Fritz Edlinger, Tyma Kraitt [Hrsg.]
Syrien
Hintergründe, Analysen, Berichte.
Promedia, Wien 2013, 238 Seiten, 17,90 €
Seit Beginn der Transformationsprozesse in der arabischen Welt ist eine polarisierende Berichterstattung großer Medienagenturen weitgehend üblich. Die Begriffe „Arabischer Frühling“ und nunmehr „Arabischer Winter“ haben sich zu einer „Trademark“ entwickelt, die es nicht schafft, Ursachen und Zusammenhänge seriös zu erfassen. Das ist jedoch auch nicht erwünscht, denn der Narrativ des Kampfes „Gut gegen Böse“ wird seit jeher vom Zielpublikum begeistert aufgenommen. Zusätzlich erwecken so genannte ExpertInnen oftmals (bewusst) den Eindruck, dass es sich bei der arabischen Welt um eine „demokratieunfähige“ Region handle. (vgl. den Beitrag von Werner Ruf in diesem Band) Vor allem der „Westen“ wird in einschlägigen Medien gerne als „humanistische“ Instanz inszeniert, die für die Befreiung der arabischen Bevölkerung vor der – natürlich selbstverschuldeten – Despotie eintritt. Der Syrienkonflikt nimmt dabei keine Ausnahmerolle ein.
Das Buch „Syrien. Hintergründe, Analysen, Berichte“ versucht diesem Trend entgegenzuwirken. Die AutorInnen des Sammelbandes beschäftigen sich mit unterschiedlichen gesellschaftlichen und historischen Aspekten des Landes.
Im Beitrag von Tyma Kraitt findet die koloniale Vergangenheit Betrachtung, deren Auswirkungen bis heute spürbar sind: Während der französischen Mandatszeit ab den 1920er Jahren wurden in Syrien vornehmlich nicht-sunnitische Bevölkerungsgruppen für die Troupes spéciales du Levant rekrutiert. Dadurch sollte ein stabiles Gegengewicht zur sunnitischen Mehrheit geschaffen werden. Diese Entscheidung war nicht nur Grundstein für die heutige politisierte und konfessionalisierte syrische Armee, sondern auch Fundament für die Fortsetzung kolonialer, repressiver Machtverhältnisse. Die Motive für die gegenwärtige Eskalation sind dennoch vielfältiger und dürfen nicht ausschließlich auf ethnisch-religiöse Faktoren zurückgeführt werden. Vielmehr treten strukturelle Ursachen hinzu, die – ebenso wie in anderen arabischen Ländern – ausschlaggebend für die soziale und politische Unzufriedenheit sind. Der Damaszener Frühling von 2001 brachte nicht nur oppositionelle Stimmen hervor, sondern kennzeichnete sich auch durch eine Phase wirtschaftlicher Liberalisierung. Daraus resultierte ein immer schwerer wiegendes soziales Ungleichgewicht, unterstützt durch vermehrte Korruption und Repression. Die schwierige soziale Lage verhalf auch sunnitisch-islamistischen Kräften zum langsamen Aufstieg. Finanzielle Hilfen aus den Golfstaaten ermöglichten diesen Gruppen die entstandenen sozialen Defizite abzufedern und so die Unterstützung großer Bevölkerungsteile für sich zu vereinnahmen.
Auf globaler Ebene liegen ebenso vielschichtige Konstellationen vor. Einerseits sind die Kämpfe in Syrien ein Stellvertreterkrieg um die Vorherrschaft regionaler Großmächte. Die sunnitischen Golfstaaten und der schiitische Iran unterstützen ihre Vasallen im Konflikt großzügig. Andererseits prallen in Syrien unterschiedlichste geopolitische Interessen aufeinander. Im Mittelpunkt steht dabei die Sicherstellung der Transportwege für Öl und Gas. Während Russland mit einer Stabilisierung der Lage wahrscheinlich zufriedener wäre, sehnen sich Saudi-Arabien und Katar nach einer hörigen sunnitischen Regierung in Damaskus. Darüber hinaus wirkt sich die Lage in Syrien auf seine Nachbarstaaten aus, allen voran den Libanon, Irak und die Türkei (vgl. die Beiträge von Karin Kneissl und Patrick Seale). Diese zahlreichen Verwicklungen verdeutlichen, dass neben religiösen, oder „humanitären“ Argumentationen viel mehr auf dem Spiel steht – es geht um Einfluss, Macht und schließlich ums Geld.
Die Politik der westlichen Staaten ist dementsprechend durch eine opportunistische Haltung geprägt, wobei die Europäische Union derzeit eher ratlos zu sein scheint (vgl. den Beitrag von Stefan Brocza). Grundsätzlich treten die Vereinigten Staaten als auch die Union beim Wechsel ihrer Allianzen nicht zimperlich auf: Verdeutlicht wird dies zum Beispiel durch die Unterstützung islamistisch-terroristischer Kräfte im Syrienkonflikt, während in anderen Weltregionen – man denke an Afghanistan oder Mali – diese Gruppen bekämpft werden. Die einzigen Kontinuitäten westlicher Nahostpolitik stellen das Bedürfnis nach „Stabilität um jeden Preis“ sowie die Durchsetzung handfester Eigeninteressen dar.
Der Band „Syrien. Hintergründe, Analysen, Berichte“ hält was der Titel verspricht: es handelt sich weder um eine Streitschrift für eine „humanitäre Intervention“, noch um eine Huldigung des repressiven Assad-Regimes. Vielmehr entwerfen die AutorInnen ein umfassendes Bild über Syriens Vergangenheit und Gegenwart, divergierende Aussagen wurden bewusst miteinbezogen. So wird eine sachliche und trotzdem keine gefühlskalte Analyse des Syrienkonflikts gewährleistet. Dies ist abseits medialer Polemik auch notwendig. Der Band betrachtet die gesellschaftliche bzw. (geo)politische Lage äußerst differenziert, führt wesentliche Zäsuren syrischer Zeitgeschichte an und schließt mit einer kritischen Analyse medialer Berichterstattung. Die vorliegende Rezension kann aufgrund dieser Themenvielfalt nur einen kleinen, selbst gewählten Ausschnitt darbieten.
Das Buch sei vor allem jenen ans Herz gelegt, die nach einer Orientierungshilfe im oftmals unübersichtlichen „Berichterstattungsdschungel“ suchen.