Bereits die Anfänge moderner kritischer Konflikt- und Kriegs-berichterstattung im 19. Jahrhundert zeigten das Spannungsfeld, in welchem Journalismus bis heute steckt. Als William Howard Russell von der Time, obwohl nationalistisch gesinnt,[1. Stefan Krempl, Krieg und Internet: Ausweg aus der Propaganda?, Hannover 2004, S. 31.] 1854 über die Grausamkeit des Krimkrieges berichtete, wünschte ihm der britische Kriegsminister Sidney Herbert dafür den Tod.[2. Michael Kunczik, Kriegsberichterstattung und Öffentlichkeitsarbeit in Kriegszeiten, in: Kurt Imhof/Peter Schulz (Hrsg.), Medien und Krieg – Krieg in den Medien (Mediensymposium Luzern 1), S. 87–104, S. 91.] Um die Öffentlichkeit zu beruhigen und ihre Zustimmung aufrecht zu erhalten, wurde auf Anweisung von Prinz Albert schließlich der Fotograf Robert Fenton auf die Krim geschickt, der den Krieg »als Variante eines vergnüglichen Jagdausflugs und nicht als grausames Unternehmen«[3. Ebd.] inszenierte. Seit damals ist der Kampf um Bilder und Berichte Teil einer jeden militärischen Konfrontation. Fotos von Massakern an Zivilisten, begangen von US-Soldaten, führten dazu, dass die US-Regierung die öffentliche Unterstützung für den ›Vietnam-Krieg‹ verlor. Auch vier Jahrzehnte später hat sich, man denke an die Berichte von Massakern im Irak-Krieg, nichts an der Macht der Bilder geändert. Es ist daher nachvollziehbar, dass Zensur, Neudeutsch »Informationshandhabe« oder »information-handling« genannt, aus Sicht der Kriegsbefürworter notwendig ist. Zu groß ist das Risiko, dem Journalismus das Feld zu überlassen, denn »Krieg wird in den Medien kolportiert, personifiziert, legitimiert und entlegitimiert, die Darstellung von Krieg gerät zum Bestandteil seiner selbst oder zu seiner Anklage«.[4. Kurt Imhof, Kriegskommunikation im sozialen Wandel, in: Kurt Imhof/Peter Schulz (Hg.), Medien und Krieg – Krieg in den Medien (Mediensymposium Luzern 1), Zürich 1995, S. 123–135, S. 123f. Zur Kritik affirmativer Kriegsberichterstattung vgl. Eckart Spoo, Gewehr bei Fuß. Wie die Medien (uns) in den Krieg ziehen, in: Rainer Butenschön/Eckart Spoo (Hg.), Töten – Plündern – Herrschen. Wege zu neuen Kriegen, Hamburg 2003, S. 172–186.] Bis heute werden kritische Kriegsberichterstatter deshalb von Seiten der Militärs als »enemy within the gates«[5. So bezeichnete Winston Churchill die BBC. Vgl. Kunczik, Kriegsberichterstattung, S. 90.] und ›natürliche Feinde‹ betrachtet.
Friedensjournalismus
Mit kritischen Kriegsberichterstattern sind allerdings nur jene Journalisten gemeint, die sich an der pazifistischen UNO-Vorgabe und nicht an den Interessen der Militärs oder an den ökonomischen Überlegungen des eigenen Mediums orientieren: Frieden zu stärken, so die UNESCO-Mediendeklaration von 1976, erfordere »einen freien Austausch und eine umfassendere und ausgewogenere Verbreitung von Information«.[6. Jörg Becker, Medien im Krieg, in: Ulrich Albrecht/Jörg Becker (Hrsg.), Medien zwischen Krieg und Frieden (Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V. 29), Baden-Baden 2002, S. 13–26, S. 13.] Tatsächlich besitzen Massenmedien, auch wenn dies häufig wenig sichtbar wird, nicht bloß eine ›passiv zu duldende Friedenspflicht‹, sondern eine ›politisch aktivierende Pflicht‹, eine Vorgabe, an die Johan Galtungs Konzept des Friedensjournalismus anknüpft. Es vergleicht (unkritische) Kriegsberichterstattung mit der Sportberichterstattung: Zwischen zwei Parteien geht es um Sieg oder Niederlage, Krieg wird als unvermeidlich dargestellt, die Sprache des Militärs übernommen. Friedensinitiativen werden weit weniger thematisiert als Gewalt. Dieser weit verbreiteten, weil bei Medienkonsumenten beliebten Darstellungsart wird der Friedensjournalismus gegenübergestellt. Er soll Entstehung und Hintergründe eines Konflikts herausarbeiten, mögliche friedliche Lösungen aufzeigen und auf diese abzielen. So sollen vor allem die Opfer aller Seiten gezeigt werden, nicht die Militärs. Medien und Journalisten übernehmen eine Vermittlerrolle, die Berichterstattung soll deeskalierende Funktion haben. Eine Einteilung in ›gut‹ und ›böse‹ gibt es nicht, stattdessen werden Lügen aller Beteiligten aufgedeckt.
