Kämpfende Frauen haben das Potenzial zum Mythos, aber nicht zum gefeierten Idol. Kämpfende Männer hingegen, wie etwa Che Guevara, werden zum Helden für Generationen.
Die schwangere Frau schreitet mit entschlossenem Gesicht vor der stramm aufgestellten Ehrengarde. 2008 ging das Bild um die Welt: Carme Chacón war spanische Verteidigungsministerin geworden und hatte damit ein traditionell männliches Schlüsselressort übernommen. Die Medien feierten sie als Siegerin über die spanische Macho-Kultur. Doch halt: Irgendwas konnte da nicht stimmen. Eine Frau an die Spitze des Militärs zu stellen, ganz ohne bestimmten Grund? Das „Times Magazine“ hatte eine Antwort parat: Der sozialistische Ministerpräsident José Luis Zapatero wolle der Welt ein „sanftes und gütiges“ Bild seiner Armee zeigen. Der Afghanistan-Politik solle mit Chacón ein „menschliches Gesicht“ gegeben werden, sie symbolisiere sympathische „Zerbrechlichkeit“.
Klar, denn es passt nicht ins Bild. Der Krieg hat männlich zu sein, der Friede weiblich. Ist es einmal nicht so, müssen krampfhaft Erklärungen dafür gefunden werden. Dass es weibliche Kämpferinnen gibt und gegeben hat, ist bekannt. Die Frage ist, warum sie konsequent ignoriert werden. Phoolan Devi, die sich als „Königin der Banditen“ in Indien blutig an Vergewaltigern gerächt und erbeutetes Geld unter den Armen verteilt hat, ist nicht halb so bekannt wie ihre Kompatriotin Mutter Theresa. Liegt es daran, dass letztere die Anforderungen an die weibliche Rolle erfüllt hat? Religiös, keusch und aufopferungsvoll ist sie ein Vorbild für Generationen. Phoolan Devi hingegen, die Frau mit dem roten Band um das schwarze Haar und mit dem Gewehr in der Hand, hat das Potenzial zum Mythos – nicht aber zum gefeierten Idol. Che Guevara, der wie Phoolan Devi für Gerechtigkeit gekämpft und den Einsatz von Waffen nicht gescheut hat, blickt bis heute heroisch von Plakaten auf seine Bewunderer herab. Seine nicht gerade zimperliche Art, sich DeserteurInnen zu entledigen, gehört zu seinem glorifizierten Heldentum eben dazu. Phoolan Devi aber gilt als blutrünstig und rachsüchtig. Sie hat es wohl übertrieben. Oder hat sie einfach das falsche Geschlecht, um als Kämpferin Wände zu zieren?
Populärwissenschaftliche Untersuchungen versuchen es immer wieder: Der biologische Unterschied sei es, der die Frau passiv und friedlich mache, den Mann kämpferisch und aggressiv. So sieht zum Beispiel das österreichische Wochenmagazin „profil“ im Testosteron ein unbeirrbares Instrument der Natur, den Mann an seinen Platz zu weisen. An den Platz an der Front, wo gekämpft und gewonnen wird. Beweisen würden dies simple Beobachtungen im Kinderzimmer: vierjährige Buben bauen demnach aus Lego Schießgewehre, Mädchen greifen nach dem Lippenstift der Mutter. Das ist dann wohl der Beweis dafür, dass Frauen das Kriegshormon einfach nicht in sich haben. Pech gehabt. Damit sind sie wohl oder übel dafür verantwortlich, hinter dem männlichen Chaos aufzuräumen und in einem Krieg höchstens die Verwundeten zu pflegen. Aber so einfach ist es wohl doch nicht.
Cordelia Fine zeigt in ihrem Buch „Die Geschlechterlüge“, dass sich die Naturwissenschaften Studien über die Geschlechter oft zunutze machen, um das patriarchalische System aufrechtzuerhalten. Und hat auch für das Beispiel mit den schießwütigen Buben eine Studie parat: man habe beobachtet, dass Eltern ihre elfmonatigen Töchter beim Krabbeln über eine Rampe konsequent unterschätzt und die gleichaltrigen Buben überschätzt hätten, so Fine. Auch die Männlichkeitsforschung hat längst klar gestellt, dass eine Testosteron-bedingte „männliche Essenz“ nicht nachgewiesen sei.
Wenn es also nicht das Testosteron ist, das Che Guevara zum Helden, Mutter Teresa zur Heiligen und Carme Chacón zur zarten Symbolträgerin macht, was ist es dann?
Die tagtägliche Wiederholung sei es, schreibt die Feministin Judith Butler. Seit Jahrhunderten leben wir unsere Rollen mit derartiger Selbstverständlichkeit, dass wir mittlerweile glauben, sie seien uns von der Natur gegeben worden. Wir haben also vergessen, dass wir unsere Geschlechter-Realitäten selbst erschaffen haben. Und alles was konstruiert ist, könnten wir auch selbst wieder verändern, so Butler.
Warum nicht? Beginnen könnten wir damit, wie wir die Welt wahrnehmen. Indem wir anerkennen, dass auch Frauen aggressiv und fordernd sein können – selbst wenn dies nicht als Tugend gilt. Indem wir anerkennen, dass ein vierjähriger Bub, der kein Gewehr aus Lego baut, deswegen nicht weniger Mann sein wird. Und indem wir anerkennen, dass Krieg und Friede keine Fragen des Geschlechts sind, sondern Resultate tagtäglich gelebter Aktionen.
This article was originally published in July 2012 in Südwind – Zeitschrift für internationale Politik, Kultur und Entwicklung.