Gold, Marionetten und Militärs: Reise in eine Räuberökonomie

Ganz oben, im Nordwesten von Burma, da, wo Touristen nur unter ständiger Begleitung eines Regierungsspitzels hindürfen, da, wo chinesische Geschäftsleute und Politiker den Ton angeben und ihre Strippen ziehen, nicht aber die Militärregierung in der neuen Hauptstadt Naypyidaw, da oben im Kachin-Staat, wo einem der immergrüne Dschungel den Atem und der nasse Monsunnebel den Blick nehmen, da oben also brummt die Ökonomie. Und zwar ganz gewaltig. 

Traktoren, schwere Laster mit verdreckten Doppelreifen, Armeefahrzeuge, Jeeps auf einer schlammigen Trasse ohne Unterbau, Knüppeldämme und verfaulte Bohlen über Schluchten mit reißendem Wasser, LKWs ohne Karosserie mit nacktem Motorblock und die Luft verpestenden schwarzen Dieselabgasen: Man nähert sich dem geplanten Bau des Myitsone-Staudamms im Norden Burmas nur unter schwierigen und nicht ungefährlichen Reisebedingungen. Die hier seit 2007 begonnene Stauung der beiden Flüsse Maykha und Malikha zu einem Damm ist das größte von insgesamt sieben geplanten Staudamm-Projekten am Ayeyarwady und seinen Zuflüssen und soll jährlich 3.600 Megawatt Strom erzeugen. Es ist nicht zufällig, dass dieser Staudamm von einer chinesischen Firma, nämlich der China Power Investment Corporation, gebaut wird, denn der zukünftige Strom ist nicht für den einheimischen, sondern den chinesischen Markt gedacht. China hat enormen Energiehunger, den es zu stillen gilt!

Immer verursacht der Bau eines Staudamms menschliches Leid! Das gilt nicht nur für den Myitsone-Staudamm in Burma, sondern z.B. auch für Deutschland, als 1890 beim Bau der Edertalsperre 900 Menschen zwangsumgesiedelt und die alten Dörfer Asel, Berich und Bringhausen abgerissen wurden. Doch die Ausmaße von Staudammbauten heute sind um ein Gewaltiges höher als früher: Im Kachin-Staat werden 75 Dörfer betroffen sein, tausenden Anwohnern droht eine Zwangsumsiedlung und sollte der Damm eventuell mal brechen, würde eine gewaltige Flutwelle die 50 Kilometer entfernte Kachin-Hauptstadt Myitkyina komplett unter Wasser setzen. (Im jetzigen und heftigen Monsun meldet ein Großteil von Myitkyina sowieso schon Land unter.) Verschwanden beim Talsperrenbau in Deutschland einige Kirchen unter Wasser, so wird der Myitsone-Staudamm auch mehrere buddhistische Pagoden und Klöster in seinen Fluten begraben. Das alles ist längst kein Spaß mehr: Im April 2010 gab es eine Serie von Bombenanschlägen gegen diesen Staudamm mit mehreren Toten und das Auswärtige Amt in Berlin rät von Besuchen in diesen Teil Burmas ab.

Hier im Kachin-Staat leben überwiegend Christen – die zahlreichen, meist kleinen anglikanischen Kirchen neben der Straße bezeugen es. Ihre Zahl wird auf 30 Prozent der insgesamt 1,5 Millionen Einwohner geschätzt. Und bei der schäbigen Doppelmoral so vieler westlicher Entwicklungshilfe-NGOs – haust Du meinen, haue ich Deinen »Neger«! – drängt sich die Frage auf, ob sich das katholische Hilfswerk Missio in Aachen nur deswegen so vehement gegen den Myitsone-Staudamm ausspricht, weil das Kraftwerk gerade dort gebaut wird, wo vorzugsweise Christen wohnen.

