BRIC-Bank: Noch eine Entwicklungsbank?

Bei allem unglaublichen Reichtum der Industriestaaten, nur allzu viele Entwicklungsländer gibt es auf dieser Welt. Ihnen mangelt es an fast allem, speziell der Bevölkerung. Sie ist täglich mit der Sicherung des nackten Lebens konfrontiert. Garantiert ist ihr nichts, das Überleben wird so zum Drahtseilakt. Prekäre Verhältnisse sind für sie die Regel, angesichts eines Einkommens von vielfach nur einem Dollar pro Tag.[1. Dieser Not sind rund 20 Prozent der Weltbevölkerung nach wie vor ausgesetzt. Die Weltbank berichtete jüngst mit Stolz, dass sich ihr Anteil in den letzten 20 Jahren halbiert hat. (Vgl. World Bank – Progress made against extreme poverty, http://corp.gulfinthemedia.com, 2.3.2012) Nur: Die Ein-Dollar-Marke überschritten zu haben, beschert noch lange kein gutes Leben. Auch hier führt sich die Aussagekraft von Statistiken einmal mehr selbst ad absurdum.] Hunderte Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen müssen so ihr Dasein fristen. Dennoch sind nicht wenige dieser Länder mit einem nicht unbeträchtlichen Rohstoffreichtum gesegnet. Doch an der gerechten Verteilung seiner Erträge mangelt es. Die Eliten stecken sich die Schätze in die Tasche, während ihre Völker darben. Um das harte Los der Menschen zu lindern, wird Hilfe von außen gewährt. Früher nannte man das Entwicklungshilfe, heute – in der Absicht, politisch korrekt (!) zu sein – Entwicklungszusammenarbeit. Doch das hilft nicht viel: Geizig sind die reichen Staaten, „Geberländer” nennen sie sich. Nur beschämend wenige Prozent ihres BIP, das ist der Maßstab, haben sie für die Armen und Ärmsten übrig. Ein Feigenblatt ist diese Hilfe, nicht mehr. Gerade zynisch beruhigt man so sein schlechtes Gewissen.

Bedenkt man, wie viel gerade die früheren Großmächte aus ihren Kolonien zur Bereicherung des Mutterlandes regelrecht weggeschafft haben, ist ihre heutige Geberlaune ein Hohn.

Zudem erreichen die wenigen Gelder nur selten die Empfänger, für die sie gedacht sind. Häufig versickert vieles davon einfach nur in dunklen Kanälen – um am Ende wieder bei der herrschenden Klasse zu landen. Auch andere Möglichkeiten kennt die Welt, um Staaten in finanzieller Bedrängnis Mittel zukommen zu lassen. Der Internationale Währungsfonds (IMF) etwa gibt Kredite an notleidende Staaten. Harte Auflagen sind die Regel, die immer umfassende Reformen fordern. Streng geprüft werden denn auch deren Fortschritte. Verbunden sind die Auflagen des IMF stets auch mit einer Orientierung der Begünstigten an Marktwirtschaft und Demokratie. Gewissermaßen als „Schwert des Westens” agierend, vierdient diese – letzlich ideologische – Institution ihren Nickname „harter Riese” nicht zu Unrecht. Ihm quasi beiseite gestellt ist die Weltbank, ebenso in den USA resident, als „weicher Riese”. Sie wiederum fördert strategisch wichtige Projekte, die einer positiven Entwicklung in bedürftigen Ländern dienen sollen. Ihre Gelder werden leichter vergeben, oft sind sie auch als Geschenk und damit als gut gemeinte Hilfe gewidmet. Dass nicht jedes Projekt seit 1945 ein Erfolg war, steht auf einem anderen Blatt. Manches war auch unpassend oder fehlgeleitet, vieles aber durchaus sinnvoll. Eine ähnliche Mission wie die Weltbank verfolgen zahlreiche andere Entwicklungsbanken.[2. Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB), Asiatische Entwicklungsbank (ADB), Bank des Südens, Entwicklungsbank des Europarates, Eurasische Entwicklungsbank, Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), Europäische Investitionsbank (EIB), Interamerikanische Entwicklungsbank (IADB), Islamische Entwicklungsbank (IDB), Karibische Entwicklungsbank (CDB), Namibische Entwicklungsbank (DBN), Schwarzmeer-Handels- und Entwicklungsbank (BSTDB), Zentralamerikanische Bank für Wirtschaftsintegration (BCIE); neben diesen multilateralen Entwicklungsbanken gibt es noch jene mit nationaler Ausrichtung, z.B. die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Deutschland oder die Oesterreichische Entwicklungsbank (OeEB).] Sie sind „regional”, d.h. auf bestimmten Kontinenten tätig und bündeln ebenso Entwicklungshilfe für bedürftige Gebiete. Sie ermöglichen mit langfristigen Finanzierungen die Vorbereitung, Entwicklung und Durchführung privatwirtschaftlicher Projekte in Entwicklungsländern und fokussieren diese auf ihre entwicklungspolitische Wirkung in Hinblick auf die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit. Vielfach sind sie zudem auch der Exportförderung verpflichtet.

