So erklärte der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibb, bereits am 31. Januar, dass »den legitimen Forderungen des ägyptischen Volkes nach Versammlungs- und Redefreiheit stattgegeben werden« müsse.[1. www.defense.gov/news/newsarticle.aspx?id=62636 19.2.2011.] Und Philip Crowley, Sprecher des US-Außenministeriums sagte bei einem Besuch in Algier am 18. Februar 2011: »Der Wandel ist notwendig. […] Wir haben nicht gezögert, die universellen Rechte des algerischen Volkes zu betonen. Wir haben dasselbe in Tunesien getan […] wir sind dabei, dasselbe in der ganzen Region zu tun. Wir ermutigen diesen Wechsel und wir wollen einen friedlichen Wandel.«[2. Interview mit der algerischen Tageszeitung Liberté, 19.2.2011.] Auf einsamer Flur stand nur Frankreichs Außenministerin Michèle Alliot-Marie, die noch drei Tage vor dessen Flucht dem tunesischen Diktator Ben Ali französische Spezialkräfte zur Aufstandsbekämpfung anbot. Als dann allerdings bekannt wurde, dass sie auf Kosten des Trabelsi-Clans[3. Leila Trabelsi ist die Ehefrau Ben Alis. Mit ihrem weitverzweigten Familienclan hatte sie nahezu die gesamte Wirtschaft des Landes unter Konrolle gebracht und ausgeplündert. Eine ihrer letzten Großtaten war die Plünderung der tunesischen Zentralbank, aus der sie die Goldreserven des Landes (15 Tonnen) im Wert von 45 Millionen Euro raubte und ins Ausland fliegen ließ.] in Tunesien Urlaub zu machen pflegte, musste sie am 27. Februar 2011 zurücktreten.
Die westlichen Medien stimmten in den revolutionären Jubel ein und merkten offenbar nicht, dass sie damit zugleich das rassistische Paradigma vom »Kampf der Kulturen« des Samuel P. Huntington zu Grabe trugen, der ja den Muslimen Demokratie-Unfähigkeit bescheinigt und entscheidend zum Aufbau des Feindbilds Islam beigetragen hatte, das dann durch die Anschläge des 11. September 2001 seine Bestätigung zu erfahren schien.[4. Ruf, Werner : Die NATO und das Feindbild Islam. In: INAMO Nr. 68, Winter 2011, S. 9 – 12.] Dieses aber taugt in der neuen Konstellation nicht mehr: Nicht zufällig plädiert nun der Direktor des EU-eigenen strategischen Think Tanks Institute for Security Studies für einen rationalen und kooperativen Umgang mit den in allen Ländern der Region als stärkste politische Kraft erscheinenden Islamisten. [5. Vasconcelos, Alvaro de: Listening to unfamiliar Voices. The Arab Democratic Wave. Paris 2012.]
Es stellt sich die Frage, ob dieser Wandel in der Position des Westens einen radikalen Politikwechsel darstellt oder ob er nicht in subtiler Weise eine Kontinuität der US-amerikanischen und westlichen Außenpolitik ausdrückt und daher allenfalls als Strategiewechsel zu verstehen ist: Hatte nicht schon George W. Bush erklärt, er wolle den Mittleren Osten demokratisieren? Offiziell galten die Kriege in Irak und auch in Afghanistan diesem Ziel – auch wenn die wahren Gründe die Kontrolle des Öl- und Gasreichtums der Region waren.[6. Ruf, Werner: Afghanistan im Fadenkreuz der Geostrategie; in: spw – Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft, Nr. 176 (1/2010), pp. 32 – 37.] Die Kriege sind verloren, ihr Ergebnis sind zwei zerfallene Staaten. Zugleich signalisieren sie die demütigende Niederlage der einzigen nach Ende des Kalten Krieges verbliebenen Supermacht. Den Willen zu einem Politikwechsel gegenüber dem arabisch-islamischen Raum hatte Präsident Obama verbal schon in seiner Rede am 4. Juni 2009[7. www.whitehouse.gov/the-press-office/remarks-president-cairo-university-6-04-09 4.3.2012.] in Kairo zum Ausdruck gebracht, in der er ankündigte, die Beziehungen der USA und diesem Teil der Welt müssten hinfort gekennzeichnet sein »von gegenseitigem Respekt … (und) den Grundsätzen der Gerechtigkeit, der Toleranz und der Würde aller Menschen.«
