Der vorliegende Aufsatz setzt sich mit dem Zusammenhang von Wirtschaft und Krieg auseinander. Ausgehend vom Fallbeispiel Kosovo wird aufgezeigt, wie Kriege – auch humanitäre Interventionen – zur Verfolgung wirtschaftlicher Ziele dienen, die auf gewaltfreiem Weg nicht erreichbar sind.
Der Angriff Jugoslawiens durch die NATO 1999 schuf eine veränderte Rechtsgrundlage im Kosovo auf der Basis des Rechts des Stärkeren, wodurch Firmen und Kapital unter Wert an ausländische, multinationale Konzerne verkauft werden konnten. Formal geschah dies unter der Jurisdiktion der UN-Verwaltung UNMIK und wurde nach deren Ablösung von der EU ebenso wie von der kosovo-albanischen Regierung weitergeführt. Anstatt die marode kosovarische Wirtschaft durch Anschubfinanzierung anzukurbeln und Eigeninitiativen zu stärken, wurde aus der wirtschaftlichen Rückständigkeit des Bodenschatz reichen Gebiets Profit geschlagen, der nicht der kosovarischen Bevölkerung, sondern internationalen Konzernen zugute kommt. Dies steht im Widerspruch zur westlichen Intervention, die mit dem Schutz von Menschenrechten legitimiert worden war.
Armut und wirtschaftliche Rückständigkeit
Kosovo, eine der wirtschaftlich ärmsten Regionen Europas, weist eine Arbeitslosigkeit von rund 50 Prozent auf. Nach Angaben der Weltbank leben 37 Prozent der Menschen mit einem Einkommen von weniger als zwei Dollar pro Tag unterhalb der Armutsgrenze, 15 Prozent gar unterhalb der Grenze extremer Armut. Bedingt durch den Zerfall des jugoslawischen Wirtschaftsraumes im Zuge der Bürgerkriege, durch die internationalen Sanktionen und mangelndem Zugang zu auswärtigen Märkten und Finanzen halbierte sich die wirtschaftliche Produktivität der Provinz in den frühen 1990er Jahren. 1998/99 erfolgte als Folge des Bürgerkriegs ein weiterer Rückgang von 20 Prozent auf bereits schon sehr niedrigen Niveau. Humanitäre Absichten hinter einem Krieg, welche die NATO 1999 für ihre Intervention geltend gemacht hatte, müssten vor diesem Hintergrund u. a. auf eine Stärkung der Ökonomie und der Einkommen abzielen. Die Wirtschaftspolitik der UNO-Verwaltung ab Juni 1999 sah jedoch eher das Gegenteil vor: Die Enteignungen und Privatisierungen der ehemaligen Staats- oder Provinzbetriebe, in Arbeiterselbstverwaltung geführt, wurden an reiche Investoren aus dem Ausland zu Dumpingpreisen veräußert, Gemeinschaftseigentum einzelnen übertragen. Die großen Verlierer sind die kosovo-albanischen Arbeiter. Dabei waren und sind Investitionen in die vielfach maroden Betriebe absolut notwendig[1. Vgl. dazu die Aussagen des Principal International Officer im Department of Trade and Industry der UNMIK, Tim O’Neill, Industry-Privatization: In UNMIK’s sights, zit. nach www.unmikonline.org/pub/focuskos/focuskeco2.htm, update 30. August 2008.], strittig bleibt einzig das Wie. Während Arbeiter und Gewerkschaften zum Teil eigenständige Pläne vorlegten, wie ein Betrieb durch Anschubfinanzierung wieder konkurrenzfähig gemacht werden könnte, verfolgte die UNMIK die Privatisierungsstrategie. Ziel war nicht, den Arbeitern zu helfen, sondern Profit aus der desolaten Wirtschaftslage zu schlagen. Die folgenden Beispiele sollen diese These verdeutlichen.