Die Jugendlichen im Wasserloch beim Goldwaschen neben dem buddhistischen Kloster kennen weder Missio in Aachen noch die China Power Investment Corporation in der Financial Street in Beijing. Während dieses Unternehmen auf seiner homepage mit speziellen Rubriken für social responsibilty, production safety, energy conservation and environmental protection, development of circular economy und eco-environment protection im betriebswirtschaftlichen Öko-Jargon der Spätmoderne daher kommt, stehen fünf birmanische Jungs jeden Tag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang barfuss und mit nur kurzen Shorts bekleidet mit den Füßen im Wasser. Im Auftrag einer jungen Frau, die »denen da oben« – wer immer das ist – für eine Goldwäscherlizenz 1.000 US-Dollar berappen musste, bespritzen zwei Jugendliche mit Wasser aus einem Schlauch Steine, ein weiterer Junge überprüft diese nassen Steine auf mögliche Goldvorkommen und zwei Jungs werfen die überprüften Steine auf einen Abfallhaufen. Mitten im schwarzen Dieselqualm der Wasserpumpe für den Schlauch kämpfen sie zudem den hoffnungslosen Kampf gegen Malaria. »Zwei Jugendliche sind mir in diesem Jahr schon gestorben«, erklärt uns die Lizenzinhaberin oben am Lochrand, ohne die fünf Jungs unten im Wasserloch aus den Augen zu lassen. »Mittel gegen Malaria sind hier einfach zu teuer. Auch für mich selber.« »Ihre« fünf Jungs erhalten dreimal am Tag zu essen und alle 14 Tage ein Honorar von 3.000 Kyat, eine Summe, die so klein ist, dass sie nicht einmal für eine Schachtel Zigaretten ausreicht. Selbstverständlich würde sie die Fünf prozentual an einem Goldfund beteiligen: »Wir arbeiten hier jetzt schon seit anderthalb Monaten, haben aber noch kein Gold gefunden. Aber ich gehe davon aus, dass wir schon bald Gold finden werden, denn mit einer ergebnislosen Suchdauer von anderthalb Monaten haben wir die durchschnittlich erfolgreiche Suchzeit nach Gold schon hinter uns.«

Das goldene Land der Pagoden sei Burma, so verkünden es Militärs und Reisebüros allerorten. Nicht nur das Land von Gold und Kupfer, sondern auch von Edelsteinen, besonders Jade und Rubine, von seltenen Metallen wie Spinell, Saphir und Painit, von riesigen Tropenholzbeständen und von Erdöl und Erdgas. Gold: Mandalay mit seinen überdachten Treppenaufgängen und goldenen Pagoden auf dem Mandalay Hill wurde König Mindons (1853–1878) »Goldene Stadt«. Gold: Dünnes Blattgold, seit vielen hundert Jahren von Pilgern aus aller Welt auf die goldene Shwedagon-Pagode in Yangon aufgelegt und aufgeklebt, macht diesen sakralen Bau zur teuersten Pagode der Welt. Gold: Gülden strahlt der gewaltige, kugelförmige Goldene Fels im südlich gelegenen Mon-Staat hoch oben auf dem Berg, eine der heiligsten Stätte des Theravada-Buddhismus in Burma. Ein kleines Haar von Buddha hindert die große Goldkugel daran, vom Berg herunter zu kullern. Pagoden: Allein die alte Hauptstadt Bagan zählt 2.217 Tempel und Pagoden und in ganz Burma soll ihre Zahl über 100.000 liegen. (Notabene: Die kleine Ägäisinsel Mykonos hat mehr Kirchen als das Jahr Tage zählt.)

Was sich als Pilgergold auf den Stupas und als 76-karätiger Diamant auf der Hauptstupa der Shwedagon-Pagode in Yangon so spirituell gibt – besonders für auffällig viele, gut verdienende zivilisationsmüde deutsche Bildungsbürger mit ihrem Räucherstäbchen– und Innerlichkeitskult und ihren teuren buddhistischen Meditationsseminaren – entpuppt sich bei näherem Hinsehen als brutales Geschäft der birmanischen Militärregierung. Gold und Diamanten bilden das Rückgrat ihrer Räuberökonomie! Hier wird die eigene Bevölkerung ausgeraubt und wertvolle Bodenschätze werden auf dem Weltmarkt, besonders in China, verhökert, um zuhause die Ausgaben für das Militärbudget in Höhe von rund 300 Millionen US-Dollar finanzieren zu können. Wie rücksichtslos und gefährlich sich diese Räuberökonomie manifestiert, offenbarte sich vor einigen Jahren in einer Straßenszene in Yangon: Einer Stafette polizeilicher Motorradfahrer mit Blaulicht folgt in großem Tempo ein LKW, auf dessen offener Ladefläche viele Gesteins- und Felsbrocken von einer Gruppe stehender Soldaten mit gezogenen Maschinengewehren bewacht werden – ganz offensichtlich Edelsteine auf rasender Fahrt zu ihrer Weiterverarbeitung.

