Eine leere Bühne, halbtransparente Leinwände, dahinter sieben Stühle. Es nehmen Platz: Lucia Heilman, 84; Vilma Neuwirth, 85; Suzanna-Lucienne Rabinovici, 81; Marko Feingold, 100; Rudolf Gelbard, 83; Ari Rath, 88. Ein Platz bleibt leer: Ceija Stojka, 80, verstorben im Januar 2013.
Zum 75. Mal jähren sich heuer die Novemberprognome. Damals waren sie Kinder, heute gehören sie zu den Letzten, die uns aus diesen Tagen zu berichten wissen. „Die letzten Zeugen“ ein Projekt von Doron Rabinovic und Matthias Hartmann, stellt ihre Lebensgeschichte auf die große Bühne.
Ausgrenzung, Enteignung, Vertreibung, Konzentrationslager, Auslöschung und Überleben, die Dreh-und Angelpunkte einer gesamten Generation. Vorgetragen werden ihre Texte und Erinnerungen von jungen Schauspielern des Burgtheater Ensembles. Sie stehen abseits des Bühnenrandes. Die Gesichter der Zeitzeugen werden zeitgleich auf eine der beiden großen Leinwände projiziert. Währenddessen setzt sich eine junge Frau an einen Tisch. Sie beginnt zu Schreiben, das Gesprochene zu protokollieren. Ihr Text, ein weißes Band Papier, zieht sich über die gesamte Bühne. Schreiben gegen das Vergessen mit dem Ziel, das Geschehene am Leben zu erhalten, auch für die kommenden Generationen. So heißt es in der Werkbeschreibung:
Nicht gegen Vergangenes wenden sich die Zeitzeugen, sondern gegen das Fortwirken dessen, was einst nach Auschwitz führte. (…) Der Genozid ist keineswegs Geschichte. Der Massenmord bleibt der Zerrspiegel unserer Zeit.
Die persönlichen Texte vereinen sich zu einer Geschichte der vielen. In ihrer Gesamtheit spiegeln sie mehr wider als nur die Erlebnisse des Einzelnen. Es ist die Geschichte der Vergessenen, der namenlosen Opfer. Sowohl die der Täter als auch die der Helfer. Und nicht zuletzt die Geschichte einer Stadt – Wien.
Eine wienerische Altherren Stimme aus dem Off, kommentiert, zitiert und greift in die Texte ein. Der wienerische Dialekt schafft eine Authentizität, die das Bühnendeutsch der Schauspieler nur schwer zu vermitteln vermag. Die eigentlichen Akteure bleiben stumm, nur kurz verschwimmen die Stimmen der beiden Generationen ineinander, bis die Schauspieler wieder alleine sprechen. Es verdeutlicht: Bald wird es keine unmittelbare Erinnerung mehr geben. Was bleibt sind Texte, Fragmente, Protokolle, die, wie auch an diesem Abend, von Zeitfremden vorgetragen, sich angeeignet und verstanden werden müssen. Wie werden sich die Erzählungen und Geschichten verändern? Wer wird von ihnen erzählen? Die eigentliche Frage die sich stellt: Was bleibt, wenn die letzten Erinnerungsträger die Bühne verlassen und der mahnende Blick aus dem Hintergrund langsam entschwindet?
Im Laufe des Abends verabschieden sich die Zeitzeugen einzeln beim Publikum. Ein Schauspieler holt sie hinter der Leinwand ab, nimmt sie am Arm und führt sie in die Mitte der Bühne. Zum ersten Mal hört man ihre Stimmen. Es sind persönliche Worte, die sie an uns richten. Ein Gedicht, eine Danksagung, eine Aufforderung gegen das Vergessen. Marko Feingold, Präsident der israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, steht am Rednerpult, nimmt ein Papier aus seinem Jackett, legt es vor sich hin, faltet es aber nach einem Moment wieder zusammen. Er habe kurzfristig seinen Text geändert, erklärt er. Vor wenigen Tagen sei zum dritten Mal in den vergangenen Monaten, die Gegensprechanlage der Synagoge demoliert und zerstört worden. Dazu bekannt habe sich ein arbeitsloser 20 jähriger Mann. Unfassbar sei es, dass so etwas nach 75 Jahren immer noch passiere. Die Gegenwart hat uns schlussendlich eingeholt!
Der Theaterabend endet im Stillen, nun sind alle Stühle leer. Im Anschluss stehen sie nochmal alle auf der Bühne, Standing Ovation, kaum enden wollend applaudiert das Burgtheater. Im Lichte der vergangener zwei Stunden, ein nahezu befremdlicher Moment.
Zu sehen gibt es das Projekt „Die letzen Zeugen“ noch an folgenden Terminen:
21.11.2013, 5.12.2013, 12.12.2013, 26.1.2014.