UNMIK-Privatisierungspraxis
Gründe für die Armut des Kosovo sind das wirtschaftlich desaströse Erbe Jugoslawiens, hohe Kriminalität und Korruption und nicht zuletzt die Privatisierungspraxis der UNMIK. Durch diese wurden Betriebe zu Schleuderpreisen an ausländische Eigentümer verkauft. So erfuhr ich im April 2007 auf meiner Kosovo-Reise beim Besuch einer der größten Weinkellereien Europas in Orahovac, dass die vormals im Besitz der Provinz gewesene Kellerei 2006 mitsamt den dazugehörenden 2 200 Hektar Land inzwischen privatisiert worden war. Sie war für den auch angesichts niedrigerer Lebenserhaltungskosten im Kosovo (ca. ein Drittel vom westeuropäischen Durchschnitt) extrem niedrigen Preis von ca. 5,5 Millionen Euro an einen US-Albaner verkauft worden. Die albanischen Bauern, einst über das Gesetz der Arbeiterselbstverwaltung Miteigentümer der Felder und der Kellerei, sind inzwischen Niedrig-Lohn-Arbeiter. Die UNMIK hat für die Enteignungen von Betrieben im Kosovo, egal ob sie dem Staat Serbien oder der Provinz gehören, ihre eigenen Gesetze. Bei der Privatisierung bedient sie sich jedoch eines jugoslawischen aus der Zeit der Milošević-Regierung. Es machte die Arbeiter als Besitzer eines Betriebes zu Aktionären mit einem maximalen Anteil von 20 Prozent am Aktienpaket. Bei einer Privatisierung erhalten sie nun diesen Teil. Der große Rest verlässt die Provinz und geht an internationale Investoren, welche bereits unter Milošević Anteile gekauft hatten[2. Max Brym, Kosova: Protektorat-Kolonie und neoliberales El Dorado, 26. April 2007, zit. nach www.sozialismus.info/?sid=2085, update 10. Juni 2010.]. Der deutsche Ex-Bürgermeister von Sindelfingen, Joachim Rücker, hat als Wirtschaftsminister der UNMIK und zwischen 2004 und 2006 zuständig für Privatisierungen, dies damit gerechtfertigt, dass dies ja »das jugoslawische Modell des Sozialismus, wo die Unternehmen der Arbeiterschaft gehörten«[3. Adelheid Feilcke-Tiemann, »Die Privatisierung im Kosovo kommt voran«. Interview mit Joachim Rücker in der Deutschen Welle, 11. April 2005, zit. auf der Homepage der Deutschen Welle unter www.dw-world.de, update 20. Juni 2007.], gewesen sei. Zwangsenteignungen gab es im Kosovo dabei nicht nur, wenn die Eigentumsfrage noch ungeklärt war und das Geld inzwischen auf ein Treuhandkonto kam.[4. Ebd.] Die Lohnabhängigen wurden auch durch die Entwertungsstrategie der UNMIK einerseits und durch die fehlende Anerkennung als Arbeiter andererseits um ihr Geld und um ihre Sicherheit gebracht. Entwertungsstrategie bedeutet, dass die UNMIK wie im Fall des Baukombinats Ramiz Sadiku aus Pristina versuchte, den Wert der zu versteigernden Betriebe zu senken. Die Firma mit einst 5 000 Beschäftigten erhielt nach Kriegsende keine öffentlichen Bauaufträge, diese gingen an mazedonische, griechische und deutsche Unternehmen. Im inzwischen privatisierten Unternehmen Sadiku arbeiten nun noch 200 unterbezahlte Personen. »Das Ziel bestand darin, die örtlichen Betriebe abzuwerten, um sie dann für einen Apfel und ein Ei zu verhökern.«[5. Brym, Kosova: Protektorat-Kolonie und neoliberales El Dorado.] Ein weiteres Problem besteht darin, dass viele der einst unter Miloševic entlassenen Beschäftigten, jahrelang ohne feste Anstellung, von der UNMIK nicht als ehemalige Arbeiter und damit Miteigentümer anerkannt wurden. So hatten sie keinerlei Ansprüche auf Abfindungen, da diese nur für diejenigen, welche die letzten drei Jahre vor Privatisierung einer Firma dort gearbeitet haben, reserviert waren. Die ausländischen Konzerne, welche im Kosovo Betriebe übernehmen, fordern in der Regel neben gesteigerter Arbeitsproduktivität und einer noch tieferen Körperschaftssteuer als in Serbien (Zehn Prozent) und Montenegro (Neun Prozent) auch Lohnsenkungen. »In den noch öffentlichen Betrieben erhält ein Arbeiter zwischen 120 und 200 Euro im Monat. Die Beschäftigten in den privatisierten Betrieben im Schnitt nur 80 Euro.«[6. Ebd.] Eine vierköpfige Familie braucht monatlich rund 350 Euro zum Leben.[7. Diese Information habe ich in der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) im schweizerischen Verbindungsbüro in Pristina, das eidgenössische Investitionen im Kosovo ermöglichen soll, im April 2007 erhalten.]