Diese Rede widerspricht diametral dem flammenden Appell des neokonservativen Kolumnisten der Washington Post Charles Krauthammer, der am Ende der Bipolarität die US-Politik zur Wahrnehmung einer einzigartigen Chance aufgerufen hatte; »Unsere beste Hoffnung auf Sicherheit […] ist Amerikas Stärke und die Willenskraft, eine unipolare Welt zu führen und ohne Scham (unshamed) die Regeln der Weltordnung festzulegen und sie auch durchzusetzen”.[8. Krauthammer, Charles: The Unipolar Moment; in: Foreign Affairs, 1/1991, S. 23.] Dieser Augenblick scheint endgültig Vergangenheit zu sein. Zwar blieb der Appell des Friedensnobelpreisträgers 2009 in Kairo für eine gerechte Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts folgenlos, dennoch stellte es ein Signal dar: Obama benutzte in seiner Rede mehrfach das Wort »Würde«. Sie war zugleich die Anerkennung der gescheiteren Politik seines Amtsvorgängers: Zwei Kriege haben die USA verloren, anti-amerikanische Ressentiments in der Region waren noch nie so groß. Die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise lässt auch die militärischen Kapazitäten der Führungsmacht erodieren. Aufgrund mangelnder Finanzierungsmöglichkeiten mussten die USA aus dem weltweit geplanten Anti-Raketen-Programm, dem einzigen transatlantischen Rüstungsprojekt MEADS (Medium Extended Air Defense System) aussteigen.[9. FAZ, 15.2.2011.] Erstmalig seit zehn Jahrzehnten wächst der Militär-Etat nicht mehr, sondern muss – wenn auch geringe – Kürzungen hinnehmen; in ihrer jüngsten Nationalen Sicherheitsstrategie (Mai 2010)[10. www.whitehouse.gov/sites/default/files/rss_viewer/national_security_strategy.pdf 12.6.2010.] fordern die USA die Übernahme von Kosten für die Verteidigung durch ihre Partner.
Jenseits ihrer Rhetorik waren die USA diskret auf die Schaffung von Kontinuität bedacht: Der öffentliche Applaus für die Revolten wurde begleitet von engen Kontakten zwischen den USA und der jeweiligen Militärführung in Tunesien und Ägypten: Der Oberkommandierende der tunesischen Armee, Rachid Ammar, besuchte mehrfach die US-Botschaft in Tunis, bevor er seinem Präsidenten den Schießbefehl verweigerte. Sein ägyptischer Amtskollege Sami Anan weilte auf dem Höhepunkt der Krise mehrere Tage in Washington[11. www.libertarianrepublican.net/2011/02/sami-enan-to-take-over-for-mubarak.html 19.2.2011.]: Das Militär beider Länder wurde so zum Garanten der Kontinuität, während die verhassten Symbole der Macht, Ben Ali und Mubarak, vom Volk verjagt werden durften. Nicht zu unterschätzen sind in diesem Wandlungsprozess auch autochthone Kräfte: Das ägyptische Militär kontrolliert rund 40 Prozent der Ökonomie und es erhält jährlich eine Militärhilfe in Höhe von rund 1,3 Milliarden US-Dollar.[12. www.telegraph.co.uk/finance/financetopics/8290133/Most-US-aid-to-Egypt-goes-to-military.html 4.4.2012.] Ziel des Wandels war es daher, durch ein Mehr an politischem Pluralismus und Pressefreiheit ein Ventil zu öffnen. Ein unkontrollierter Wandel wäre gerade in Ägypten wegen der strategischen Bedeutung des Suezkanals und der Nähe des Landes zu Israel nicht akzeptabel. Offenkundig aber ist inzwischen, und hierauf wird zurück zu kommen sein, dass der Machtübernahme islamistischer Kräfte im ganzen Raum von Marokko über Ägypten bis möglicherweise Syrien ein hohes Maß an Toleranz entgegengebracht wird. Nicht zufällig wird diesen bisher als so gefährlich bezeichneten Kräften nun flugs das Etikett »gemäßigt« verliehen.
Der Krieg in Libyen: Eine politische Wende?