Eine ganz andere Art „Entwicklungsländer” sind die BRIC-Staaten – Brasilien, Russland, Indien und China. Jüngst gehört auch Südafrika dazu und Mexiko steht dieser Staatengruppe nahe. Emerging countries sind sie allesamt, mit etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung, rund drei Milliarden Menschen und mit fast einem Viertel des Welt-BIP einer beträchtlichen und aufstrebenden Wirtschaftsleistung. Für die Weltwirtschaft sind sie längst eine unumgängliche Kategorie. Entwicklungsländer sind sie trotz typischer Merkmale und zahlreicher einschlägiger Probleme nicht mehr, Schwellenländer ist weitaus angebrachter. Jedenfalls zeichnet sie ein erhebliches Agrarpotential, Rohstoffreichtum, große Finanzkraft und ein riesiger Binnenkonsum auch als emerging markets aus. Kritische Stimmen sagen zwar, dass Russland – zumindest im Vergleich zu früher – eher auf dem absteigenden Ast ist und (so) nicht in die Gruppe passt, China dominiert und Indonesien kein Mitglied ist. Zudem konkurrieren China, Indien und Russland um die Hegemonie in Asien. Auch was die globalen Machtbeziehungen betrifft, sieht man im BRIC-Konstrukt wenig Sinn.[3. Vgl. Nye, J. S.: Was steckt hinter dem BRIC-Konzept? Project Syndicate, http://www.project-syndicate.com, 10.5.2010.] Im Übrigen attestiert man den Staaten wenig Gemeinsamkeiten, auch keine Einigkeit. Aber stimmt das so? Lange Zeit beherrschten die westlichen Ökonomien die Weltwirtschaft und schufen große Abhängigkeiten im Rest der Welt. Lange dominierte man vor allem die Entwicklungsländer mit einem Finanzsystem, das immer noch IMF und Weltbank heißt. Lange dachte man nicht im Traum daran, dass der Greenback einmal nicht mehr die Leitwährung sein könnte. Erst heftige Krisen mussten zeigen, dass die Ökonomien der USA, Europas und Japans keine unsinkbaren Schiffe sind. Seitdem wankt die Triade, auch strukturelle Probleme wurden ihre tägliche Sorge. Ein historisches Faktum ist aber die Parallelität von decline und rise. Des Einen Niedergang war oft schon begleitet vom Aufstieg anderer Mächte. Eine solche Erscheinung vollzieht sich auch momentan. Zunächst eher unbeachtet, haben sich die BRIC-Staaten, besonders in der letzten Dekade, enorm entwickelt. Und nicht nur das: Bei allen Unterschiedlichkeiten, schwungvolle Wirtschaftsbeziehungen verbinden sie. 75 Milliarden Dollar jährlich war das Handelsvolumen alleine zwischen China und Brasilien zuletzt wert. Die Rechnung hat Bedarf – Erze und Nahrung für China, Güter und Waren für Brasilien. Zwischen den übrigen BRIC-Staaten ist es ähnlich. Dazu kommen langfristige Interessen: Unter Kopfschütteln und Protesten der Industriestaaten verleibt sich China Afrika gerade regelrecht ein. Nicht nur um Rohstoffe geht es dabei, als künftiger Markt soll der Kontinent vielmehr entwickelt werden. Wie der Hase – an der alten Welt übrigens vorbei – läuft, beweisen nackte Zahlen. Vor zehn Jahren noch gingen 85 Prozent der chinesischen Exporte in den Westen, heute sind es nur mehr 70 Prozent. Bei Brasilien verschob sich dieses Verhältnis von 60 Prozent auf 40 Prozent, die Ausfuhren Indiens von 65 Prozent auf 45 Prozent und jene Koreas – nicht BRIC zugehörig – verringerten sich von 65 Prozent auf aktuell nur mehr 40 Prozent. Es scheint, als würden sich die Länder außerhalb der etablierten Ökonomien zunehmend gegenseitig und selbständig entwickeln. Noch rechnen sie ihren Handel in Dollars ab. Doch auch das soll nicht mehr lange so bleiben. Dazu werden die Volumina wie auch die Abhängigkeiten allmählich zu groß. Eine eigene Stimme will man der entwickelten Welt entgegensetzen, und eigene Institutionen.

