Economy vs. Ecology: Die Auswirkungen von Ölbohrungen im Nigerdelta

Ressourcenkonflikt in Nigeria: Seit Jahrzehnten wird in Ogoniland im Nigerdelta Ölförderung betrieben. Zu den einflussreichsten und umstrittensten Akteuren zählt der Konzern Royal Dutch Shell.

Trotz kritischer Berichterstattung und zahllosen Gerichtsverfahren bleibt die Situation desaströs – besonders für die lokale Bevölkerung. Die nigerianische Regierung sieht sich fehlenden finanziellen Ressourcen, höchster Korruption und landesweiten ethnisch-religiösen Konflikten ausgesetzt – zahlreiche Multinationale Konzerne nutzen die fehlenden institutionellen Strukturen rigoros für sich – zugunsten eines ungehinderten, skrupellosen Raubbaus. Dieser wird gekonnt durch öffentlichkeitswirksame Maßnahmen wie etwa dem Bau von Schulen oder Krankenhäusern kaschiert. Das eigentliche Problem sieht der Konzern bei der Bevölkerung. Auf der Homepage der „Shell Petroleum Development Company of Nigeria (SPDC)“ wird regelmäßig von illegalem Abzapfen der Pipelines berichtet. (vgl. SPDC 2013) Die krude Logik des Konzerns lautet: Wir kontaminieren euer Land, zerstören eure Einkommensquelle und geben euch die Schuld für die Situation. In die Worte eines Sustainability Reports übersetzt lautet dies folgendermaßen:

„Working with our neighbours helps us share the benefits of our activities. Our operations help to develop local economies by creating jobs and contracts. We aim to build trust by engaging closely with communities about our plans, listening to their hopes and concerns, and taking action to address them.“ (Shell AG 2012)

Die heutige Situation im Niger Delta stellt ein erschreckendes Beispiel für eine Herausforderung globaler Tragweite dar. Während die Zentralregierung Nigerias zu eng mit den Konzernen kooperiert, wittern diese die Chance größtmöglichen Profits. Nach außen hin wird von beiden Parteien versucht, die Missstände entweder zu relativieren, oder die Schuld der Indigenen Bevölkerung zu geben. Diese werden dann als Terroristen und Diebe dargestellt, während man selbst als ökologischer Vorreiter bezüglich Erdölförderung aufritt. Die tatsächliche Situation im Delta ist heute äußerst kritisch: die politische Lage erweist sich zusehends als extrem instabil, das komplexe Ökosystem ist schwer geschädigt und das Verhalten der Verantwortlichen scheint keine Änderung der Situation zu versprechen. Sowohl Vertreter der Indigenen Bevölkerung, als auch internationale NGOs schlagen Alarm. Als Reaktion darauf folgen seit Jahren Absichtserklärungen und Strategy Papers, die in der Praxis jegliche Relevanz verlieren. Die Komplexität der Region ist heute eine oftmals Benutzte Ausrede, um die Vergehen der Konzerne bzw. der Regierung zu rechtfertigen:

 „The complexity of the Niger Delta is too frequently used as an excuse for failure to take action in line with international good practice and standards to prevent and address pollution and environmental damage and protect the human rights of communities affected by oil operations.” (Amnesty International 2009: 8)

Erdölförderung in Nigeria – Akteure und Auswirkungen

Im umfangreichsten Environmental Impact Asessment Bericht aus dem Jahr 2011 kommt das Weltumweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) zum Schluss:

„The environmental restoration of Ogoniland could prove to be the world’s most wide-ranging and long term oil clean-up exercise ever undertaken if contaminated drinking water, land, creeks and important ecosystems such as mangroves are to be brought back to full, productive health.“ (UNEP 2013)

Nigeria ist der sechstgrößte Erdölproduzent weltweit. Derzeit stammen ca. 97% der Exporteinnahmen bzw. 79,5% des BIP aus den Einnahmen der Erdölindustrie. (vgl. Jonathan 2008: 102)  Bereits hier wird die Problematik deutlich, mit der sich der Staat als Erdölförderer einerseits und Garant für Bürgerrechte andererseits, konfrontiert sehen muss. Die nigerianische Regierung ist nicht nur sehr abhängig vom Rohstoffexport und den damit verbundenen Schwierigkeiten, sondern auch vom Know How westlicher Konzerne um dieses lukrativ abbauen zu können.