Von Beginn an unterschied sich die libysche Revolte von den Aufständen in Tunesien und Ägypten: Für den 16. Februar 2011 hatten Oppositionelle zu einem »Tag des Zorns« aufgerufen. Die Demonstranten schwenkten nicht die Nationalfahne, sondern die rot-schwarz-grüne Flagge mit Halbmond und Stern des von Gaddafi abgesetzten Königs Idriss I., Oberhaupt der konservativen islamischen Senussiya-Bruderschaft. Der britische Imperialismus hatte Idriss 1951 auf den Thron des nach Ende des italienischen Kolonialismus geschaffenen Libyen gesetzt. Schon am zweiten Tag nach den ersten Demonstrationen griffen Teilnehmer Polizeistationen und Kasernen an und bewaffneten sich. Die Revolte vollzog sich in einer Stammesgesellschaft, die nie zu einem Nationalbewusstsein gefunden hatte: Gaddafis Putsch gegen Idriss am 1. September 1969 war auch die Machtübernahme der tripolitanischen Stämme über die des Ostteils des Landes gewesen und in dem Maße, in dem Gaddafis Herrschaft erodierte, stützte er sich immer mehr auf die Stämme im Westen, die Verteilung der Einnahmen aus der Öl- und Gasrente wurde immer ungerechter. So wurden Bengasi und die Stämme des Ostens zum Träger des Aufstands.
Schon am 10. März 2011 anerkannte Frankreich, diesmal plötzlich an der Spitze des Umsturzes, den in Bengasi gebildeten »Nationalen Übergangsrat« als »legitime Vertreterin des libyschen Volkes« – obwohl nicht einmal die Hälfte seiner Mitglieder bekannt war. Präsident Nicolas Sarkozy entsandte einen Botschafter und schlug eine militärische Intervention vor.[13. www.tagesschau.de/ausland/libyen548.html – 10.3.2011.] Am gleichen Tage versuchte er, das Thema auf die Tagesordnung des Treffens der Verteidigungsminister der NATO in Brüssel zu setzen. Die NATO allerdings widersetzte sich einer Intervention, da ein Mandat des UN-Sicherheitsrats ebenso fehle wie »das Einverständnis der Nachbarstaaten«. Am 12. März, nur zwei Tage später, wurde dieses Einverständnis nachgereicht: Die Liga der Arabischen Staaten beschloss, »den Sicherheitsrat zu veranlassen, seine Verantwortung wahrzunehmen, indem er ein Flugverbot über den libyschen Luftraum verhängt, um die libysche Bevölkerung zu schützen.«[14. www.iiss.org/publications/strategic-comments/past-issues/volume-17-2011/march/options-in-libya-after-un-vote/ – 5.3.2012.] Algerien, Mauretanien und Syrien stimmten gegen diese Resolution, Libyen war von den Beratungen ausgeschlossen worden. Auf der Grundlage dieser Resolution beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 17. März 2011 die Resolution 1973, die die Einrichtung einer Flugverbotszone zum Schutz der Zivilbevölkerung verfügte. Die Haltung der USA war bis zum Vortag nicht klar gewesen, wandte sich doch vor allem Verteidigungsminister Gates massiv gegen jede Art militärischer Intervention, da sie zwangsläufig zu Angriffen gegen libysche Militäreinrichtungen und so zu einem veritablen Krieg führen müsse.[15. www.huffingtonpost.com/2011/03/12/arab-league-asks-un-for-libya-no-fly-zone_n_834975.html – 5.3.2012.]
Seit ihrer Gründung am 22. März 1945 hatte sich die Arabische Liga durch ihre Inaktivität, ja Unfähigkeit ausgezeichnet, Konflikte innerhalb dieses regionalen Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit zu lösen. Hauptgrund dafür war die Unvereinbarkeit der politischen Systeme, bestand die Liga doch einerseits aus reaktionären Monarchien mit religiös fundierter Legitimation, andrerseits aus republikanischen Staaten, die sich teilweise auf sozialistische Prinzipien beriefen, teils aber auch aus bürgerlich-republikanischen wie mehr oder weniger konstitutionellen monarchischen Systemen. Sie alle pflegten während des Kalten Krieges Allianzen mit der einen oder anderen Supermacht. Gaddafis unkonventioneller Politikstil, seine Besessenheit von Einigungsbestrebungen mit den Nachbarstaaten, sein politisches System, das offiziell auf den Volkskomitees basierte, die von ihm durchgesetzten Frauenrechte machten Libyen zu einer Provokation für die reaktionären Despotien der arabischen Halbinsel. Endlich schienen sie eine Handhabe zu finden, um sich des libyschen »Führers« zu entledigen. Und Frankreich eilte ihnen zur Hilfe, »um einem Volk in Todesgefahr zu Hilfe zu kommen […] im Namen des Weltgewissens.«[16. Libération, 24.8.2011.]
