Refugee Proteste: Was kennzeichnet die Menschenwürde?

Das Recht geht von dir und mir aus – von denen aber nicht. Über  die Verhinderung von Aktivismus und die Grundfeste der österreichischen Demokratie.

Die AsylwerberInnen, die im Winter 2012 mit ihrem Protestmarsch auf die desolate Lage im österreichischen Asylsystem aufmerksam machten, eröffneten nicht nur eine breite mediale Diskussion über die Zustände im österreichischen Asylwesen, sondern auch ein neues politisches Handlungsfeld. Das Eintreten für fundamentale (staats-)bürgerliche Rechte, der Wunsch nach Partizipation und die Solidarität mit anderen AsylwerberInnen gleich welcher Herkunft, zeugen von einem gelungenen Demokratieverständnis: Teilhabe am politischen Diskurs, selbstbestimmtes Handeln und schließlich Altruismus und Achtung der Menschenwürde.

Vonseiten politischer Parteien, die sich gerne als „überzeugte Demokraten“ bezeichnen und den „libertären Gedanken“ hoch leben lassen, hätte die Transformation vom passiven Objekt „AsylwerberIn“ zum politisch handelnden Subjekt frenetisch begrüßt werden müssen. Denn es sind mitunter genau diese Kompetenzen, die in der Wertefibel des österreichischen Integrationsstaatssekretariats zur Sprache kommen.

Im konkreten Zusammenhang beruft man sich allerdings auf eine unumgängliche Situation im österreichischen Fremdenrecht – Gesetz sei nun einmal Gesetz. Diese „Law and Order“ Politik ist grundsätzlich nichts Neues, besonders von konservativer Seite. Allerdings – in Zeiten von Telekom-Affären oder fragwürdigen Staatsbürgerschaftsverleihungen – gerät diese Rhetorik der unabänderlichen Rechtsprechung ins Stocken.

Die Gründe dieser „notwendigen fremdenpolizeilichen Maßnahme“, wie die Abschiebung von offizieller Seite bezeichnet wird,  liegen nicht im Rechtssystem der österreichischen Republik, sondern zwischen Ängsten vor Identitätsverlust und perfiden Wahlkampfstrategien begraben.

Land der Abgründe: Wir brauchen passive Flüchtlinge

Besonders bedauerlich ist das strategische Verhalten der Sozialdemokratie, deren ideologischer Überbau zumindest auf dem Papier ein internationaler sein sollte: Aber auch hier herrscht ein exklusives Bekenntnis zur österreichischen Nationalität vor. Das Hochhalten demokratischer Ideale einerseits und das verunmöglichen von Inklusion der AktivistInnen andererseits, verweist auf eine wohldurchdachte Doppelmoral der politisch Verantwortlichen.

Auf diese Weise kann ein vermeintlich positives Selbstverständnis einer Nation weiter propagiert werden, die seit ihrer Gründung an einem Minderwertigkeitskomplex leidet. Die wohltätige Geste der Unterstützung passiver AsylwerberInnen greift einer Identität unter die Arme, deren wackeliges Fundament auf dem Hahnenkammrennen, der Sachertorte und der Wiener Klassik beruht.

Vielmehr noch: „Wir“ brauchen hilfsbedürftige AsylwerberInnen, um einer gönnerhaften Wohltätigkeit zu frönen, die „uns“ in besserem Lichte erscheinen lässt. Man denke an die großzügige Aufnahme der Ungarn Flüchtlinge 1956. Selbstbestimmt handelnde Subjekte sind allerdings fehl am Platz – immerhin läuft man Gefahr nicht mehr helfen zu dürfen, sondern solidarisch sein zu müssen.

Zurück in der „Organisierten Desintegration“

Die Abschiebung der Refugee-Aktivisten kommt der Schließung eines politischen Handlungsfeldes gleich. Die gewaltvolle Entmündigung der Flüchtlingsproteste, legitimiert durch einen RECHTSstaat, verweist AsylwerberInnen zurück an den ihnen angedachten Platz innerhalb der Gesellschaft: Geduldete Objekte, ohne Handlungsmacht und abhängig von der Gunst anständiger StaatsbürgerInnen.

Das Leben als selbstbestimmtes Individuum wird durch  „organisierte Desintegration” unmöglich: Vicky Täubig spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „totalen Institution Asyl“: Druckmittel wie Hausordnungen, Anwesenheitspflichten, Drohung des Entzugs der Grundversorgung, Einschränkung der Privatsphäre etc. schaffen die Grundlage für eine Koexistenz neben der Gesellschaft. [1. vgl. Täubig 2009: 285-286]

„Möge alles bleiben wie es ist“

Während Engagement offensichtlich unerwünscht ist, lautet der Tenor in der Tagespolitik vor allem Unterwerfung unter kulturelle Normen. Demgegenüber stand eine zentrale Forderung der Refugee-Aktivisten: Zugang zum Arbeitsmarkt. Der Status in unserer Gesellschaft wird hauptsächlich über monetäre Belange wie Arbeit und Einkommen definiert. Es ist besonders paradox den Anspruch an AsylwerberInnen zu erheben, sich „anständig integrieren“ zu müssen und gleichzeitig den betroffenen Menschen einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu verwehren.

Diese künstlichen Ab- und Ausgrenzungsräume schaffen auf der anderen Seite Raum für den ohnehin angeheizten Diskurs in der Politik. Nicht „Sie“ dürfen sprechen, sondern wir sprechen „für“ bzw. „über“ AsylwerberInnen. Mit der Abschiebung der Aktivisten lässt sich nicht nur gut auf Stimmenfang gehen, es ist auch ein Exempel in Richtung jener AsylwerberInnen, die sich von den Refugee-Aktivisten inspiriert fühlten.

Demokratische Ideale sind in Österreich nämlich nur dann erwünscht, wenn sie auch rechtsstaatlichen Normen entsprechen. Folgt man dieser „Gesetz sei nun mal Gesetz Logik“, muss die Frage erlaubt sein, ob man hierzulande aus jüngsten historischen Ereignissen Schlussfolgerungen gezogen hat.

Wäre es angesichts einer zunehmenden Globalität nicht höchst an der Zeit für einen Paradigmenwechsel? Die politisch Verantwortlichen müssten Rahmenbedingungen schaffen, die globale Identitäten fördern, anstatt ein Klima der Ausgrenzung zu schüren, das kurzfristigen, wettbewerbsorientierten Intentionen dient. Ein inklusiver Zugang ist eine Notwendigkeit für ein friedliches Zusammenleben in der globalen Gesellschaft. Dieser würde nicht den befürchteten „Willkürstaat“ formieren, sondern zum Schutze jener „österreichischen“ Ideale dienen, die man nicht in Kitschläden kaufen oder auf Bergtouren bewundern kann – nämlich allen voran die Menschenwürde:

Im Online Übungstest zur Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft lautet Frage 11:

Was würden Sie ankreuzen?

http://www.staatsbuergerschaft.gv.at/index.php?id=24
http://www.staatsbuergerschaft.gv.at/index.php?id=24

 

Literaturhinweis:

Täubig, Vicki (2009): Totale Institution Asyl. Empirische Befunde zu alltäglichen Lebensführungen in der organisierten Desintegration.

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