In zahlreichen internationalen Krisen und Kriegen, vom ersten ›Irak-Krieg‹ 1991 über die Kriege im ehemaligen Jugoslawien bis zum Angriff auf Afghanistan 2001 und erneut den Irak 2003 überwog der Kriegsjournalismus deutlich. Da der Krieg für die Bürger der NATO-Staaten virtuell und damit irreal war und sie als Zuschauer fungierten, in denen oberflächliche und zugleich heftige Emotionen geweckt wurden wie durch Sportereignisse, minimierte sich auch ihr Interesse daran, die in ihrem Namen ausgeübte Gewalt einzuschränken und zu kontrollieren.[7. Michael Ignatieff, Virtueller Krieg. Kosovo und die Folgen, Hamburg 2001, S. 7.] Dies nützt in erster Linie den kriegführenden Eliten. Doch selbst wenn die Aufforderung, sich aktiv am Frieden zu beteiligen, ernst genommen wird, können sich Problemfelder auftun: Viele Berichterstatter, vor allem jene, die in der Tradition der Weltverbesserer[8. Michael Haller, Im Kampf um die Aufmerksamkeit, in: Tages-Anzeiger, 3. Oktober 2002.] stehen, nahmen und nehmen die Friedensverpflichtung in abgewandelter Form durchaus ernst. Als Hauptaufgabe fassen sie jedoch nicht das Prinzip der Ausgewogenheit auf, sondern die Identifizierung der ›Guten‹ vs. den ›Bösen‹ und das Parteiergreifen für erstere. Dies erleichtert es der als Opfer identifizierten Kriegsseite wesentlich, eine den Eigeninteressen dienliche Berichterstattung zu fördern.
Kriegsjournalismus
Galtungs Theorie des Friedensjournalismus steht in der Praxis dem Kriegsjournalismus gegenüber. Medien wirken sich dabei aufgrund folgender Merkmale unterstützend auf die Vorbereitung eines Krieges und die Aufrechterhaltung der Zustimmung der Öffentlichkeit aus:[9. Zu den folgenden Aufzählungspunkten vgl. Becker, Medien im Krieg, S. 15f.]
- Massenmedien übernehmen oft ungeprüft an sie weitergegebene Informationen staatlicher Stellen
- in vielen Massenmedien wird gelogen
- Massenmedien spiegeln grundsätzlich den parlamentarischen Konsens wider
- sie zeigen Beharrungs- und Verstärkungstendenz, sind meist affirmativ, nicht kritisch
- sie konstruieren eine ihnen eigene Realität
- sie tendieren dazu, Meinung/Nachricht, Politik/Unterhaltung, Aufklärung/Kommerz zu vermischen
- besonders im Bereich internationale Beziehungen sind sie ein Substitut für persönliche Erfahrung
Der Grund für diese Haltung ist in erster Linie von struktureller Natur. Es ist die Wandlung des öffentlichen Guts »Information« in eine Ware, »die ungeheuere Dynamik von Internationalisierung und Privatisierung, von Deregulierung, Liberalisierung und Kommerzialisierung, von selbstverordnetem staatlichen Rückzug; der ›Terror der Ökonomie‹ (Viviane Forrester) […] die fehlende Zivilisierung des Kapitalismus«[10. Ebd., S. 16.].
Die Ökonomisierung befördert die Informationsunterdrück-ung,[11. Zu Manipulationen durch Informationsunterdrückung am Beispiel der Tabakkonzerne oder des Bananen-Giganten Chiquita vgl. Ignacio Ramonet, Die Kommunikationsfalle. Macht und Mythen der Medien, Zürich 1999, S. 168–170.]weil durch weltweite Fusionen eine Medienkonzentration in den Händen weniger entsteht, während sich gleichzeitig das Primat von Information durch Gewinnorientierung auf Unterhaltung verschiebt. Die Vereinheitlichung der Sender bei Radio und Fernsehen führt zu steigendem Konkurrenzkampf und zunehmendem Druck.[12. Zum Konkurrenzdruck der Medien bzw. Fusionen und Monopol-Bestrebungen vgl. Ramonet, die Kommunikationsfalle, bes. das Kapitel ›Neue Imperien‹ S.153–170.] Erschwerend kommt hinzu, dass sich in den letzten Jahren »der grundlegende Begriff des Wahrheitsgehalts der Information«[13. Ramonet, Die Kommunikationsfalle, S. 173.] verändert hat. So werden Informationen, vor allem in Massenmedien, aber teilweise auch in der wissenschaftlichen Forschung, zunehmend weniger durch offen gelegte Kriterien der Quellenkritik überprüft, sondern durch wechselseitige Bezugnahme abgesichert: »Repetition tritt an die Stelle von Beweisführung; Information wird durch Bestätigung ersetzt.«[14. Ebd., S. 174.] Information ist zur Ware geworden und hat ihren spezifischen Wert wie in Bezug auf die Wahrheit oder auf staatsbürgerliche Wirksamkeit verloren.[15. Ebd., S. 96.] Sie ist den Gesetzen des Marktes von Angebot und Nachfrage unterworfen, »und andere Grundsätze, namentlich staatsbürgerliche und ethische, kommen erst an zweiter Stelle, obschon dies doch ihre ureigensten Prinzipien sein müssten«.[16. Ebd., S. 76. Vgl. dazu auch Gustav A. Lang, Der Krieg als journalistisches Thema, in: Kurt Imhof/Peter Schulz (Hg.), Medien und Krieg – Krieg in den Medien (Mediensymposium Luzern 1), Zürich 1995, S. 151–156, S. 153.] Doch wo anstelle des besseren Arguments der Gewinn zählt, ist eine kritische Öffentlichkeit nicht mehr möglich. Vielmehr wird sie durch das System verhindert und stattdessen eine Scheinöffentlichkeit produziert, in der Probleme und Lösungen nicht ernsthaft verhandelt, sondern nur noch inszeniert werden.