Birgit Gasser, Alina Gruber, Bernd Reiß & Gisela Selucky
Armutsbekämpfung in der Theorie und Praxis
Shabka Background Nr. 14-2013
Im Rahmen des Seminars „Transdisziplinäre Entwicklungsforschung: Wie viel Theorie braucht die Praxis? Wie viel Praxis die Theorie?“ am Institut für Internationale Entwicklung in Wien setzten wir uns im Sommersemester 2012 intensiv mit dem Thema Armut und Armutsbekämpfung auseinander, immer mit der im Titel der Lehrveranstaltung enthaltenen Frage als Überbau unserer weiteren Arbeit. Wir wählten außerdem die Millennium Development Goals sowie Mikrokrediten als anschauliche Beispiele für unsere Argumentation und hoffen, dass diese uns helfen konkreter auf die Fragestellung eingehen zu können.
Nach einiger Recherche und ausgiebiger Diskussion innerhalb unserer Arbeitsgruppe einigten wir uns schließlich auf eine etwas ungewöhnliche Definition von Armut[1. Böhm, Renate et al. (Hg.) 2003: Arbeit am Begriff der Armut: Working papers “Facing poverty”. Universität Salzburg: Poverty Research Group: 70. S. 70.]:
Armut ist die relative strukturelle Ausgrenzung von Menschen bzw. Menschengruppen, die sich in einer ungerechten Verteilung des Zugangs zu materiellen und immateriellen Gütern manifestiert, und als solche ein Mangel an Entscheidungsfreiheit, um diejenigen Fähigkeiten auszubilden und Möglichkeiten zu nutzen, um für sich und die in seiner/ihrer Verantwortung stehenden Personen eine Grundsicherung zu gewährleisten, unfreiwillige und strukturelle und zumindest latent leidvoll erfahrene Exklusion zu vermeiden und im Vergleich zu dem soziokulturellen Umfeld eine gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.
Wir einigten uns auf diese Definition, da sie unserer Meinung nach sowohl präzise aber auch breit gefasst ist, und das wolkige Gebilde „Armut“ auf eine für uns nachvollziehbare Art und Weise so weit einschränkt, dass wir glauben gut damit arbeiten zu können; außerdem beschäftigt sie sich abseits der mainstream- wirtschaftsfokussierten Definitionen auch für die strukturelle Komponente und bezieht immaterielle, soziale und individuelle Faktoren mit ein.
Des weiteren einigten wir uns am Anfang unserer Arbeit auf einige grundlegende Unterscheidungsmöglichkeiten von Armut. Das bekannteste Unterscheidungspaar ist das der absoluten und der relativen Armut. Absolute Armut bedeutet einen Mangel an lebensnotwendigen Ressourcen wie Wasser, Nahrungsmitteln, Obdach, etc. in solchem Umfang, dass das Überleben nicht mehr sicher gewährleistet ist. Relative Armut hingegen bedeutet einen Mangel an Ressourcen im Vergleich (bzw. relativ) zum unmittelbaren sozialen Umfeld. Weitere Begriffspaare in diesem Zusammenhang sind z.B. materielle und immaterielle Armut, wobei Ersteres selbsterklärend von materiellen Gütern handelt die die Grundbedürfnisse stillen, während Zweiteres von Gütern wie Bildung, Partizipationsmöglichkeiten, sozialer Teilhabe, etc. spricht; objektive, also von Außenstehenden festgemachte, und relative Armut, welche von den Betroffenen selbst empfunden und festgemacht wird; ein weiteres Beispiel für Dualitäten ist auch das der permanenten und der temporären Armut: Ersteres bedeutet langanhaltende Armut und ist oft verbunden mit der Begrifflichkeit der „working poors“, d.h. Menschen die sehr wohl einer Erwerbstätigkeit nachgehen, aber trotzdem nicht genug Lohn erhalten um aus einer Armutssituation zu entfliehen, temporäre Armut hingegen beschreibt einen vergleichsweise kurzfristigen Zustand, zum Beispiel bei kurzfristige Arbeitslosigkeit [2. Vgl. Teubl, Carmen (2010): Armutsbekämpfungsstrategien in PRSPs – „Eigene Konzepte?“ – analysiert anhand Tanzanias zweitem Poverty Reduction Strategy Paper. Diplomarbeit Universität Wien. S. 13.].
Wir gingen also am Anfang unserer Arbeit von Armut als einem multidimensionalen Phänomen aus, das wir nicht bloß auf einen finanziellen Aspekt reduzieren wollen. Hierzu führten wir Interviews mit TheoretikerInnen und PraktikerInnen durch, analysierten aber auch einiges an Fachliteratur aus der theoretischen Perspektive.
Shabka Background Nr. 14-2013
Birgit Gasser, Alina Gruber, Bernd Reiß & Gisela Selucky: Armutsbekämpfung in der Theorie und Praxis