuschung nicht nur für uns, sondern auch für viele in Südafrika.

Mandela hat hier leider eine wichtige Rolle gespielt. Als ehemaliger Guerilla-Offizier, als wichtigster politischer Gefangener und auch – was hierzulande kaum bekannt ist -, als hoher Adliger der Xhosa Volksgruppe (die das Rückgrat des ANC bildete) hatte er die Autorität, die schwarze Bevölkerungsmehrheit mit dieser Entwicklung auszusöhnen.

Südafrika heute

Die zentralen sozialen Fragen wurden nicht gelöst. Das Leben in den Townships, etwa im berühmten SOWETO (South West Township) in der Nähe von Johannesburg, ist immer noch elend. Die ehemaligen VeteranInnen des MK haben keine ausreichende Entschädigung erhalten. Die Bosse sind immer noch reich und die ArbeiterInnen haben immer noch unzumutbare Bedingungen.

Gleichzeitig sind aber auch schwarze Mittelschichten entstanden, oft gebildet aus ehemaligen Kadern des ANC, die korrumpiert worden sind. Persönlich vielleicht nachvollziehbar nach einem Leben im Untergrund voller Entbehrungen, doch nichtsdestrotrotz inakzeptabel.

Auch die SACP, bis heute mit dem ANC und dem COSATU in der Tripartite Allianz aufs engste verbunden und Teil der Regierung, spielt keine progressive Rolle – im Gegenteil, sie hält soziale Proteste zurück und bildet die linke Absicherung der ANC-Regierung.

Widerstand von Links

Doch in jüngster Zeit bleibt diese Politik nicht mehr unwidersprochen. Vor allem zwei neue Formationen erregen landesweite Aufmerksamkeit: zum einen die „Economic Freedom Fighters“ rund um den ehemaligen ANC-Jugendvorsitzenden Julius Malema. Sie haben eine sehr sozialradikale Rhetorik, doch Malema selbst regiert die EFF mehr oder weniger diktatorisch und es gibt auch Korruptionsvorwürfe gegen ihn.

Zum anderen und vor allem ist der Aufstieg der WASP, der Workers and Socialist Party bemerkenswert.

Die WASP wurde vom trotzkistischem „Democratic Socialist Movement“ gegründet, den umbenannten GenossInnen des Congress Militant aus der Zeit des Widerstands gegen die Apartheid. Die WASP hat es geschafft, sich substantiell in den Bergbaugebieten zu verankern und einige erfolgreiche und große Streiks mit angeführt.

Eine Initialzündung für die WASP war sicher das Massaker von Marikana, wo die ANC-geführte Polizei im August 2012 mindestens 34 streikende Arbeiter ermordet hat. Mehr etwa hier.

In diesen Gebieten hat die WASP nun auch ihre größte Unterstützung, einige Impressionen etwa hier.

Es gibt nun einen Spendenaufruf für die WASP, dem ich mich gern anschließen möchte – damit beendet wird, was 1990 begann: nämlich die tatsächliche Befreiung der südafrikanischen schwarzen Bevölkerung von rassistischer und wirtschaftlicher Unterdrückung. Link

 Der Nelson Mandela, zu dem ich aufblickte, verließ leider bereits 1990 die Bühne der Weltpolitik. Doch er und viele andere KämpferInnen aus der Zeit der Apartheid waren damals Vorbilder der Standhaftigkeit. Und an ihre damaligen Ziele möchte ich mich heute gern erinnern.

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