Die Förderung des Öls verläuft über Joint Ventures, die Regierung vergibt Lizenzen an die Konzerne, diese werden folgedessen mit der Ausbeutung betraut. Hauptaktionär bei den Joint Ventures ist die „Nigerian National Petroleum Corporation (NNPC)“. Gegenstand der Untersuchung ist das Joint Venture von Shell bzw. der SPDC, an dem jedoch auch andere Konzerne wie Chevron, Total und Eni beteiligt sind. (vgl. NNPC – Joint Venture operations) Die Nettogewinne durch Erdöl seit den 1960er Jahren stehen im markanten Gegensatz zur Armut der dortigen Bevölkerung:

„In Nigeria, which has reaped an estimated US$600 billion in oil revenue since 1960, 70 percent of the people live on less than a dollar a day […]” (Wurthmann 2006: 6)

Die Bewohner des Niger Delta haben, zusätzlich zu ihrer Armut mit den Auswirkungen der Erdölförderung auf die Umwelt zu kämpfen. Zu den gravierendsten Problemen im Umgang mit dem Erdöl zählen so genannte Oil Spills. Durch Ölaustritte aus Pipelines sind laut Amnesty International in den letzten 50 Jahren 9 – 13 Mio. Barrel Rohöl ausgetreten:

„To put this into perspective, people living in the Niger Delta have experienced oil spills on par with the Exxon Valdez every year over the last 50 years. Despite this, the government and the companies have not taken effective measures over these 50 years to prevent oil spills from recurring, or to properly address the impacts of oil spills.“ (Amnesty International: 16)

Weiters stellt Gas Flaring ein grobes Problem dar. Die Verbrennung von Erdgas, das bei der Erdölförderung austritt wurde bereits mehrmals seitens der Regierung kritisiert. Der „Gas Rejection Act“ von 1979 behandelt dieses Thema beispielsweise. Es wurden des Öfteren Deadlines dafür gesetzt, passiert ist bis heute nichts. (vgl. ebd.: 45) Für 2014 wurde eine Reduktion des Gas Flarings auf zwei Prozent angekündigt. (vgl. Oilreviewafrica 2013) Man darf gespannt sein. Es existiert eine Vielzahl anderer Probleme, angefangen vom Umgang mit Bohrrückständen, die zum Teil einfach vergraben werden, bis hin zu problematischem Straßenbau oder der Verschmutzung des Wassers durch „Produced Water“. (vgl. ebd. 14-21) Das UNDP bezeichnet die Situation im Delta als einen der bedauernswertesten Ressourcenkonflikte weltweit. (vgl. UNDP 2006: 9)

Sieht der Staat zu?

Generell ist bereits in der Verfassung Nigerias festgelegt, dass die Ausbeutung von Bodenschätzen – im Sinne der Allgemeinheit – gegenüber Subsistenzwirtschaft bzw. Landeignern Vorrang habe:

„[…]the entire property in and control of all minerals, mineral oils and natural gas in, under or upon any land in Nigeria or in, under or upon the territorial waters and the Exclusive Economic Zone of Nigeria shall vest in the Government of the Federation and shall be managed in such manner as may be prescribed by the National Assembly.” (Amnesty International 2009: 94)

 Der „Oil Pipelines Act” geht sogar noch weiter und erlaubt einem lizenzierten Konzern den Zutritt zu sämtlichen Gebieten in Bezug auf Untersuchung und Landvermessung. (vgl. ebd.: 45)

Andererseits existieren auf theoretischer Ebene Institutionen seitens der Regierung, um die Situation zu bessern. Die nigerianische Staatsmacht beruft sich in ihren verschiedenen Erklärungen (bspw. in den „Environmental Guidelines And Standards for the Petroleum Industry in Nigeria – EGASPIN) auf die Umweltstandards des „American Petroleum Institutes – API“, die auf elf Grundsätzen beruhen. (vgl. Wawryk: 4) Diese scheinen in den Erklärungen jedoch meistens als Empfehlungen und nicht als verpflichtende Voraussetzungen für die Erdölindustrie auf. (vgl. Amnesty International 2009: 40) Es besteht eine große Kluft zwischen politischer Absicht und gängiger Praxis. Sowohl auf gesetzlicher Ebene, als auch von institutioneller Seite scheinen die Bemühungen auf den ersten Blick ambitioniert zu sein, in der Realität scheitern sie jedoch meistens. Die enge Kooperation der Regierung mit den Konzernen, sowie die Abhängigkeit vom Erdöl mögen dafür die Hauptursachen sein.

