Der Europäische Landbote: Die Wut der Bürger und der Friede Europas

Unbenannt

Robert Menasse

Der Europäische Landbote

Die Wut der Bürger und der Friede Europas

Zsolnay Verlag, Wien 2012, 112 Seiten, gebunden, 12,50 €

Wenn einer eine Reise macht, dann hat er was zu erzählen. Ganz besonders wenn diese Reise vom weltweit agierenden Glücksspielkonzern Novomatic ermöglicht wird! Nach diesem einfachen Motto scheint auch Robert Menasses jüngstes Buch „Der europäische Landbote“ verfasst. Der Träger des österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik ist nach Brüssel gefahren und berichtet voller Überraschung davon, dass seine für einen linken Intellektuellen offensichtlich normalen Vorurteile vom Politik-Moloch Europäische Union (EU) so gar nicht erfüllt wurden. Mit großem Staunen muss Menasse feststellen, dass ihm alle Türen offen stehen, er allerorts kompetente(!) Informationen erhält und dass die vielfach gescholtenen EU-Bürokraten in Wirklichkeit hochqualifizierte Beamte sind, die in flachen Hierarchien und schlanken Strukturen durchaus erfolgreich ihrer Arbeit nachgehen. So kommt es, dass der Leser an den persönlich erhellenden Erkenntnissen eines Robert Menasses teilhaben darf, der da als politisch tumber Tor durch Brüssels Büroschluchten taumelt.

Das mag auf den ersten Seiten durchaus nett und unterhaltend sein, wird aber spätestens dann, wenn Menasse glaubt, nach ein paar Wochen Brüssel die ultimative Lösung aller politischen Europaprobleme vorweisen zu können, flach und argumentativ einfach falsch. Da werden politikwissenschaftlich klare Begriffe dann schon mal auch einfach falsch verwendet bzw. verstanden. Der studierte Politologe Menasse scheint etwa bis heute nicht den Begriff „supranational“ verstanden zu haben. In seinem Verständnis scheint alles was mehrere Staaten gemeinsam auf internationale Ebene so unternehmen sehr schnell „supranational“ – so etwa auch die in Paris angesiedelte „OECD“, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (eine klassische „Internationale Organisation“, nicht mehr und nicht weniger). Auch im Bereich europäischer Institutionenlehre hat er augenscheinlich so seine Schwächen. Den Unterschied zwischen „Europäischer Rat“ (Staats- und Regierungschefs) und „Rat“ (Fachminister) scheint der engagierte Europabürger jedenfalls nicht wirklich internalisiert zu haben. Hier hätte vielleicht aber auch ein fachkundiges Lektorat seitens des Verlages geholfen. Ein solches vermisst man bedauerlicherweise.

Die Menasse’sche Lösung für alle EU-Probleme scheint simpel. Hinter der beeindruckenden Wortschöpfung „nachnationale Demokratie“ verbirgt sich eine simple Schwarz-Weiß-Sicht der politischen Dinge: Mehr Macht der Europäischen Kommission, weniger Macht für die EU-Mitgliedstaaten und das ganze gewürzt mit einer Stärkung der Regionen. Praktisch würde das für Österreich dann bedeuten, dass der Wiener Bürgermeister im Zusammenspiel mit dem niederösterreichischen Landeshauptmann sich in Brüssel direkt besser und kompetenter mit gesamteuropäischen Belangen befassen sollten (weil sie – dem Gedanken Menasses folgend – dies auch besser können). Naja.

Es sei nicht verschwiegen, dass das schmale Büchlein im Laufe des Lesens immer schaler, platter und schließlich einfach langweilig wird. Auf den letzten Seiten wird das Ganze dann noch ein bisschen denunziatorisch: Menasse schreibt über ein Treffen mit der Kabinettchefin des aus Zypern stammenden EU-Kulturkommissars. Offensichtlich hat die Chemie zwischen den beiden nicht gestimmt oder man hat einfach aneinander vorbei geredet. Vielleicht hatte die Dame auch besseres zu tun als sich das selbstverliebte Gerede eines österreichischen Staatskünstlers anzuhören. Oder sie war einfach verärgert, dass Menasse seine „Verbindungen“ hat spielen lassen: Er rühmt sich nämlich dessen, dass er über den Ständigen Vertreter Österreichs bei der EU auf aller höchster Stelle hat intervenieren lassen, damit jene Kabinettchefin auch gefälligst mit ihm spricht. Davon scheint das nachfolgende Zusammentreffen jedenfalls überschattet gewesen zu sein.

Dem nicht genug, erweist er dann gleich auf der nächsten Seite auch noch dem „Mann mit dem Dreitagesbart. Das ist der Kommissar für Regionalförderung!“ seine Referenz. Der aus Österreich stammende Hahn kommt weder auf den 81 Seiten davor noch auf den verbleibenden letzten Seiten wieder vor. Da bleibt ein eigenartiger Nachgeschmack: Billiges Namedropping oder gar ein kleines Dankeschön an seinen Reisesponsor Novomatic? Denn das sei ausdrücklich erwähnt: Menasse ist nicht etwa auf eigene Kosten zum Recherchieren nach Brüssel gefahren. Nein, er hat sich den Trip standesgemäß vom „Admiral Charity Fonds“ sponsern lassen. Dem CSR-Instrument des Glückspielunternehmens Novomatic, mit dem – zumindest seinem Internetauftritt nach– „Menschen, die im Leben benachteiligt sind“ unterstützt werden.

Eine gute Buchrezension sollte stets auch eine Leseempfehlung sein. Geht es nach den bisher erschienen Besprechungen, ist das Buch etwa „eine neue, erhebende Perspektive auf das große Thema unserer Zeit“ (Frankfurter Allgemeine am 1. Dezember als Weihnachtstipp in der Kategorie „Was den Verstand schärft“). Die Welt spricht von „einer Seltenheit“ und der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann schwärmt „Robert Menasses Essay demonstriert wie kaum eine Streitschrift der letzten Jahrzehnte, was es hieße, wahrhaft europäisch zu denken und zu handeln.“ Der Verfasser dieser Rezension erlaubt sich dem allgemeinen Lob heftig zu widersprechen: Auch wenn die Intention des Buches (ein neutraler, erfrischender Blick auf die EU) zu begrüßen und zu unterstützen ist, so ist das Buch schlicht und einfach misslungen. Es ist thematisch oberflächlich, stilistisch platt und einfach anbiedernd und die Umstände seines Zustandekommens (finanziert vom CSR-Fonds der Novomatic) sind einfach degoutant. Eine moralische Schande für den Verfasser und den Verlag. Nicht lesen! Nicht kaufen!

Share on facebook
Share on twitter
Share on pinterest
Share on telegram
Share on whatsapp
Share on pocket

More from Shabka Journal

Veranstaltungsreihe Demokratie unter Druck

Die aktuellen Herausforderungen zwingen uns aber Begrifflichkeiten und Denkweisen auseinander zu dividieren, um daraufhin die wichtige Frage zu stellen: Was bedroht Demokratie? Was bedeutet liberal und was angemessen? Viele antidemokratische