Kunst kommt langsam, aber gewaltig!

Egyd Gstättner spricht mit Shabka auf der Messe BUCHwien 13 über das Glück im Unglück seiner Ausbildung, das Hobby Kärnten und die Verpflichtung der Kunst zur Wahrheit.

Shabka: Herr Gstättner, Sie haben gerade ihr aktuelles Buch “Der Haider Jörg zieht übers Gebirg. Quergedanken, Gegenreden und Zurückweisungen in einer dunklen Dekade” vorgestellt, mit dem Sie sich gegen die Vorwürfe wehren, die Kärntner Künstlerszene habe es verabsäumt, das System Haider zu seinen Lebzeiten anzuprangern. Auf die Frage ob Literatur für Sie politische Relevanz innehat darf man also ein Ja erwarten?

der_haider_joerg
Drava Verlag, Klagenfurt
Herbstprogramm 2013

Egyd Gstättner: Ich würde sagen: auf alle Fälle – und zwar multidimensional. Das Beispiel von heute, das Haider-Buch, ist klar, das ist eine direkte politische Stellungnahme. Es gibt in Österreich aber seit hundert Jahren die Tradition der Kaffeehausliteratur, die Zeitung lesend und die Lektüre kommentierend entsteht. Sie wird von den Lesern der Zeitung oft mit Journalismus verwechselt, ist aber Literatur – direkte politische Literatur. Ich habe niemals in meinem Leben einen „Artikel“ geschrieben, immer – je nach quantitativer Möglichkeit Essays oder Glossen, fallweise Satiren. Deutlich wird das dann meistens erst, wenn die gesammelten Petitessen zwischen zwei Buchdeckeln erscheinen und wenn man sieht, dass man sie Jahre später auch noch lesen kann und sie über die Tagesaktualität hinaus einen bleibenden Wert haben.

Literatur steht aber, so wie jedes Phänomen des öffentlichen Lebens, immer in einem politischen Kontext. Ihre Entstehungsbedingungen sind von Politik geprägt. Sie reflektiert privates und öffentliches Leben, und beides ist immer prinzipiell politisch, wenn es sich auch je nach Land, Zeit oder Menschenschicksal unterscheidet.

Shabka: Kann Literatur, kann Kunst dabei auch etwas bewirken?

Egyd Gstättner: Literatur (und Kunst insgesamt) ist (sind) als solche(s) etwas sehr Langsames. Man kann sagen: Für die Kunst gilt generell das, was die feministische Bewegung von den Frauen behauptet hat: Kunst kommt langsam, aber gewaltig! Wenn Sie glauben, Sie machen ein paar kritische Statements in einem noch so publikumswirksamen Medium und Sie werden damit die Wahlen beeinflussen, dann wären Sie sehr naiv. Aber wenn man seine Kunst ernst nimmt, muss man sich sein Publikum suchen, und bei dem richtet man langfristig etwas aus. Nicht in der Wahlurne aber in den Köpfen.

Kunst zu machen ist etwas sehr Lustvolles, und gleichzeitig sehr unangenehm, gefährlich und selbstgefährdend, wenn man sie ernst nimmt, weil Kunst – und ich beziehe mich jetzt gar nicht auf Ingeborg Bachmann – immer die Wahrheit zur Aufgabe hat. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit! Was die Menschen im Einzelnen als „Wahrheit“ bezeichnen ist Interessenslage. Ein Künstler aber, der einen Essay für die Zeitung oder einen Roman schreibt, ist nur der Wahrheit verpflichtet, wieviele Feinde und Naserümpfer er sich damit auch anzüchten mag. Denn auch das Naserümpfen ist eine Interessenslage, die sich je nach Zustand der Wirklichkeit ändert.

Ich bemerke seit einem halben Jahr, nachdem sich die Machtverhältnisse in Kärnten geändert haben, dass mir in der Landesöffentlichkeit profunde Wertschätzung entgegengebracht wird. Jetzt fängt das Schulterklopfen an, ich weiß aber, dass sich das je nach Zustand der Wirklichkeit wieder ändern kann. Das hat aber auf meine Art zu denken und künstlerisch zu arbeiten keinen Einfluss.

Shabka: Sie haben Germanistik und Philosophie studiert, würden Sie den jungen Menschen von heute die Geisteswissenschaften empfehlen?

mit freundlicher Gehnemigung von Egyd Gstättner
Egyd Gstättner im Gespräch mit Thomas Trenkler

Egyd Gstättner: Der Wunsch meiner Eltern war natürlich weder das Germanistikstudium, noch eine Künstlerexistenz. Das kann man ihnen auch nicht verübeln und ich würde meinen Kindern eine solche Karriere auch nicht nachhaltig empfehlen. Der Wunsch meiner Eltern wäre ein Jusstudium gewesen, das war für mich aber von vornherein unmöglich. Insgesamt war das Studium ein Feigenblatt damit ich meine Ruhe hatte und literarisch unbehelligt arbeiten konnte. Schließlich habe ich das Studium mittlerweile fast einem Vierteljahrhundert mit Dissertation, Promotion und Lehramtsprüfungszeugnis abgeschlossen.