Die Privatisierungspolitik der UNMIK war auf einer weiteren Ebene fragwürdig: Der Industriegigant Ferronikel, der in der rein albanischen Region Drenica rund 2 000 Arbeiter beschäftigte, wurde 2005 trotz Protestdemonstrationen von Arbeitern, unterstützt von den Bürgermeistern der Gemeinden Drenas und Skenderaj, enteignet. Den zuständigen UNMIK-Stellen waren in den vorangegangenen Jahren wiederholt konkrete Pläne übergeben worden, »wie die Arbeiter selbst mit einer gewissen Anschubfinanzierung die Produktion wieder aufnehmen können«.[8. Agron Sadiku, Drenica auf den Beinen. Rebellion gegen die Privatisierung von Ferronikel, zit. nach www.labournet.de/internationales/kosovo/drenica.html, update 20. Juni 2007.] UNMIK und die Treuhandagentur AKM ignorierten dies und beharrten auf dem Verkauf. Während die Metallarbeitergewerkschaft den Wert der Anlagen auf mehr als 300 Millionen Euro schätzte, erteilte der früher im Auswärtigen Amt tätige ehemalige SPD-Fraktionsberater Rücker schließlich der britischen Firma Alferon von International Mineral Ressources den Zuschlag für 33 Millionen. Die umstrittene amerikanisch-albanische Firma Adi-Nikel hatte 49 Millionen geboten.[9. Ebd. Jürgen Elsässer zufolge bestand gegen Adi Nikel »der begründete Verdacht«, eine Briefkastenfirma der UCK-Mafia zu sein, die Schwarzgeld wäscht. Jürgen Elsässer, Die Kosovo-Saga. Das Jahr 2005 im Rückblick: Die Abspaltung der Provinz von Serbien geht Hand in Hand mit der Privatisierung der Bodenschätze, in: Junge Welt, 21. Dezember 2005.] Alferon hat den Geschäftssitz in Kasachstan, an ihr ist Thyssen-Krupp beteiligt.[10. Ralph Hartmann, Wem gehört Kosovo?, in: Ossietzky 4/2006, 18. Februar 2006, zit. nach www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Serbien-Montenegro/hartmann.html, update 20. Juni 2007.]
2006 klagten 912 Angestellte der IMK-Stahlröhren-Fabrik in Ferizaj gegen die angebliche Verschleuderung ihres Betriebes. Das Obergericht in Pristina stellte fest, dass die Fabrikanlage mindestens 25 Millionen Euro Wert sei. Die Treuhandagentur AKM, deren Vorsitz Rücker bis zu seiner Beförderung als UNMIK-Chef ab 1. September 2006 innehatte, verkaufte den Betrieb dennoch um nur 3,6 Millionen Euro.[11. Brym, Kosova: Protektorat-Kolonie und neoliberales El Dorado.] Michael Schäfer, Direktor im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik, erklärte die fragwürdige Geschäftspraxis seines Freundes Joachim Rücker damit, es werde Zeit, dass »diese Investitionen endlich politische und wirtschaftliche Rendite bringen.«[12. Hartmann, Ossietzky 4/2006, 18. Februar 2006.]
Die Pflicht zur freien Marktwirtschaft – Neoliberalismus und die Neuen Kriege
Im Kosovo findet ein Dumpingwettbewerb zugunsten der Großkonzerne statt. Dabei handelt es sich jedoch nicht nur um Leichenfledderei. Diese Politik, die Öffnung Jugoslawiens nach den Regeln des neoliberalen Marktes[13. Vgl. Michel Chossudovsky, Global Brutal. Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg, Frankfurt a. M. 2002, S. 17.], war schon im Rabouillet-Vertrag in Kapitel IV festgeschrieben worden.[14. Dieser Hinweis bei Maria Mies, Der Zusammenhang zwischen neoliberaler Wirtschaftspolitik und Krieg, in: Wolfgang Richter/Elmar Schmähling/Eckart Spoo (Hrsg.), Die Wahrheit über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, Schkeuditz 2000, S. 33-42, hier S. 36.] Artikel I fordert die »freie Marktwirtschaft«, Artikel II die Privatisierung sämtlichen Staatsbesitzes.[15. Neil Clark, The Spoils of another War. NATO’s Kosovo Privatization, 21. September 2004, zit. nach www.zmag.org/znet/viewArticle/7815, update 13. August 2008.] Auf dem WEF-Gipfel im schweizerischen Davos Anfang 1999 hatte Tony Blair Belgrad kritisiert, weil es kein »Wirtschaftsreform-Programm« in Angriff nehmen wollte. Auf Neudeutsch bedeutet dies, nach neoliberalen Spielregeln staatlichen Besitz zu privatisieren und somit multinationalen Konzernen zugänglich zu machen.[16. Ebd.] Vor diesem Hintergrund erscheint die hohe Anzahl an Bombentreffern wirtschaftlicher Ziele (rund 380 Industrieanlagen) im Luftkrieg in einem anderen Licht, zumal ausländische oder private Firmen so gut wie nicht betroffen waren.