[17. Becker, Medien im Krieg, S. 16.] Um den Umgang mit Krieg zu verstehen, müsse man Massenmedien konsequent aus dem Blickwinkel von struktureller Gewalt analysieren, meint der Konfliktforscher Jörg Becker. Es sei »eine intellektuelle Fehlleistung«[18. Ebd., S. 17.],den Schwerpunkt einer Medienanalyse auf die Semantik zu legen, anstatt auf Verfügungsgewalt, Zugang, Technologie, Nutzung, Rezeption, Wirkung und Funktion, also die Produktionsbedingungen der Massenmedien. Denn »wo die Pressefreiheit die Meinungsfreiheit ersetzt und aus dem Zeitung lesenden Bürger ein Rezipient, ein Kunde, eine Klientel und eine Zielgruppe geworden ist, da kann ein demokratietaugliches Konzept von Öffentlichkeit kaum gedeihen.«[19. Ebd., S. 18.] Im Kontext der Kriegsberichterstattung ist die Verflechtung zwischen Medien und Militär von nicht zu unterschätzender Bedeutung. So bestehen die global agierenden Medien aus wenigen transnationalen Konzernen, die alle über intensive Verbindungen zur Rüstungsindustrie verfügen.[20. Ebd.] Der US-Fernsehsender NBC z.B. gehört zum Konzern General Electronic, einem der weltweit größten Hersteller militärischer Elektronik und Hauptlieferanten der US-Armee.[21. Ignacio Ramonet, Die Kommunikationsfalle. Macht und Mythen der Medien, Zürich 1999, S. 168. Vgl. Jean Ziegler, Das Imperium der Schande. Der Kampf gegen Armut und Unterdrückung, München 2005, S. 39.]
Es ist eine Tatsache, dass sich Krieg massenmedial um ein Vielfaches besser verkauft als Frieden. Konflikte, Auseinandersetzungen und Krieg sind durch das Lockmittel der Gewalt weit spannender als der oft als langweilig empfundene, mühsame Verhandlungsweg in Form zäher Kompromisse und oft kaum sichtbarer ziviler Fortschritte. Krisen, Kriege und Katastrophen sind also Katalysatoren für nach neoliberalen kapitalistischen Überlegungen arbeitende Medienkonzerne.
Embedded Journalism, Nachrichteninszenierungen und Emotainment
›Natural enemys‹ des Friedensjournalismus sind neben Marktüberlegungen gezielte Propaganda und ›embedded journalism‹.[22. http://de.wikipedia.org/wiki/Embedded_Journalist, 29. 4. 2010.] Propaganda kann von Journalisten entweder bewusst oder unbewusst übernommen oder dechiffriert und abgelehnt werden. Weil die menschliche Sprache einen manipulativen Einsatz von Worten, Begriffen und Schlagwörtern erlaubt und die Bildsprache durch Symbole Suggestivkraft entwickelt, geht es »um den Einsatz aller zur Verfügung stehenden ›Kommunikationswaffen‹.«[23. Stefan Krempl, Krieg und Internet: Ausweg aus der Propaganda?, Hannover 2004, S. 33.] Beim ›embedded journalism‹ wiederum berichten Reporter mit Einverständnis der Militärs einer Seite über den Krieg. Durch das Militär wird Zensur ausgeübt, indem man Reporter Verhaltensregeln unterschreiben lässt (z.B. keine Bilder toter eigener Soldaten), sie im ›Media-Boot-Camp‹ einem Training unterzieht und die Identifizierung mit der Truppe im direkten Kampfeinsatz an der Front fördert.[24. Ebd., S. 27.] Gleichzeitig werden Journalisten, die sich diesem Druck nicht beugen wollen, verbal bedroht, als Feinde in den Krieg miteinbezogen und bisweilen sogar getötet.[25. Ebd., S. 26. Vgl. Florian Flade, US-Soldaten töten Reuters-Journalisten in Irak, in: Welt-online, 6. 4. 2010, zit. nach www.welt.de/politik/ausland/article7069862/US-Soldaten-toeten-Reuters-Journalisten-in-Irak.html, 29. 4. 2010.] Auch wenn der ›embedded journalism‹ mit allen Facetten zusammen betrachtet eine Erscheinung des 21. Jahrhunderts ist, so lassen sich Ansätze dazu schon in der Antike finden. So führte bereits Alexander der Große auf seinen Feldzügen Schreiber mit sich, die Erfolgsberichte abfassen und möglichst schnell in Umlauf bringen mussten. Christliche Berichte aus Palästina identifizierten sich im Mittelalter mit den Kreuzfahrern und diffamierten muslimische Heere durch erfundene oder übertriebene Gräuelberichte, die in Europa wiederum meist als Tatsachen aufgenommen wurden. Die Entstehung der Massenmedien im 19. Jahrhundert wirkte sich auf die Verbreitung von Kriegspropaganda aus. Die Politik reagierte in Form der im Ersten Weltkrieg berühmt gewordenen behördlichen Propagandaapparate und schränkte die Pressefreiheit ein. Im Zweiten Weltkrieg stachen die USA mit dem ›Office of War Information‹ hervor, übertroffen noch von der Leistung des von Joseph Goebbels geführten ›Ministerium für Volksaufklärung‹. Auf dem Prinzip journalistischer Gleichschaltung, erzwungener wie freiwilliger, wurden im ›Dritten Reich‹ 2.244 Mann in elf Propagandakompanien an die Fronten entsandt. Dabei handelte es sich zwar nicht um zivile, sondern militärische Berichterstatter, sie wurden jedoch von damaligen Zeitungswissenschaftlern positiv interpretiert.[26. Ebd., S. 32.] Die eingebetteten Journalisten von heute stehen damit in einer jahrhundertealten Tradition, »auch wenn sie jetzt nicht mehr direkt auf der Gehaltsliste des Heeres stehen und über die künstlichen Himmelskörper ihre Botschaft deutlich schneller verbreiten können«.[27. Ebd., S. 31.]