In Wirklichkeit verfolgte Frankreich klare Interessen: Gaddafi hatte es in den letzten Jahren zusammen mit Südafrika verstanden, die Afrikanische Union zu einem wichtigen internationalen Akteur zu machen.[17. Tull, Denis M./Lacher Wolfram: Die Folgen des Libyen-Konflikts für Afrika, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, März 2012.] Das wachsende Selbstbewusstsein der Afrikaner gefährdete direkt das zutiefst korrupte neo-koloniale System der Françafrique.[18. Einen guten Einstieg hierzu liefert in deutsche Sprache Schmid, Bernhard: Frankreich in Afrika, Münster 2011.] Bereits am 3. April unterzeichnete es ein Abkommen mit dem Nationalen Übergangsrat, demzufolge Frankreich hinfort zu Vorzugspreisen 35 Prozent des in Libyen geförderten Öls erhalten sollte.[19. Libération, 24.8.2011.] Nachdem die Resolution 1973 des Sicherheitsrates angenommen war, unternahmen die westlichen Staaten ebenso wie der Generalsekretär der UN alles, um eine Deeskalation des Konflikts zu verhindern: Obwohl die libysche Führung die Resolution akzeptiert hatte und Beobachter der UN zwecks Überwachung der Einhaltung des Waffenstillstands durch die libysche Armee eingeladen hatte, erklärte Ban Ki Moon in klarer Verletzung des Resolutionstextes: »Gaddafi hat seine Legitimität verloren. Er kann nicht an der Macht in Libyen bleiben. Was auch immer geschieht: Er muss verschwinden.«[20. The Sydney Morning Herald, 2.3.2011: http://news.smh.com.au/breaking-news-world/gaddafi-has-lost-all-legitimacy-un-20110320-1c1q6.html – 1.3.2012.] So begann der Krieg am 19. März 2011 mit einem französischen Angriff auf eine libysche Panzerkolonne in Bengasi, britische und französische Kriegsschiffe beschossen Ziele an Land mit Raketen. Bereits dieser erste Angriff hatte also nichts zu tun mit der Einrichtung einer »Flugverbotszone«. Die Resolution 1973 wurde von der »Koalition der Willigen« vom ersten Augenblick an zur Makulatur gemacht.
Richtig ist, dass die USA sich vom ersten Tag des Krieges an beteiligten, zugleich unternahmen sie große Anstrengungen, um die NATO zur Übernahme der Kriegführung zu bewegen. Doch erst am 31. März übernahm die NATO das Kommando, denn sowohl die Türkei wie zahlreiche andere Mitgliedstaaten widersetzten sich anfänglich der Intervention. Trotz des Wandels der Haltung einiger Bündnisländer gelang es der Führungsmacht nicht, das Bündnis geeint in den Krieg zu führen: Schließlich nahmen exakt 14 der 28 Mitgliedstaaten des Bündnisses aktiv an der Koalition teil.[21. Dies waren: Belgien, Bulgarien, Kanada, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Italien, Niederlande, Norwegen, Rumänien, Spanien, die Türkei Großbritannien und die USA.] Außerhalb der NATO nahmen an der Koalition der Willigen noch Jordanien, Katar, Schweden und die Vereinigten Arabischen Emirate teil.
Der Golf-Kooperationsrat: Neuer Ordnungsfaktor?
Bei der Vorbereitung des Krieges gegen Libyen spielte der katarische TV-Sender Al Jazeera mit seinem arabisch- und englisch-sprachigen Programm eine zentrale Rolle – wie zuvor schon in Tunesien und Ägypten. Seine Reportagen wurden oft ohne jede Überprüfung von den westlichen Sendern übernommen. Es war Al Jazeera, der die Behauptung von Massakern durch die Armee Gaddafis ebenso verbreitete wie die Information, dieser habe seine Truppen mit Potenzmitteln versorgt, um Massenvergewaltigungen durchführen zu lassen. Der Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Moreno Ocampo, zögerte nicht, diese Behauptungen ungeprüft als Anklagepunkte in seinen internationalen Haftbefehl gegen Gaddafi und seiner Familienmitglieder zu übernehmen.[22. www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,770808,00.html 28.6.2011. Aussi: www.ndtv.com/article/world/prosecutor-says-gaddafi-ordered-mass-rape-111156 – 5.3.2012.] Die Anschuldigungen betreffend die Potenzmittel wurden inzwischen durch einen Untersuchungsbericht von Amnesty International widerlegt.[23. www.independent.co.uk/news/world/africa/amnesty-questions-claim-that-gaddafi-ordered-rape-as-weapon-of-war-2302037.html – 5.3.2012.]