Neben Gold und Diamanten ist es uraltes Teak-Holz, das von Burma aus seinen Weg auf den Weltmarkt findet. Übrig bleiben auf unserer Fahrt durch den Kachin-Staat, auf der langen Nord-Süd-Straße von Myitkyina nach Bhamo in einem Abstand von nur rund 50 Kilometer parallel zur chinesischen Grenze, viele entwaldete Berghänge, die in der Monsunzeit das Wasser nicht mehr halten können und Mensch und Vieh unter sich begraben. Ein Teufelskreis von Zerstörung beginnt! Die ihrer Orte verwaisten Menschen ziehen noch tiefer in Dschungel, um sich mit Brandrodungen Platz für neue Dörfer zu verschaffen und zerstören ihrerseits den tropischen Waldbestand. Während die alte, gut erhaltene, Kopfsteinpflasterstraße, in den späten dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts von birmanischen Zwangsarbeitern unter der Aufsicht japanischer »Herrenmenschen« gebaut, dem japanischen Militär im Sommer 1937 als Ausgangspunkt ihres Angriffes auf China diente, dient dieselbe Straße heute den Chinesen. Rollten damals japanische Militärfahrzeuge west-östlich nach China, so rollen heute auf der selben Straße chinesische LKWs mit Bodenschätzen und Holz ebenfalls west-östlich nach China.

Unser Regierungsspitzel an Bord des Busses weiß bei der nächsten Rast in einer kleinen Dorfkneipe, in der die Schweine unter dem Tisch herum laufen, Bescheid: »Esst nicht in diesem Restaurant und kauft dort in dem Geschäft keine Lebensmittel. Die sind alle aus China. Die sind alle vergiftet.« Zwischen Birmanen und Chinesen besteht eine uralte Hassliebe. Auf dem Scheideweg zwischen Indien und China gelegen, trennt und eint der birmanische Buddhismus die beiden Länder. Und Ähnliches gilt für das Verhältnis Burmas zu seinem westlichen Nachbarn Indien. Wie bei China, so leidet Burma auch bei Indien unter dem Komplex des jeweiligen Großen Nachbarn. Weil man sich kulturell in manchem ähnlich ist, grenzt man sich stark voneinander ab. Vor diesem historischen Hintergrund schieben sich aber heutzutage und seit langem chinesische Politik und Ökonomie in den Vordergrund. Dazu der »Irrawady«, ein elektronischer Rundbrief birmanischer Oppositioneller, am 10. November 2010: »Burma wurde zu einem Satelliten von China und zwar in ökonomischer, politischer und militärischer Hinsicht. Man täusche sich nicht: Bei Burma besteht eines der Hauptziele der chinesischen Außenpolitik darin, sich seine Bodenschätze anzueignen und die Militärjunta in die Tasche zu stecken.«

Wer steckt wen in die Tasche? Wer zieht welche Strippen? Sind die birmanischen Generäle in Naypyidaw, auch wenn viele von ihnen wegen der Novemberwahlen schon im Frühjahr dieses Jahres ihre Uniformen auszogen, um den Vorsitz von regierungstreuen Parteien zu übernehmen, ein Marionettenregime? Das wäre für Burma nicht völlig neu, war doch dieses Land bereits im Zweiten Weltkrieg ein japanischer Marionettenstaat.

© Peter Duchamps
© Peter Duchamps

Das birmanische Marionettentheater ist erstens berühmt, zweitens alt und hatte drittens schon immer etwas mit Politik zu tun. Denn da gab es unter dem birmanischen Königen Singu, Badon Min und Sagaing Min Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts sogar einen eigenen Marionettenminister, den Thain Wun. Marionetten spielten die Dinge, die Menschen aus religiösen Gründen untersagt waren. Marionetten durften mehr als Menschen. Klar, dass die Diskrepanz zwischen Marionette und Mensch aus politischen Gründen überwacht werden musste. Abgesehen von zahlreichen Vorschriften für die Zahl der Figuren, deren Kleidung und Farben, ihr Material, die Spieler und Musiker und die Art und Größe der Bühne, gab es auch inhaltliche Vorgaben. Dazu heißt es bei Noel F. Singer in dessen Standardwerk »Burmese Puppets« von 1992: »Der Dialog darf weder die Geistlichkeit noch den königlichen Hof beleidigen. Wer sich dem nicht beugt, dem wird entweder die Hand abgeschlagen oder die Zunge heraus gerissen.« Und weiter heißt es bei ihm, dass der Thain Wun von 1827 so mächtig gewesen sei, dass nur er dem König Dinge hat sagen können, die anderen bei Hofe »Schläge mit dem Bambusstock« eingebracht hätten. Doch die Politik agierte nicht nur als Zensor, sondern außerdem als Agitator: »Den Anführern der Hofclique wurde klar, dass man die Marionetten auch zu staatlicher Propaganda benutzen konnte und ganz schnell verfuhr man dementsprechend.« Als aber das Marionettenspiel im Laufe der Zeit volkstümlich wurde, änderte es auch seine Inhalte: Jetzt wurde es zu einem öffentlichen Ort, wo sich das Wort gegen Korruption und Ungerechtigkeit der Oberen richten konnte. Ein Besuch der Marionettentheaterabteilung im Nationalmuseum in Yangon zeigt den verschwenderischen Reichtum der Kostüme alter Marionettenfiguren. Während der Besichtigung fragt der Touristenführer seine Besucher: »Warum hat die Marionette des Ministers als einzige Figur nicht 28, sondern nur zwei Schnüre?« Antwort: »Der Minister braucht ja nur zwei Bewegungen zu machen. Mit der einen Schnur macht der Kopf eine bejahende Nickbewegung und mit der anderen Schnur falten sich beide Hände untertänigst und ehrerbietig auf seiner Brust zusammen.«