Nicht weniger bedeutend für die ›Bedrohung der Demokratie‹[28. So der britische Parlamentarier Anthony Benn, zit. nach Said, taz, 17. Mai 1999.] ist die Haltung jener Massenmedien, die wie CNN den Journalismus rigoros dem wirtschaftlichen Erfolg unterordnen.[29. Ramonet, Die Kommunikationsfalle, S. 59f.] Cable Network News exerzierte vor, wie aus Information und Entertainment Infotainment wurde. Dieses löste spätestens mit dem Krieg gegen den Irak 1991[30. Peter Arnetts Live-Bericht aus Bagdad, stilistisch-dramaturgisch eher Abenteuerroman denn Sachbuch, wurde zum Synonym einer neuen Berichterstattung, die oberflächliche Information mit Unterhaltung mixt, gewürzt mit der Spannung der Direktübertragung. Vgl. Martin Löffelholz, Beobachtung ohne Reflexion? Strukturen und Konzepte der Selbstbeobachtung des modernen Krisenjournalismus, in: Kurt Imhof/Peter Schulz (Hg.), Medien und Krieg – Krieg in den Medien (Mediensymposium Luzern 1), Zürich 1995, S. 171–191, S. 172.] die informative Berichterstattung in weiten Teilen der vor allem audiovisuellen Medien ab. Die neue Mischung, selektive, meist zusammenhangslos live übertragene Information ohne Interpretation und ohne Hintergrundberichte, gepaart mit der Spannung des unmittelbaren Geschehens, setzte als Unterhaltung neue Maßstäbe im Nachrichtensektor. Der Preis ging zu Lasten der informativen journalistischen Berichterstattung. Journalistik-Professor Siegfried Weischenberg, zwischen 1999 und 2001 Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), kritisiert die Auswirkungen des »›Reality TV Senders‹«[31. Siegfried Weischenberg, Legitimation als Gegengeschäft. Warum CNN zum Symbol journalistischer Dummheit geworden ist, in: Kurt Imhof/Peter Schulz (Hg.), Medien und Krieg – Krieg in den Medien (Mediensymposium Luzern 1), Zürich 1995, S. 163–168, S. 164.] CNN, »Symbol journalistischer Dummheit«,[32. Weischenberg, Legitimation als Gegengeschäft, S. 164.] vehement. Ein Journalismus, der sich auf Dabeisein, Draufhalten und Dauerinformation anstelle von Interpretation, auf technischen Transport statt Erklärung von Ereignissen stütze, führe sich selbst ad absurdum und sei nicht nur impotent, sondern auch überflüssig. Etymologisch bedeutet Journalist ja ›Analytiker des Tages‹.[33. Ramonet, Die Kommunikationsfalle, S. 95.] Live-Bilder, die im Sinne des noch zu erörternden ›Gemeinmachenden Journalismus‹ anstelle von Dokumentation Anteilnahme durch Gefühlsregungen erzielen wollen, bergen die Gefahr, Relationen zu verzerren oder zu Fehlschlüssen zu verleiten. Zusätzlich führen sie zu informationsarmer Empörung und dem Wunsch, das dabei entstandene Gefühl von Unbehagen und Ohnmacht durch Aktionismus zu befriedigen. Auf Emotainment fußende Berichterstattung verselbständigt sich von historischen Tatsachen oder der politischen Realität und spielt damit jenen in die Hände, denen an einer durch verkürzte, vereinfachte und stereotype Darstellung eines Konflikts legitimierten Militäraktion, also an Krieg, gelegen ist – egal, ob dies dem jeweiligen Journalisten bewusst ist oder nicht. Dabei stilisiert die Berichterstattung nach Vorbild der Unterhaltungsbranche auch Krieg immer mehr zur Show. Die Inszenierungen, denen Medienkonsumenten ausgesetzt sind, laufen auf vier Ebenen ab:[34. Daniel Süss, (Selbst-)Inszenierungen im Krieg als Fallstrick für Qualitätsjournalismus, in: Zeitschrift für Friedenspolitik 5/2000, S. 11–12, S. 11.]