So wurde kürzlich auf dem BRIC-Summit 2013 in Südafrika das schon länger gehegte Vorhaben, eine eigene BRIC-Bank zu gründen, endgültig Beschluss. Noch eine Entwicklungsbank, fragt sich indes die Welt. Ihre Ziele aber sprechen Bände. Gestartet wird schon demnächst, mit 50 Milliarden Dollar Grundkapital. Dieses wird mit je zehn Milliarden von den fünf BRIC-Mitgliedern gestellt. Das bedeutet auch gleiches Recht für alle. Die Welt hat sich – auch wenn das immer noch nicht überall wahrgenommen werden will – grundlegend verändert. Diesen ökonomischen und auch geopolitischen Verschiebungen will man nun Rechnung tragen. Vor allem die Hegemonie des Dollars – bisher ein gewaltiges Privileg der USA – ist es, die den emerging countries sauer aufstößt. Künftig sollen Yuan, Rupie, Real, Rubel und Rand die ihnen längst zustehende Stellung als konvertible Weltwährungen einnehmen. Alleine dieser Umstand verschafft dem gedachten „Parallelsystem” für die BRIC-Staaten seine Berechtigung. Ihr Handel untereinander – mittlerweile ein beträchtlicher Teil des Welthandels – soll künftig nur mehr in diesen Währungen abgewickelt werden. Dollar- und Euro-Krisen sollen ihr ökonomisches Gefüge jedenfalls nicht mehr erschüttern. Auch europäische und amerikanische Wirtschafts- und Finanzkrisen sollen sie so nicht mehr oder nur am Rande treffen. Erhebliche Mittel werden aufgewendet und Reserven in Größenordnungen angelegt, um die Stabilität der Währungen zu sichern. Sogar an ihre Bindung an den Goldstandard oder Ähnliches wird gedacht. Zahlungsschwierigkeiten soll die neue Bank mit ihrer Finanzkraft ausgleichen und Kredite auch dann noch geben, wenn diese auf den Finanzmärkten knapp werden. Kein Zweifel, China dominiert die Verbündeten. Seine Wirtschaft ist 20-mal größer als die südafrikanische und immerhin viermal so groß wie jene Indiens oder Russlands. Die Kraft und das Vermögen Chinas wird alles Finanzielle möglich machen können, sollte es einmal wirklich eng werden. Doch die BRIC-Bank hat noch viel mehr vor. Ähnlich wie die Weltbank wird sie große und wichtige Entwicklungsprojekte finanzieren, staatliche wie auch privatwirtschaftliche, vornehmlich im Bereich der Infrastruktur. An bisher gängige Umwelt- und Sozialstandards, etwa jene der Weltbank, ist man dann nicht länger gebunden. Wo etwa ein Atomkraftwerk gebaut werden soll, wird dann auch eines stehen. War man angesichts der Dominanz des Westens bisher oft frustriert, wird man künftig mit einer proaktiven Agenda alleine Grundlegendes bewegen und manche Nische bedienen. Was sich damit für die gewohnte Finanzarchitektur ändern wird, weiß man heute vor allem in Washington noch nicht. Ob das alles gut und sinnvoll sein wird für die Welt? Diese Frage stellen sich jetzt vor allem die alten Mächte. Aber orakeln hilft nicht viel. Sicher ist: Sie werden sich von manchem wohl verabschieden müssen. Offenbar gibt es ja wirklich neue Realitäten, im 21. Jahrhundert.[4. Vgl. Mance, H.: Global shift – A bank of and for the Brics is in the air, Financial Times, http://www.ft.com 23.9.2012; Warner, J.: Why a Brics-built bank to rival the IMF is doomed to fail, The Telegraph, http://www.telegraph.co.uk 29.3.2013.]

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