Der Pulverdampf des Krieges in Libyen diente zugleich dazu, die Verbrechen zu verdecken, die Saudi-Arabien und die Staaten des Golf-Kooperationsrates in Bahrein begingen, als sie die dortige Protestbewegung brutal niederschlugen. Jenseits des Ziels, jeden Protest und vor allem jede Demokratie-Bewegung in der arabischen Golfregion zu verhindern, galt dies auch als Warnung an die schiitischen Bevölkerungsteile Saudi-Arabiens selbst[24. Steinberg, Guido: Ein Koloss auf tönernen Füßen. http://de.qantara.de/wcsite.php?wc_c=3000 – 5.3.2012.], die vor allem die Ölförderungsgebiete besiedeln. Dort hatte es seit 2009 mehrere Aufstände gegeben, die gleichfalls brutal unterdrückt wurden. Die Diskriminierung dieser seit Jahrhunderten ansässigen, aber aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit unterprivilegierten Bevölkerungsanteile wurde von offizieller Seite mit iranischer Agitation in Verbindung gebracht und erhielt so eine explosive internationale Dimension: Die Staaten des Golf-Kooperationsrates präsentieren sich damit als (letzte) verlässliche Verbündete der USA – und Israels.
Mit Erfolg hatte Saudi-Arabien diese Rolle bereits im Jemen gespielt, wo es die Kämpfe um Sturz und Nachfolge des Diktators Saleh erfolgreich unter Kontrolle hielt.: Nach den Wahlgewinnen der Islamisten in Marokko, Tunesien und Ägypten, stellt – nach Libyen – der Sturz Assads, wie blutrünstig seine Diktatur auch immer sein mag, ein altes und wichtiges Ziel dar: Schließlich ist Syrien, neben der Militärdiktatur in Algerien, das letzte säkular regierte Land der Region. Ausgeblendet wird in den westlichen Medien die schon 2011 begonnene massive Unterstützung der Aufständischen durch Saudi-Arabien und Katar: Nicht nur Waffen und Geld werden eingeschleust, sondern auch islamistische Kämpfer aus Irak und – über die Türkei – libysche Afghanen.[25. Vgl. Guillard, Joachim: Das neue libysche Regime schickt Kämpfer nach Syrien. Junge Welt, 12. Mai 2012 und die dort angeführten Quellen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. Juni 2012 spricht von »mindestens 3000 libyschen Kämpfern«. Als »Afghanen« werden die Freiwilligen aus den arabischen Ländern bezeichnet, die in Afghanistan zunächst gegen die Sowjetunion, dann gegen die westliche Allianz kämpften. Nach Saudi-Arabien stellten Libyer das zweitgrößte Kontingent.] Assads Rede von den »Terroristen« ist insofern nicht unbegründet.
Fassen wir zusammen: Die USA sind offensichtlich nicht mehr in der Lage oder willens, allein die Interessen des Westens in diesem Raum militärisch zu sichern. Als neue Statthalter bieten sich Saudi-Arabien und die Staaten des GCC an, die durch eine Islamisierung der Region auch ihre eigenen Herrschaftssysteme zu sichern versuchen. Syrien und die säkularen Regime waren stets auch eine politische Herausforderung. Mit einem Sturz Assads wird durch den Verlust seines einzigen Verbündeten auch die Position Teherans geschwächt, das sich immer unverhohleneren Kriegsdrohungen Israels ausgesetzt sieht. In grotesker Weise gelingt es Saudi-Arabien, das wie kein anderes Land mit seinem archaisch-islamischen System die Menschenrechte täglich verletzt, sich mit Applaus der westlichen Politik an die Spitze der Kämpfer für Freiheit und Demokratie im Nahen Osten zu setzen. Der Golf-Kooperationsrat, dem nun auch Marokko und Jordanien beitreten werden und die Arabische Liga unter Führung von Katar und Saudi-Arabien sind im Begriff, sich mit Unterstützung des Westens zur neuen regionalen Ordnungsmacht aufzubauen: Als Gegengewicht zum Iran und als neue Achse Tel Aviv – Riad. Zugleich bieten sich die Islamisten den westlichen Interessen nicht nur als stabilisierender geo-strategischer Partner an, sie sind auch die einzige Kraft, die kompromisslos für marktwirtschaftliche Prinzipien steht. Die Wahl von Rachid Ghannouchi, dem geistigen Führer der tunesischen Ennahda, zu einem »der hundert wichtigsten globalen Denker des Jahres 2011« durch die US-Zeitschrift Foreign Affairs[26. www.foreignpolicy.com/articles/2011/11/28/the_fp_top_100_global_thinkers?page=0,3 1.1.2012.] ist hierfür mehr als ein Indiz.
This article was originally published in July 2012 in INTERNATIONAL – Zeitschrift für internationale Politik, Issue 2-2012.