- Inszenierung der Politik: Durch Betonung von Mimik, Gestik und Pose soll der Eindruck einer vertrauenswürdigen und starken Persönlichkeit vermittelt werden.[35. So forderte NATO-Sprecher Jamie Shea mediale Omnipräsenz der Regierungschefs der NATO-Staaten während des Kosovo-Krieges. Jamie Shea, Die Kosovo-Krise und die Medien: Reflexionen eines NATO-Sprechers, in: Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden 3/2000, S. 208–217, S. 214.]
- Inszenierung der Militärs: Eigene Erfolge und Niederlagen der Gegenseite werden in Medienkonferenzen und selbst produzierten News mit eloquenten ›Moderatoren‹ (Jamie Shea) in hoher Frequenz veröffentlicht; Fehler werden bestritten und die Durchführung einer Untersuchung angekündigt mit dem Verweis, dass es mehrere mögliche Erklärungen gebe; Die Wahrheit wird erst nach ein oder zwei Wochen zugegeben, wenn sich kaum jemand mehr dafür interessiert.[36. Vgl. Jürgen Elsässer, Kriegsverbrechen. Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovo Konflikt (Konkret Texte 27), Hamburg 2000, S. 118.]
- Selbstinszenierung der Medien: Aktionismus, ›Draufhalten‹ und Dauer-live-Reportage täuschen über fehlende Analysen und Hintergrundforschung hinweg; Weil Live-Bilder einer lasergesteuerten Bombe im Moment der Explosion erlöschen, bleiben dem Zuschauer die Folgen vorenthalten, er nimmt Krieg dadurch virtuell und ähnlich wie ein Computerspiel auf; Die Ablehnung des Krieges wird kleiner, Kriegsbegeisterung kann leichter entfacht und instrumentalisiert werden.
- Selbstinszenierung einzelner Reporter: Journalisten stellen sich z.T. als selbstlose Helden dar, die wegen der exklusiven Nachricht hohe Risiken eingehen, verschweigen dabei jedoch die Unausweichlichkeit von Selbstzensur und Instrumentalisierung durch eine Kriegspartei ebenso wie die schlichte ökonomische Verlockung[37. Martin Lettmayer von ›stern-tv‹: » ›Im Fall Bosnien habe ich erkannt, daß gerade in Deutschland und in Europa eine große Nachfrage nach Reportagen aus diesem Gebiet besteht. Deswegen bin ich hingefahren. Ich muß zugeben, ich habe sehr viel damit verdient. Andere, die das besser vermarkten konnten, wahrscheinlich noch mehr.‹ « Zit. nach Mira Beham, Kriegstrommeln, München 1996, S. 232.] oder Notwendigkeit ihrer Arbeit.
Angesichts einer konsumierenden Massenöffentlichkeit wachse, so der Historiker Andreas Schulz, der Zwang, »Politik zu inszenieren und zu medialisieren«.[38. Andreas Schulz, Der Aufstieg der ›vierten Gewalt‹. Medien, Politik und Öffentlichkeit im Zeitalter der Massenkommunikation, in: Historische Zeitschrift 270, Heft 1, Februar 2000, S. 65–97, S. 96.] So werde schon durch die Möglichkeit der Medien, konkurrierende Interpretationen von Wirklichkeit zu liefern – von der Forderung nach politischer Aktion ganz zu schweigen –, »das Handeln politischer Entscheidungsträger weit mehr beeinflußt als der Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung selbst«.[39. Ebd.]
Der Aufstieg des Emotainment begann, als die Medienkonsumenten vom Infotainment abgestumpft waren.[40. Haller, Tages-Anzeiger, 3. Oktober 2002.] Ein Beispiel dafür, wie Gefühle und Unterhaltung unter dem Mantel der Information präsentiert wurden, war die in nahezu allen westlichen Sendern ähnlich anzutreffende Fernsehberichterstattung über die Terroranschläge auf New York und Washington im September 2001. Während man Hintergrundberichte nahezu vergeblich suchte, wurde die US-amerikanische Reaktion in Form des vorbereiteten Angriffs auf Afghanistan als logische Konsequenz dargestellt und ein Infragestellen als Sakrileg aufgefasst und mit moralischer Empörung zurückgewiesen. Kritiker wurden bisweilen persönlich abgestraft.[41. Spoo, Gewehr bei Fuß, S. 175ff.] Welche Folgen lassen sich aus all diesen Überlegungen ableiten? Die 1995 getroffene Äußerung Kurt Imhofs vom Soziologischen Institut der Universität Zürich liest sich rückblickend wie eine Prophezeiung:[42. Imhof, Kriegskommunikation im sozialen Wandel, S. 124.]
»Ebenfalls mit schwindender Distanz der Kriegskommunikation zu den kriegsführenden Parteien zeigt sich eine starke Tendenz zur Historisierung der Gegenwart und zur Politisierung der Geschichte, d.h. der Verwendung von Geschichtsbildern zur Legitimierung oder Illegitimierung eines aktuellen Krieges oder zur Vorwegnahme zukünftiger Entwicklungen.«
Da objektive Berichterstattung im Krieg nicht zu erwarten ist, ist das Entscheidende für eine Demokratie somit die Aufarbeitung in der Nachkriegszeit. »Objektive Kriegsberichterstattung ist nicht Aufgabe der Journalisten, sondern ganz eindeutig Aufgabe der Historiker.«[43. Kunczik, Kriegsberichterstattung, S. 101.]