Die Institutionen der Regierung haben vor allem mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Die „National Oil Spill Detection and Response Agency – NOSDRA“ konzentriert sich auf Umweltverträglichkeitsprüfungen und ist seit ihrer Gründung chronisch unterfinanziert. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die personelle, wie materielle Ausstattung der Agentur:

„Amnesty International researchers interviewed several representatives of the Federal Ministry of Environment and Rivers State Ministry of Environment. In each case Ministry employees pointed to a lack of basic resources, including vehicles to travel to sites to investigate pollution, and laboratories to analyze samples of water and soil.” (Amnesty International 2009: 44)

 Monitoring und Environmental Impact Assessment mögen zwar in anderen Staaten wirksame Instrumente zur Eindämmung bzw. Verhinderung von Umweltverschmutzung sein, in Nigeria leiden diese aber stark an der Ineffektivität der Behörden. Die Konzerne dürfen beispielsweise Impact Assessments von firmeninternen Spezialisten durchführen lassen und können deren Berichte dann dem „Department of Petroleum Ressources“ übermitteln. (vgl. ebd. 40ff.) Außerdem problematisch ist die Kooperation zwischen Firmen und der Regierung im Bezug auf die „Joint Investigation Teams“, die eine Oil Spill untersuchen sollen. Amnesty International hat in mehreren Fällen Einflussnahme der Konzerne auf die Spezialisten der Regierung verzeichnen können. (vgl. ebd.46ff.)

 „Even though the Department appears to have more clout with the industry, its effectiveness has been seriously hampered by inadequate personnel, funding, equipment and logistics support. The overall impact of the federal and state environmental agencies in the Niger Delta region remains quite feeble.” (UNDP 2006: 91)

Der Konflikt zwischen Ölförderung und Menschenrechten wird also auf dem Rücken der Indigenen Bevölkerung im Niger Delta ausgetragen. Aus heutiger Sicht ist die nigerianische Regierung weit entfernt von der Durchsetzung effektiver Instrumente, die sich mit der Lage im Niger Delta auseinandersetzen. Die Petroleum Bill, welche laut NNPC die Ölförderung im Delta revolutionieren soll, wird von staatlichen Agenturen als fundamentale Errungenschaft dargestellt. (vgl. NNPC 2010: B) Internationale NGOs relativieren diese Euphorie, die bekannten Textstellen geben, genauso wie ihre Vorgänger, eher Empfehlungen an die Konzerne ab, anstatt ihnen Vorschriften zu machen. Ebenfalls keine Verankerung in der Petroleum Bill finden adäquate Sanktionierungen gegenüber Konzernen, die Ausgleichszahlungen für Umweltverschmutzungen erschienen verglichen mit den Jahresumsätzen geradezu lächerlich. (vgl. Amnesty International 2009: 51)

 Gerade Ende März 2013 wurde von staatsnahen Institutionen wie der NOSDRA bzw. der Nationalversammlung eine Strafzahlung von 11,5 Mrd. US-Dollar an den Mutterkonzern Shell gefordert. (vgl. Reuters 2013) Dieser weigert sich allerdings beharrlich. Außerdem liegt die exekutive Kraft weder bei Nationalversammlung noch bei der NOSDRA – auf eine Reduktion der Strafe – und einen jahrelangen Prozess kann man sich einstellen.

Im Bereich der transparenten Information vernachlässigt die nigerianische Regierung ebenso ihre Pflichten. Es ist bereits bedenkenswert, dass kaum Berichte über soziale Auswirkungen der Ölförderungen existieren. Darüber hinaus werden die vorhandenen Darstellungen seitens der Regierung oder den Konzernen bewusst zurückgehalten, zum Beispiel die Niger Delta Environment Survey. Die Tatsache, dass es an notwendigen Studien fehlt wurde bereits auf internationaler Ebene heftig kritisiert:

„[…] an independent agency should be established in consultation with SPDC, MOSOP and other groups for the purpose of determining all issues relating to environmental damage due to oil exploration and other operations, as well as issues of environmental protection” and that the findings and conclusions of this “inquiry and investigation” should be made public[…]” (Wawryk: 22)

Indigene Bevölkerung vs. Multis

 „We have been publishing Sustainability Reports since 1998. We do it to be transparent and honest, and to show how we are contributing to sustainable development.” (Shell 2010)

Prinzipiell sollte angenommen werden, dass in den „Sustainable Development“ Programmen vieler Multinationaler Konzerne wenigstens ein Quäntchen Wahrheit steckt. Es scheint einem unbegreiflich, dass ein Konzern wie Shell mit einem durchschnittlichen Umsatz von 329 Mrd. Euro pro Jahr es nicht schafft Menschenrechte adäquat einzuhalten. Wie sich im Fall Ken Saro Wiwa zeigte, ist das Vorgehen der Verantwortlichen meistens skrupellos. Die Behauptung, dass es sich bei der Ausgleichszahlung für die Hinterbliebenen Wiwas um eine menschliche Geste und nicht um ein Schuldbekenntnis handle verdeutlicht das Verhaltensmuster eines Ölmultis. (vgl. Die Zeit 2010)