Im Ahtisaari-Plan wurde die Pflicht zur freien Marktwirtschaft ebenfalls eingefordert[17. Brym, Kosova: Protektorat-Kolonie und neoliberales El Dorado.], wobei freie Marktwirtschaft angesichts der herrschenden Privatisierungspraxis mehr als fragwürdig wirkt. »NATO, EU, IWF: Fortsetzung des Krieges mit politischen Mitteln«.[18. Hannes Hofbauer, Balkankrieg. Zehn Jahre Zerstörung Jugoslawiens, Wien 2001, S. 261.] Der Kölner Soziologieprofessorin Maria Mies zufolge führt einerseits die neoliberale Globalisierung zum Krieg, andererseits sollen Kriege diese Globalisierung weiter befördern.[19. Maria Mies, Krieg ohne Grenzen. Die neue Kolonisierung der Welt (Neue Kleine Bibliothek 94), Köln 20052, bes. die Kapitel »Krieg ist gut für die Wirtschaft« S. 20-29 und »Freihandelslogik und Kriegslogik« S. 30-39.] »Die Kriege im Kosovo, in Afghanistan und im Irak […] sind »neu«, weil sie faktisch grenzenlos sind. Sie nehmen kein Ende und wirken in alle Lebensbereiche auch unbeteiligter Länder hinein.«[20. Mies, Krieg ohne Grenzen, S. 9f.] Die Intervention im Kosovo stand dabei als »Kolonialkrieg«[21. Rudolf Augstein, Madeleines Krieg, in: Der Spiegel, 31. Mai 1999.] am Beginn einer veränderten Weltordnung: »Wer über die militärische und ökonomische Macht verfügt, bestimmt das Recht. Dies scheint die neue/alte Kriegslogik zu sein.«[22. Mies, Krieg ohne Grenzen, S. 13.] Im Unterschied zu den alten Kriegen der Territorialverteidigung sind die neuen Kriege in ihrem Charakter als Kolonialkriege als Rückfall ins 19. Jahrhundert zu begreifen, wobei nicht nur die ökonomische Dimension der Globalisierung eine Rolle spielt, sondern sich die Gleichzeitigkeit aller bisherigen Herrschaftssysteme in einem globalen Kriegssystem herausbildet.[23. Vgl. Ebd., S. 15. Zur These des globalen und permanenten Kriegssystems vgl. Jean Ziegler, Das Imperium der Schande. Der Kampf gegen Armut und Unterdrückung, München 2005, bes. das Kapitel »Die strukturelle Gewalt«, S. 39-48. Grundlegend auch Chossudovsky, Global Brutal.] Dahinter steht die Kriegslogik des patriarchalen Kapitalismus, der als angeblich zeit- und alternativlos seine Herrschaft ausbreitet.[24. Mies, Krieg ohne Grenzen, S. 215f.] Was im Kosovo vorexerziert wurde und wird, ist die Politik von Weltbank und IWF, welche in erster Linie den Interessen der größten transnationalen Konzerne der Welt dient. Kosovo war, wie 2011 am Beispiel Libyen sichtbar wurde, keineswegs ein Einzel- oder gar Sonderfall, sondern folgt den neuen alten Spielregeln der Ausbeutung der Massen zugunsten weniger im Kleid anderer, humanitärer Worte. Doch ist Krieg nicht zugleich – auch wenn es zynisch klingt – gut für die Wirtschaft? Die folgende Antwort stammt von Joseph Stiglitz, 1997-2000 Chefökonom der Weltbank und 2001 Träger des Wirtschaftsnobelpreises[25. Henning Hoff, »Kriege sind nie gut für die Wirtschaf«. US-Wissenschaftler Joseph Stiglitz über die Kosten des Irakkriegs. Ein Interview, in: ZEIT online, 26. Februar 2008, zit. nach www.zeit.de/online/2008/09/stiglitz-interview, update 19. Oktober 2009.]:
»Kriege sind eigentlich nie gut für die Wirtschaft. Dieser Mythos entstand nach dem Zweiten Weltkrieg, als es hieß, der Krieg habe Amerika aus der Großen Depression der 1930er Jahre geführt. Aber Kriege verbrauchen Ressourcen, und spätestens seit Keynes kennen wir konstruktivere Mittel, die Wirtschaft anzukurbeln.«
Dennoch steigen die globalen Rüstungsausgaben im 21. Jahrhundert deutlich. Die Frage lautet also genauer: Wem nützen die »neuen« Kriege, wem schaden sie?[26. Mies, Krieg ohne Grenzen, S. 29.]