Journalisten als Weltverbesserer – der Gemeinmachende Journalismus (GJ)
Informationsbeschaffung stößt nicht nur dort an Grenzen, wo Militärs beeinflussen oder PR-Agenturen absichtsvoll auf falsche Fährten locken. Erhebliches Problempotential besteht im beruflichen Selbstverständnis des Kriegsberichterstatters, das sich seit dem Ende des Kalten Krieges verändert hatte. »Save the world«[44. Mick Hume, Whose War is it anyway? The Dangers of the Journalism of Attachment, London 1997, S. 27.] lautete nun das Credo, und dieses Ziel sollte nicht mehr als neutraler Beobachter erreicht werden, sondern indem man als Weltverbesserer für die Opfer Partei ergriff. Damit stieg zugleich die Forderung nach Humanitären Interventionen sprunghaft an. Dazu wurden Krisen und Bürgerkriege den Nachrichtenkonsumenten häufig durch ein manichäisches Bild von Tätern und Opfern im Sinne des Kampfes von ›gut‹ gegen ›böse‹ à la ›Herr der Ringe‹ dargestellt. Die Dichotomie der Wahrnehmung wird dabei oft redaktionell befördert, wobei Ressentiments und Vorurteile eine maßgebliche Rolle spielen. Ist eine Zuordnung erst einmal getroffen, können Kriegsberichterstatter mit einem differenzierteren Bild gar nicht mehr durchdringen. Dass durch die simplifizierte Darstellung auch höhere Einschaltquoten und Auflagen erzielt werden, ist ein zentraler Effekt, welcher die neue Form der Konfliktberichterstattung, den ›Journalism of Attachment‹, beförderte. Der britische Journalist Mick Hume erklärte dies damit, dass Berichte über Kriegsgefangene oder Flüchtlingslager aufgrund der Häufigkeit in den 1990er Jahren kaum mehr Aufmerksamkeit erzielen konnten. Wer aber Konzentrationslager ›entdeckte‹ und über ›Genozide‹ anstelle von ›ethnischen Konflikten‹ berichtete, war weltweit erfolgreich.[45. Ebd., S. 20.] Martin Bell begründete den Wandel vom neutralen Kriegsreporter zum Partei ergreifenden Weltverbesserer mit der Erfahrung des ›Bosnien-Krieges‹. ›Journalism of Attachment‹ kümmere sich aufgrund seines Wissens um die Opfer, nehme seine Verantwortung wahr und stehe nicht neutral zwischen ›gut‹ und ›böse‹, richtig und falsch, Opfer und Unterdrücker.[46. Martin Bell, ›TV news: how far should we go?‹, in: British Journalism Review, Vol. 8 Nr. 1, 1997, zit. nach Hume, Whose War is it anyway?, S. 6.] Damit unterstellte Bell neutralem Krisenjournalismus Verantwortungsindifferenz und erklärte gleichzeitig ein manichäisches Weltbild zur Grundlage verantwortungsvoller Berichte. Der verstorbene deutsche Fernsehjournalist Hanns Joachim Friedrichs definierte hingegen professionelle Berichterstattung wie folgt: »Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.«[47. http://de.wikipedia.org/wiki/Hanns_Joachim_Friedrichs, update 14. August 2008] Problematisch ist der ›Journalism of Attachment‹, der ›Gemeinmachende Journalismus‹ (GJ), vor allem deshalb, weil er die Wirklichkeit weniger abbildet denn neue Realitäten erschafft. Erst die Übertragung der Wahrnehmungsmuster aus dem Zweiten Weltkrieg auf den zeitgenössischen Konflikt, die Überzeugung also, in Bosnien ›Nazi-KZs‹ finden und bekämpfen zu müssen, verhalf dieser Behauptung zur Realität.[48. Zur Analyse der hauptsächlich auf Anspielungen, Wiedererkennen, Kollektivsymbolik und Diskurssystemen beruhenden ›Fakten‹ Ed Vulliamys, Roy Gutmans oder beispielsweise der antiserbischen Kriegshetze des deutschen Magazins Der Spiegel vgl. die diskurstheoretische Arbeit von Hermann Mitterhofer, Die deutschsprachige Presse und der Krieg in Bosnien. Eine Analyse journalistischer Kollektivsymbolik und elementar ideologischer Analogien anhand ausgewählter Texte unter Anwendung der Diskurstheorie Jürgen Links, Univ., Diss., Innsbruck 1999.] Friedensjournalismus hätte eine sachliche Beschreibung der schlimmen Zustände ohne das übermächtige Bild der NS-Analogie erfordert inklusive der Frage nach den Gründen (nicht nur, aber auch Gefangenenaustausch) sowie nach der Proportionalität (ihrer militärischen Stärke mehr oder weniger entsprechend führten alle Kriegsparteien Lager). Geliefert wurden aber hauptsächlich Berichte und Bilder, welche erstens nur serbische Lager in den Mittelpunkt stellten, zweitens kaum nach rationalen Gründen dafür forschten und drittens aus einigen wenigen Übereinstimmungen zwischen den beiden Lagertypen aus Gefangenenlager nationalsozialistische Konzentrationslager machten. Erst dadurch konnte der deutsche Verteidigungsminister Scharping im Frühjahr 1999 ein ›serbisches KZ‹ in Pristina erfinden und damit, anstatt zurücktreten zu müssen, breite Zustimmung zu ernten. Wichtig und dem Gemeinmachenden Journalismus dienlich waren dabei immer Bilder, die wirkungsvoll genug waren, »um die Explikation dem Mechanismus des ›Wiedererkennens‹ bei den LeserInnen zu überlassen«.