In Mandalay schmückt eine bunte Sammlung alter Marionettenfiguren die Wände der kleinen Bühne der Satiriker »Moustache Brothers«. Die drei Kleinkünstler stellen sich also bewusst in die Tradition des populären und obrigkeitskritischen alten Marionettentheaters. Doch ihre großen Tage der politischen Kritik an den Militärs scheinen vorbei zu sein, vorbei auch die Zeit von Hugh Grants Hollywood-Schnulze »About a Boy« von 2002, in dem explizit darauf hingewiesen wird, dass man in Burma für einen Witz im Gefängnis landen könne und dass Par Par Lay, einer der drei »Moustache Brothers«, deswegen in der Tat von 1996 bis 2002 im Gefängnis saß. Doch in diesem Wahlnovember 2010 sind die »Moustache Brothers« hausbacken und spießig oder müssen es sein. Ihre andauernden Macho-Witze über Frauen haben das Niveau einer verstaubten Fernsehsendung wie »Mainz wie es singt und lacht« und Politik kommt bei ihnen überhaupt nicht mehr vor. Zu gerne hätte man übrigens bei der bekannten Messaillance zwischen Filmwelt und amerikanischer Regierung gewusst, welche US-Behörde die diesen Film produzierende Firma Fox Broadcasting des Medientycoons Rupert Murdoch mit wie viel Geld zu diesem einen Satz gegen die birmanische Regierung gesponsert hat. Derweil die drei »Moustache Brothers« zurzeit vorsichtig agieren, wurde der landesweit beliebte Schauspieler und Komiker Zaganar Ende 2008 zu 35 Jahren Haft verurteilt. Er sitzt im Gefängnis von Myitkyina. Sein Verbrechen? Witze nach dem Motto »Unser Herrscher regiert seit 18 Jahren ohne Kopf.«

Die Wahlen haben der birmanischen Militärregierung und die Freilassung von Aung San Suu Kyi im November das gebracht, was zu erwarten war: Eine Festigung ihrer Position gerade wegen der kleinen politischen Lockerungen. Doch diese politischen Fragen sagen noch nichts über die Ökonomie. Wie kann die Armut in Burma, einem der ärmsten Länder der Erde, beseitigt werden? Sieht man nicht nur nach Burma, sondern auch nach anderen Armenhäusern wie Haiti oder Sierra Leone, dann gilt es nüchtern festzuhalten, dass die Armut auch in sogenannten Demokratien nicht beseitigt werden konnte. Wenn denn die Analyse radikaler Globalisierungskritiker stimmt, dass westliche Armutshilfe ein wesentlicher Verursachungsfaktor für eben die Armut in den Entwicklungsländern ist, könnte dann die Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi eigentlich »froh« sein, dass sie keine politische Verantwortung für Burma übernehmen kann/muss?

Wie bei den sogenannten bunten Revolutionen in Georgien oder der Ukraine würde Burma bei einem Wechsel unter Aung San Suu Kyi zwar seine außenpolitische Anbindung wechseln, doch wie in Georgien oder der Ukraine bliebe seine unermesslich große sozio-ökonomische Misere wahrscheinlich dieselbe.

This article was originally published in January 2011 in INTERNATIONAL – Zeitschrift für internationale Politik, Issue 1-2011.
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