»Es besteht kein Zweifel, dass einzelne Wirtschaftszweige der USA und der EU Vorteile von solchen Kriegen haben. Für die betroffenen Länder sind sie jedoch eine Katastrophe. Sie zerstören ihre ökonomische und politische Selbständigkeit und auf lange Sicht den sozialen Frieden.«
Im globalen Kontext neoliberaler Wirtschaftspolitik spielen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) eine wichtige Rolle. Hinter den beiden 1944 in Bretton Woods gegründeten globalen Institutionen stehen Wall-Street-Banker und die Chefs der größten Wirtschaftskonzerne.[27. Chossudovsky, Global Brutal, S. 33.] Ihre Strukturanpassungsprogramme (SAP) sind Bedingungen für kreditsuchende Länder und eine wirksame Waffe im Wirtschaftskrieg. U. a. wird verlangt, Exporte zu fördern, Ausgaben im Sozialbereich zu kürzen, die nationale Währung abzuwerten, Lohnkürzungen und Entlassung von Staatsangestellten vorzunehmen, Arbeitsrechte zu deregulieren, die Subventionen für Kleinbauern und Kleinbetrieben einzustellen sowie das Land für Luxusimporte und Konsumgüter der Mittelklasse (Autos, Fernseher etc.) zu öffnen.[28. Vgl. Mies, Krieg ohne Grenzen, S. 28.] Während die Zahl der Menschen, die in Armut leben, in den letzten zehn Jahren des 20. Jh. um fast 100 Millionen wuchs, stieg zur gleichen Zeit das gesamte Welteinkommen um 2,5 Prozent pro Jahr an.[29. Joseph Stiglitz, Globalization And Its Discontents, London – New York 2002, S. 5.] Und während weltweit Arbeitsplätze abgebaut werden, steigt gleichzeitig die Anzahl der Dollarmillionäre und Milliardäre.[30. Jean Ziegler, Das Imperium der Schande. Der Kampf gegen Armut und Unterdrückung, München 2005, S. 35.] Während erstere inzwischen schon über Zehn Millionen sind, hat sich auch die Zahl der Dollarmilliardäre vervielfacht – zwischen 1996 und 2006 stieg sie von 423 auf 946 und bis 2008 hatte sie sich in nur zwölf Jahren auf 1 125 nahezu verdreifacht.[31. Luisa Kroll, World’s Billionaires. The World’s Richest People, in: Forbes, 3. Mai 2008, zit. nach www.forbes.com/2008/03/05/richest-billionaires-people-billionaires08-cx_lk_0305intro.html, update 13. August 2008.] All diese Zahlen stehen im Zusammenhang zwischen neoliberaler Wirtschaftspolitik, transnationalem Wirtschaftskrieg und militärischem Krieg.
Globalisierte Privatwirtschaft und das NATO-Konzept von 1999
Nach den Prinzipien der SAP folgte in Jugoslawien dem Bruch des Völkerrechts die Re-Installierung der UNO nach klassischer Kriegslogik: »Privatisierung der Profite, Sozialisierung der Folgekosten. Oder: Wenn es dem Selbstinteresse nützt: die Herrschaft des Rechts, wenn nicht: die Herrschaft der Macht.«[32. Mies, Krieg ohne Grenzen, S. 39.] Als Folge der Strukturanpassungsprogramme im IWF-Abkommen von 1990 hatte die seit den ersten Förderungsprogrammen 1980 rückläufige jugoslawische Industrie vollends kollabiert und die Inflation die Einkommen aufgezehrt. Da die Löhne auf dem Niveau von Mitte November 1989 eingefroren werden mussten und die Preise weiter stiegen, brachen die Reallöhne im ersten Halbjahr 1990 um 41 Prozent ein.[33. Weltbank, Industrial Restructuring Study. Overview, Issues, and Strategy for Restructuring, Washington D.C., Juni 1991, S. 10 u. 14, zit. nach Chossudovsky, Global Brutal, S. 284.] In weniger als zwei Jahren machten 1 137 Staatsfirmen bankrott, mehr als 614 000 Menschen wurden arbeitslos.