[49. Ebd., S. 82.] Das berühmte gestellte ›KZ-Bild‹ aus dem ›Bosnien-Krieg‹ vom August 1992, die Aufnahmen von Penny Marshall und ITN aus dem Lager Trnopolje, setzten, so Hermann Mitterhofer, die spontane Erinnerung an ein dominantes Kollektivsymbol (die NS-Lager), in Gang.[50. Ebd., S. 9.] Dieses diskursive Ereignis sei jedoch gerade nicht im Sinn von Manipulation zu verstehen. Auf den Bildern sei schlicht ›mehr‹ zu sehen als das Abgebildete.[51. Ebd., S. 10.] Man kann angesichts der herrschaftslegitimierenden Funktion von Diskursen auch den GJ als ein geschlossenes Diskurssystem interpretieren, innerhalb dessen Definitionsmacht, Kollektivsymbolik und Sprache die Wirklichkeit bilden und nicht umgekehrt. Mit anderen Worten, der Attachment-Journalist beschreibt keine Fakten, sondern erschafft sie. Dies geschieht nicht im Sinne einer medialen Verschwörung, sondern aus der Kombination von subjektiver Voreingenommenheit, moralischem Imperativ des Handelns und großteils unbewusstem Gebrauch von Kollektivsymbolik, Analogien, Parallelismen und dichotomen Mustern.[52. Ebd., S. 66 bzw. S. 88.]
Die Konstruktion von Realität geht einher mit fehlender Erklärung eines Konflikts, weil durch den Fokus auf Empörung und Aktionismus die vielleicht ethisch abzulehnenden, aber meist durchaus rationalen Interessen der Kriegsparteien vernachlässigt werden. An die Stelle von Differenzierung tritt Reduktion von Komplexität,[53. Vgl. Peter Glotz, Vorwort, in: Misha Glenny, Jugoslawien – Der Krieg, der nach Europa kam, München 1993, S. 9–17, S. 9.] womit als Grund für das Verhalten einer als ›böse‹ identifizierten Seite nur noch archaische Zuschreibungen zur Verfügung stehen wie ›bösartige, gemeine, durchgeknallte, teuflische Bastarde‹.[54. stark, raving, mad, vicious, mean bastards‹. Vgl. Hume, Whose War is it anyway?, S. 14.] Anstatt sachlicher Erläuterungen und kritischer Hintergrundanalysen wird eine mit pathetischen Formulierungen gespickte Reportage, ein militärisches Eingreifen fordernder Leitartikel oder ein Pamphlet verfasst. Dies ist die moralische Komponente des GJ, der in seinem »one-size-fits-all-wars framework of Good and Evil«[55. Ebd., S. 8.] auf Analyse verzichtet und komplexe Zustände auf handlungsfähig machende Vereinfachungen von richtig und falsch reduziert. Fakten, die nicht in das Interpretationsschema passen, werden negiert und die eigene Voreingenommenheit unterstützende in den Fokus gerückt oder konstruiert.[56. Z.B. Erich Rathfelder, Massengräber jetzt auch im Kosovo entdeckt, in: taz, 5. 8. 1998, Der Bericht brachte Rathfelder eine Rüge des österreichischen Presserats ein, www.voez.at/download172, 29. 4. 2010.]
Zusätzlich zur Erschaffung von Realität und dem Verhindern rationalen Verstehens verschärft der GJ internationale Konflikte und Krisen durch seine Forderung nach Aktionismus, »to demand of governments and international agencies that ›something-must-be-done‹«,[57. Hume, Whose War is it anyway?, S. 6.] indem er in die Hände der Kriegstreiber spielt. Durch einseitige Sichtweise und monokausale Erklärungsmuster evoziert er das Bedürfnis, etwas gegen angeblich offenkundige Ungerechtigkeit zu unternehmen. Indem er auf Erregung der Öffentlichkeit setzt, drängt er selbst moderate Politiker zu übereilten und radikalen Handlungen, die den Konflikt eskalieren, am Ende die Situation verschlimmern und sogar denen schaden können, denen durch ein Eingreifen geholfen werden sollte.[58. Thomas Deichmann, ›Es war dieses Bild, das die Welt in Alarmbereitschaft versetzte.‹ Ein Bild ging um die Welt, und es war ein falsches Bild vom Bosnienkrieg, in: Ders. (Hrsg.), Noch einmal für Jugoslawien: Peter Handke, Frankfurt a. M. 1999, S. 228–259, S. 253.]