Das Glück im Unglück war aber, dass damals zwanzig Jahre lang keine Lehrer gebraucht wurden, und man nicht und nicht dran gekommen ist, außer man hatte alle Parteibücher, Beziehungen, geheime mächtige Lobbyisten. Mittlerweile hat sich die Lage völlig umgekehrt und Lehrer werden verzweifelt gesucht. Ich bin aber sehr froh, dass ich nicht bis zu meinem seligen Ende schlechte Deutschschularbeiten korrigieren muss und genau weiß, es wird mit meinen Korrekturen nicht besser. (Und ich muß mich auch nicht als weisungsgebundener akademischer Erfüllungsgehilfe mit dem standardisierten Zentralmaturastumpfsinn herumschlagen…) Mittlerweile habe ich nur noch Mitleid mit den Leuten, die das machen müssen. Davon abgesehen soll natürlich jeder versuchen zu tun wozu er geeignet ist, aber das sind Binsenweisheiten.

Ich hab mich beim Studium letztlich nicht sehr wohl gefühlt, obwohl ich Fächer studiert habe, die mich interessiert haben. Die Schulphilosophie habe ich mir im Laufe des Studiums abgewöhnt, weil einem vielleicht alles was man professionell macht, irgendwann zur Qual wird. Ich schreibe noch immer wie ein Amateur und das am besten nicht am Schreibtisch sondern am Küchentisch. Dadurch bewahrt man sich die Frische.

Shabka: Das heißt ein Literaturstudium eignet sich Ihrer Meinung nach nicht dazu Schriftsteller zu werden?

Egyd Gstättner: Ganz im Gegenteil, es ist zum abgewöhnen. Ich habe angefangen die Germanisten zu verabscheuen. Das sind ja weniger Literaturliebhaber als Intriganten und Karrieremathematiker, Macht-menschen, manchmal regelrechte Geschmacks-tyrannen. Ich bin erst später, als Schriftsteller bei Auslandslesungen über auswärtige Germanisten wieder halbwegs versöhnlich geworden. Es sind hauptsächlich die Germanisten im Land, die verbiestern und übrigens auch sprachlich entsetzlich verknöchern, auch da nicht alle, aber etliche. Wie alles Einheimische werden im Ausland auch die Germanisten viel sympathischer. Von der Germanistik ist mir das übergeblieben, was ich selber gelesen habe – nicht unbedingt das Curriculum – und viele Erfahrungen, aber die macht man im Leben sowieso.

Shabka: Sie sind in Klagenfurt geboren, wo Sie auch leben und arbeiten. In Wien kämpft man als KärntnerIn oft gegen das Vorurteil der Haider-wählenden Altnazis. Wie begegnen Sie solchen Klischees?

Egyd Gstättner: Ich versuche innerhalb und außerhalb Kärntens nicht so sehr als Kärntner zu gelten und mein Idiom nicht heraushängen zu lassen. Inwieweit mir das gelingt weiß ich nicht. Beruflich bin ich Österreicher und als Hobby Kärntner. Anders ginge es nicht. Sozusagen „hauptberuflich“ als Kärntner zu gelten, wäre ganz  automatisch ein wenig nachteilig aber nicht wegen des Faschismusvorwurf, der ja auch allmählich verebbt, oder wegen des Klischees der Trachtenseligkeit, sondern weil das Land zu klein und zu unbedeutend für bedeutende Persönlichkeiten angesehen wird. Und zu arm, was ich sehr traurig finde. Es fehlt der Hallraum, der Markt, das Publikum. Einer meiner Lebenswünsche war es, dass mein Land und meine Stadt zu meinen Lebzeiten mit mir mitwachsen, aber weder Land noch Stadt haben Lust dazu. Die entwickeln sich eher konsequent zurück. Das deprimiert mich fürchterlich.

Picus Verlag, Herbst 2013
Picus Verlag 2013

Aber ich sitze jetzt mit Ihnen hier in Wien, wo ich, was die Literatur angeht, publizistisch meine Heimat habe, und lese heute aus zwei Werken. Das erste ist ein eben politisches Statement, das notwendig war, “Der Haider Jörg zieht übers Gebirg” ist sozusagen mein Zivildienst, den ich mir selbst ausgesucht habe. Denn letztlich mache ich doch immer das was mir passt, in jeder Lebenslage. Das zweite Buch ist die literarisch aber wesentlich wichtigere Unternehmung, mein großer Künstlerroman “Das Geisterschiff”. Da lege ich Wert darauf, dass das in Wien passiert, mit einem Wiener Verlag und mit Kärnten sowohl künstlerisch-inhaltlich, als auch editorisch nichts zu tun hat. Jeder kommt natürlich letztlich von irgendwo her. Als ich vor 25 Jahren das erste Mal in Wien einen Auftritt hatte, hat mich jemand nach der Lesung gefragt: „Ah, sie kommen aus den Bundesländern?” Und ich antwortete: „Nein, nur aus einem”.

Egyd Gstättner wurde 1962 in Klagenfurt, Kärnten geboren, wo er bis heute als freier Schriftsteller lebt und arbeitet. Gleich nach Abschluss seines Lehramtsstudiums für Germanistik und Philosophie 1988 begann seine Karriere als Publizist und Autor mit Veröffentlichungen in Die Presse, Die Zeit, Der Standard, Falter, Süddeutsche Zeitung, uvm. Der mit zahlreichen Literatur-Preisen Ausgezeichnete promovierte 1993 zum Dr. phil. und zählt neben seinen zahlreichen Essays und Satiren mittlerweile 29 Buchveröffentlichungen zu seinem Werk. Zuletzt erschienen sind der Sammelband “Der Haider Jörg zieht übers Gebirg. Quergedanken, Gegenreden und Zurückweisungen in einer dunklen Dekade” im Drava Verlag (hier zum Buch) und der Künstlerroman “Das Geisterschiff” im Picus Verlag (hier zum Buch). 

Das Interview führte Corina Jakobitsch am 21.11.2013.

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