[34. Chossudovsky, Global Brutal, S. 286.] Die sozialen Spannungen beförderten die ethnischen, bis schließlich die Sezessionskriege ausbrachen. Diese wiederum brachten die ganze Region in Abhängigkeit der NATO-Mächte, der EU und den USA. Anstelle einer Befriedung des Balkans erfolgte die Öffnung für den »freien Markt«.[35. Mies, Krieg ohne Grenzen, S. 83.] Was Verschuldung und die Verträge des IWF begonnen hatten, vollendeten der Krieg, die Zerstörung und der »Wiederaufbau«, »die Verwandlung ganz Jugoslawiens und auch der angrenzenden Länder wie Mazedonien in Protektorate oder neue Kolonien des Westens«.[36. Ebd., S. 88.] Ganz in diesem Sinne wurde das neue strategische Konzept des Nordatlantikpakts auf dem Gipfel in Washington am 23. und 24. April 1999 verabschiedet.[37. www.nato.int/docu/pr/1999/p99-065e.htm, update 19. Mai 2007.] Im 50. Jahr seines Bestehens wandelten die Mitgliedsstaaten den Verteidigungspakt auch formal in ein Bündnis mit Angriffskompetenz um.[38. August Pradetto, Zurück zu den Interessen. Das strategische Konzept der NATO und die Lehren des Krieges, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 7/1999, S. 805-815, S. 806f.] Die selbst legitimierte Out-of-Area-Politik zollte dabei den Wirtschaftsinteressen der global players Tribut[39. Mies, Krieg ohne Grenzen, S. 88.]:
»Diese NATO-Strategie passt haargenau in die Erfordernisse des globalisierten Kapitals, das überall auf der Welt Krisensituationen wie die in Afrika oder in Jugoslawien hervorruft. Diese »Krisen«müssen dann militärisch durch »Krisen-Reaktions-Kräfte« gelöst werden. […] Die neuen Krisen-Reaktionskräfte haben die Aufgabe, die Interessen der NATO-Länder, genauer der großen Konzerne dieser Länder, überall auf der Welt zu verteidigen.«
Damit haben die ökonomisch einflussreichsten Staaten der Erde unter Führung der USA ein weltweites militärisches Kriegssystem geschaffen, das den ungehinderten Zugang zu Ressourcen gewährleisten und für »Versorgungssicherheit«[40. Ebd., S. 93 bzw. allgemein S. 89f.] sorgen soll.
Wirtschaftsförderung durch Krieg?
Wirtschaft und Militär verbinden sich aber auch, um über die Absetzung regionaler Hegemonen und die Beschädigung der Volkswirtschaften die Kriegsfähigkeit eines Landes zu schwächen oder zu vernichten.[41. Peter Decker, Jenseits von Soll und Haben. Hat der Kosovo-Krieg sich gerechnet? Anmerkungen zum Verhältnis von Ökonomie und imperialistischer Aggression, in: Konkret 8/99, S. 32-35, S. 34.]
Der Krieg zerstört physisch, was trotz Deregulierung und erzwungener Marktöffnung immer noch überlebt hat. So wurde die serbische Autofabrik Zastava mit der Begründung, dass dort Sturmgewehre und Pistolen für die serbische Armee hergestellt wurden, angegriffen. Tatsächlich wurden in einem Nebenwerk besagte Schusswaffen hergestellt – zerstört wurde aber vor allem die Autoproduktion. Dadurch wurden 37 000 Beschäftigte, darunter auch 2 000 Albaner, arbeitslos, 2 000 Ausbildungsplätze gingen verloren, 229 Zulieferbetriebe waren mit betroffen.[42. Friedensarbeitskreis PAX AN! in Köln auf seiner Homepage. www.paxan-koeln.de/mahnwachen/mw1999_12_denkzettel.html, update 4. Juli 2008. Vgl. auch Rolf Becker (IG Medien) und Eckart Spoo (IG Medien/dju), Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter gegen den Krieg, Tagesberichte aus Jugoslawien, 24.-28. Mai 1999, zit. nach www.einblick.dgb.de/archiv/9911/tx991105.htm bzw. www.dju-hamburg.de/jugoigm.htm, update 4. Juli 2008.]