Die Voraussetzungen des Gemeinmachenden Journalismus
Folgt man dem kanadischen Historiker Michael Ignatieff, so rührt die Basis des GJ daher, dass viele Menschen angesichts der starken Überzeugungskraft der ›Ideologien des Tötens‹ der großen Versuchung erliegen, in moralischer Empörung Zuflucht zu suchen. Gerade Fernsehnachrichten zeigten, so Ignatieff, viel zu oft eine ›allgemeine Misanthropie‹, die im Gefühl kulminiere, »die Welt sei viel zu verrückt geworden, als dass es sich noch lohne, ernsthaft über sie nachzudenken.«[59. Michael Ignatieff, Die Zivilisierung des Krieges. Ethnische Konflikte, Menschenrechte, Medien, Hamburg 2000, S. 35.] So schöpfte der GJ seine Kraft aus dem moralischen Vakuum, welches angesichts wachsender Verunsicherung über erodierende Werte in den westlichen Gesellschaften im Zuge neoliberaler Wirtschaftskrisen und angeblicher postmoderner Beliebigkeit in den frühen 1990er Jahren entstand. Mick Hume beschreibt den ›Journalism of Attachment‹ als moralische Mission im Interesse einer demoralisierten Gesellschaft: Wo ethische Dilemmata aufgrund sozialer und wissenschaftlicher Veränderungen rätselhaft und verunsichernd wirkten, seien die Sicherheiten des GJ umso beruhigender und deshalb willkommen.[60. Hume, Whose War is it anyway, S. 18.] Dabei diene der ›Journalism of Attachment‹ dabei angesichts gesellschaftlicher Umbrüche als Therapie gegen ethische Nivellierungen tradierter Werte. Je größer die Verunsicherung über vermeintliche oder tatsächliche moralische Beliebigkeit im eigenen Land werde, desto dankbarer griffen die Bürger nach Pseudofakten, die ihnen Sicherheit in ihrem Weltbild versprächen, indem sie die Komplexität der Wirklichkeit auf ›gut‹ und ›böse‹ reduzierten. Dass dies hauptsächlich mit außenpolitischen Konflikten geschieht, lasse sich damit erklären, dass die meisten Menschen von dieser Thematik, anders als bei ihnen näher liegenden, innenpolitischen Themen, so gut wie keine Ahnung, aber stattdessen jede Menge Vorurteile hätten. Die Welt wissen zu lassen, dass man sich als Medien um sie kümmert, ging und geht einher mit der Attitüde des modernen Journalismus, Schuldige zu suchen um zu bestrafen und zu informieren um zu rächen.[61. Thomas Fleiner, Minderheiten und Nationalismus, in: Klaus Bittermann (Hg.), Serbien muß sterbien. Wahrheit und Lüge im jugoslawischen Bürgerkrieg, Berlin 4/1999, S. 50–74, S. 64.] Die Fixierung auf Verbrechen und Bestrafung bei gleichzeitiger Anmaßung der Rolle von Ankläger und Richter erhöht jedoch die Instrumentalisationsgefahr. Da die Außenpolitik von Demokratien von der innenpolitischen Öffentlichkeit beeinflusst wird, können im Umkehrmechanismus Massenmedien von Staaten, Nationalitäten oder Kriegsparteien durch die Fokussierung auf Berichte über Menschenrechtsverletzungen für politische oder militärische Ziele missbraucht werden:[62. Ebd., S. 51f.]
»Sollen die international einflußreichen Medien, die den Erwartungen der Konsumenten und der Werbeagenturen entsprechen müssen und die wegen der weltweiten Konzentration bald nur von einigen wenigen Milliardären (z.B. dem Australier Murdoch) kontrolliert werden, über Krieg und Frieden entscheiden können?«
Das von Mick Hume 1997 konstatierte moralische Vakuum, welches der GJ füllt, kann die moralische Aufladung der Kriegsdiskurse der 1990er Jahre und der omnipräsente Bezug auf Auschwitz erklären. Durch unsachgemäße Verwendung der Shoa sowie die Bereitschaft, emotionale Aufnahme vor rationales Verstehen zu stellen, erwiesen sich zahlreiche Journalisten, obwohl in der Regel »keineswegs Verschwörungspraktiker oder gar bezahlte Lakaien von Kriegstreibern«,[63. Lang, Der Krieg als journalistisches Thema, S. 154.] schließlich als beinahe immun gegen Fakten. Obwohl sich der GJ, der in erster Linie dem Selbstverständnis der Berichterstatter[64. Hume, Whose War is it anyway?, S. 4 bzw. S. 18.] dient, nicht den Interessen von Regierenden verpflichtet fühlt, wurde er durch seinen moralischen Impetus, gepaart mit der Forderung nach Aktion, instrumentalisierbar. So profitierten und profitieren herrschende Eliten durchaus von der Bereitschaft zahlreicher Journalisten zu ›Humanitären Interventionen‹. ›Embedded‹- und ›Attachment-Journalism‹ zum Trotz nahm ab dem ›Irak-Krieg‹ 2003 kriegskritische Berichterstattung tendenziell wieder zu. Ihre Exponenten riskieren dabei jedoch, wie am Beispiel der durch US-Soldaten im Irak ermordeten Reuters-Journalisten ersichtlich, nach wie vor ihr Leben, auch durch Militärs der angeblich humanitär intervenierenden westlichen Gemeinschaft.[65. Florian Flade, US-Soldaten töten Reuters-Journalisten in Irak, in: Welt-online, 6.4.2010, zit. nach www.welt.de/politik/ausland/article7069862/US-Soldaten-toeten-Reuters-Journalisten-in-Irak.html, 29.4.2010.]
This article was originally published in January 2011 in INTERNATIONAL – Zeitschrift für internationale Politik, Issue 1-2011.