Der Ursprung der Probleme zwischen der Indigenen Bevölkerung und den Ölkonzernen im Delta wurzelt nicht nur in der rigorosen Landnahme und der Umweltsituation, sondern auch im Verhalten zueinander. Unglücklicher Weise wird die Indigene Bevölkerung nicht als Partner sondern als Risiko gesehen, dies erschwert eine Konfliktlösung zusätzlich. (vgl. Amnesty International 2009: 13) Diese Herangehensweise in Kombination mit massiver Umweltverschmutzung und extremer Armut führt unweigerlich zu Konfliktsituationen. Die daraus resultierende politische Instabilität erschwert die Lebenssituation im Delta zusehends. Neben den schweren Umweltverschmutzungen spielt vor allem das Verhalten der Konzerne in sozialen Fragen eine maßgebliche Rolle, die die Situation im Delta sukzessive verschlechtert. Erstens ist das bereits erwähnte Auftreten bei Untersuchungen von Oil Spills hervorzuheben. Der Einfluss auf die anderen Beteiligten bei den Untersuchungen ist nachgewiesen worden. Wie oft dies innerhalb der Joint Investigation Teams passiert ist zwar nicht ersichtlich, trotzdem ist es äußerst bedenklich, dass bereits Versuche dahingehend unternommen werden. Vor allem im Hinblick auf die Problematik betreffend Ausgleichszahlungen, die nur dann stattfinden, wenn es sich nicht um einen technischen Defekt und nicht um einen Sabotageakt handelt. Dass die betroffenen Landbesitzer aber meistens keine Schuld an Sabotage oder Vandalismus haben bleibt unbeachtet. Die Verantwortung für das Clean Up bzw. Post Impact Assessment im Falle einer „Sabotage“ ist auch nicht gänzlich geklärt, sodass oft monatelang gar nichts passiert und das Öl ungehindert austreten kann – mit allen verheerenden Auswirkungen. (vgl. Amnesty International 2009: 43f)

Im Bezug auf die Ausgleichszahlungen versuchen die Konzerne bewusst die Community intern zu spalten. Dies funktioniert dadurch dass über Kompensationen nur mit Autoritäten innerhalb der Indigenen Gruppe verhandelt werden und diese dann das Geld willkürlich verteilen können:

„When a community is affected by an oil spill, compensation is often negotiated with community representatives, as an overall “package”. The damage done to individuals can be lost in the course of these negotiations, and more powerful members of the community may benefit at the expense of the more vulnerable.” (Amnesty International 2009: 72)

Versuche auf internationaler Ebene

Im Januar 2013 entschied ein niederländisches Gericht gegen die Klage von vier nigerianischen Bauern, Shell hätte die Anbauflächen mit Giften kontaminiert, eine Bewirtschaftung sei daher unmöglich – das Leben auf dem Gebiet gesundheitsgefährdend. Die Richter entscheiden gegen die Kläger, in den Niederlanden könne kein Verfahren gegen einen Mutterkonzern angestrebt werden – laut nigerianischer Rechtsprechung sei eine Mutterfirma ohnehin nicht verpflichtet Wiedergutmachungszahlugen zu leisten. Ein Urteilsspruch fiel lediglich für die Tochter „Shell Petroleum Development Company of Nigeria (SPDC)“ – sie musste in einem von fünf Fällen Reparationszahlungen leisten. Der erhoffte Präzedenzfall für europäische Unternehmen blieb jedoch aus.

Conclusio

 Das Niger Delta steht heute vor dem Rande einer Katastrophe. Jahrzehnte der Ausbeutung haben deutliche Spuren an den Menschen und der Umwelt hinterlassen. Einen Lösungsansatz zu finden, erweist sich als sehr schwierig. Jedenfalls müssen die Rechte der Bevölkerung im Delta gestärkt und diese in den Entscheidungsprozess der Ölförderung eingebunden bzw. an den Gewinnen beteiligt werden – dadurch wird die Zahl illegaler Abzapfungen schwinden.

Abgesehen davon werden Ölkonzerne jedoch nicht ohne fundamentale Maßnahmen puncto Menschenrechte und Umweltpolitik auskommen es sei denn sie wollen, dass in absehbarer Zeit das Niger Delta als Lebensraum zu existieren aufhört.

Verwendete Literatur

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