Nachdem die Fabrik zerstört worden war, übernahm später mit dem italienischen Konzern FIAT ein Unternehmen aus einem NATO-Staat die Kontrolle.[43. Ende April 2008 stieg FIAT mit 70 Prozent bei Zastava ein, 30 Prozent blieben in der Hand des serbischen Staates. Vgl. www.heise.de/autos/Fiat-steigt-bei-Zastava-ein–/artikel/s/5676, update 4. Juli 2008.] Krieg und »freier Markt«[44. Die Anführungszeichen sollen auf die Problematik des Begriffs hinweisen.] verzahnen sich. Länder, die sich der Öffnung westlicher Banken und multinationaler Konzerne verweigern, geraten ins Visier des Transatlantischen Bündnisses. Wie? Militärs und Geheimdienste pflegen Kontakte zum Finanzestablishment, die internationalen Finanzinstitutionen kollaborieren mit dem Nordatlantikpakt und seinen verschiedenen »Friedens«-Missionen[45. Weltbank, Development News, Washington, 27. April 1999, zit. nach Chossudovsky, Global Brutal, S. 296. Die Anführungszeichen bei »Friedens« sollen auf die euphemistische Verbrämung hinweisen.] und streiten sich um die Finanzierung des fälligen Wiederaufbaus und seine Gewinne.[46. Chossudovsky, Global Brutal, S. 34.] Jean Ziegler meint dazu[47. Ebd. – Zur Rolle der WTO und ihrer Krisen verschärfenden Politik vgl. Jean Ziegler, Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher, München 2003, bes. das Kapitel »Die WTO als Kriegsmaschine«, S. 141-160.]:
»Der Krieg ist gewissermaßen das multilaterale Investitionsabkommen der letzten Instanz. […] Direkte kriegerische Kolonialisierung und die Errichtung westlicher Protektorate erfüllen de facto den Zweck, westlichen Banken und multinationalen Konzernen ungehinderten Zugang zu den betreffenden Märkten zu verschaffen, so dass sie – wie in den Bestimmungen der WTO verlangt – global wie auf einem nationalen Markt agieren können.«
Anstatt um Koexistenz und Demokratie geht es um die »permanente Erpressung des Armen durch den Reichen«.[48. Ziegler, Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher, S. 158.] Das erklärte Ziel der WTO-Verhandlungen »ist die Beschneidung der Macht des Staates und überhaupt des öffentlichen Sektors«.[49. Ebd., S. 145.] Dabei arbeiten westliche Regierungen bisweilen gegen die Interessen des von ihnen repräsentierten Staates und für jene von Privatunternehmen. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass USA, EU, Japan und Kanada mehr als 80 Prozent des Welthandels beherrschen, wobei es in Wirklichkeit nicht diese Staaten an sich, sondern die (hauptsächlich, aber keineswegs ausschließlich) aus diesen Ländern hervorgegangenen transkontinentalen kapitalistischen Privatgesellschaften sind. 2004 kontrollierten die 500 mächtigsten davon 52 Prozent des Weltsozialproduktes.[50. Ziegler, Das Imperium der Schande, S. 13.] Die WTO ist fast vollständig in der Hand von internationalen Privatgesellschaften[51. Ziegler, Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher, S. 155.], die ständig auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern sind. Im Kosovo z. B. übernahmen Commerzbank und Raiffeisenbank nahezu das gesamte Bankensystem und damit die Kontrolle über die Finanztätigkeiten in der Provinz.[52. Chossudovsky, Global Brutal, S. 297.]
Die Forderung nach Privatisierung der Staatsbetriebe zur Ankurbelung der wirtschaftlichen Eigeninitiative[53. So Rafael Biermann, Der künftige Status Kosovos. Vorbereitung auf das Unvermeidliche, in: Angelika Volle/Werner Weidenfeld (Hrsg.), Der Balkan zwischen Krise und Stabilität, Bielefeld 2002, S. 27-33, hier S. 28] scheint theoretisch nachvollziehbar, bedeutet in der Praxis aber meist eine Kapitalumverteilung von vielen zu wenigen, von arm zu reich und vom Inland ins Ausland. So fließen Profite von Bodenschätzen aus Serbien und aus dem Kosovo ab, obwohl beide Staaten diese Einkünfte aufgrund ihrer negativen Außenhandelsbilanz dringend benötigten. »Die Wirtschaftsreformen von IWF und Weltbank, verbunden mit der militärischen Eroberung durch die UN-»Friedenshüter«, haben den Lebensunterhalt der Menschen zerstört und das Recht auf Arbeit ad absurdum geführt.«[54. Chossudovsky, Global Brutal, S. 299.] So schafft Krieg neue Realitäten, indem er für transnationale Konzerne immer dann neues Wirtschaftswachstum kreiert, wenn das System auf friedliche Weise ökonomisch an seine Grenzen stößt. »Der Krieg ist auf diese Weise eine Bedingung für neues Wachstum, das heißt, er ist die Fortsetzung nicht etwa nur der Politik, sondern gerade auch die Fortsetzung der Wirtschaft mit anderen Mitteln.«[55. Claudia von Werlhof, Vom Wirtschaftskrieg zur Kriegswirtschaft. Die Waffen der »Neuen-Welt-Ordnung«, in: Maria Mies, Krieg ohne Grenzen. Die neue Kolonisierung der Welt (Neue Kleine Bibliothek 94), Köln 20052, S. 40-48, hier S. 40.] Die Innsbrucker Politikwissenschaftlerin Claudia von Werlhof unterscheidet dabei zwischen dem ökonomischen Krieg, »der im Wesentlichen darin besteht, einen neuen Akkumulationsschub durch Okkupation und Enteignung, das heißt Wachstum durch Raub […] zu schaffen«[56. Ebd.], und unmittelbarem Krieg, welcher die Wiederaufbau-Geschäfte mit sich zieht. Als Wachstum durch Raub kann die gewaltsame Enteignung der 1997 auf den Wert von rund fünf Milliarden Dollar geschätzten Trepca-Minen[57. Bericht von Chris Hedges in der New York Times, 8. Juli 1998, zit. nach Chossudovsky, Global Brutal, S. 297.] bezeichnet werden, bei der im August 2000 rund 2 900 KFOR-Soldaten den Betrieb den Arbeitern und dem Management unter Einsatz von Tränengas entrissen und der UNMIK zu Privatisierungszwecken überstellten.[58. Clark, The Spoils of another War.] Der Trepca-Industriekomplex, zu dem neben Kupfer-, Zink-, Kadmium-, Gold- und Silberminen auch zahlreiche weiterverarbeitende Betriebe gehören, stellt das Herzstück der Industrie im Kosovo dar. Die vom Finanzier und Spekulanten George Soros unterstützte International Crisis Group hatte der UNMIK im Vorfeld geraten, die Minen dem serbischen Staat schnellstens wegzunehmen. Die UNO übergab den Trepca-Komplex schließlich einem westlichen Konsortium, zu dem der Großkonzern Washington Group, eine aus Morrison Knudson International und Raytheon Engineering and Construction fusionierte Maschinenbau- und Rüstungsfirma, gehört. Juniorpartner sind die TEC Ingénierie aus Frankreich und die schwedische Beratungsgruppe Boilden Contech.[59. Vgl. Chossudovsky, Global Brutal, S. 298.] Der Wert der gesamten Rohstoffressourcen im Kosovo wurde 2005 auf 13,5 Milliarden Euro geschätzt.[60. Laut einer Studie der Leitung der Minen und Mineralien des Kosovo und der Weltbank. Vgl. IWPR, Richesses minières: le patrimoine inexploité du Kosovo, in: Le Courrier des Balkans, 25. Mai 2005.] Während die »internationale Wertegemeinschaft« 1999 Bomben moralisch zu legitimieren suchte, spielen in ihrer Privatisierungspraxis ethische Überlegungen zugunsten derer, die, wenn man sich der Nomenklatur von Wertvorstellungen bedient, das »moralische Recht« an den Betrieben und Rohstoffen hätten, nämlich die Arbeiter und Bürger der Region, keine Rolle.
Fazit
Im Angriff auf Jugoslawien verknüpften sich die militärischen, geostrategischen und geopolitischen Interessen der NATO mit den ökonomischen Überlegungen von IWF, Weltbank und WTO. Die Liberalisierung der jugoslawischen Wirtschaft in Form einer Marktöffnung für transnationale westliche Konzerne war von der Kontaktgruppe bereits vor Kriegsbeginn gefordert worden. Als Folge der durch die UNO etablierten Wirtschaftsordnung neoliberalen Zuschnitts profitieren westliche Konzerne von den Bodenschätzen des Kosovo ebenso wie von der Privatisierung der öffentlichen, serbischen wie albanischen, Betriebe. Die großen Verlierer sind dabei die Bewohner des Kosovo und, da sie über 90 Prozent davon stellen, genau die Albaner, zu deren Schutz die NATO 1999 angeblich die »Operation Allied Force« geführt hatte. Das in Kosovo vorexerzierte Modell der Privatisierung von öffentlichen Gütern nach neoliberalen Marktüberlegungen wurde inzwischen auch auf andere Krisenherde der Welt wie z. B. dem Irak übertragen. Dabei wird die Gesellschaft zugunsten weniger benachteiligt, wie es das dem Begriff »Privatisierung« zugrunde liegende lateinische Verb »privare«, zu Deutsch »berauben«, auf den Punkt bringt.
This article was originally published in July 2011 in INTERNATIONAL – Zeitschrift für internationale Politik, Issue 2-2011.