Friederike Gösweiner trifft mit ihrem Debütroman Traurige Freiheit einen Nerv der Zeit. Eindringlich beschreibt sie darin die Grenzen der Versprechen von gestern, aber auch was es bedeutet heute – jenseits von Sicherheiten -, jung zu sein. Es ist ein Roman über das Prekariat, Einsamkeit, Austauschbarkeit und eine durch Wettbewerb entsolidarisierte, durchökonomisierte Gesellschaft.
Die Protagonistin des Romans, Hannah, eine im Laufe der Handlung 30 Jahre alt werdende Zeithistorikerin verlässt ihren Freund Jakob, um für ein Volontariat in einer Zeitungsredaktion ins entfernte Berlin zu ziehen. Sie entscheidet sich damit gegen die Beziehung und für die Karriere. In Berlin angekommen zieht sie in die leerstehende Wohnung ihrer besten Freundin Miriam, die ihr die Wohnung überlassen kann. Kurz scheint es, als ob sich der Umzug gelohnt hat, jedoch fällt Hannah nach dem Ende des Volontariats in ein Loch, weil sie trotz mehrmonatigem Bewerbungsmarathon keine Stelle bekommt. Schließlich beginnt sie als Aushilfskellnerin zu arbeiten, um sich über Wasser zu halten.
Jetzt war sie also dreißig. Und nichts hatte sie erreicht.
Friederike Gösweiner, Traurige Freiheit
Hannahs Gefühls- und Gedankenwelt wird im Roman von Friederike Gösweiner so eindringlich beschrieben, dass die/der LeserIn sich in das zermürbende Wechselspiel von Hoffen und Scheitern in der modernen Arbeitswelt einfühlen kann. Man erliest förmlich wie Hannah, nach dem Entschluss zur Flucht nach vorne, nach Berlin, am prekären Abgrund wandert. Gleichzeitig zeigt Traurige Freiheit auf, wie sehr eine Erfahrung jenseits von Sicherheiten Menschen entfremden kann; im Grunde lebt Hannah in Berlin nach ihrem Volontariat im freien Fall: Sie hat keine richtigen Freunde in der Stadt, ihre beste Freundin lebt im Ausland und ist nur über Skype erreichbar, ihre Familie lebt weit weg in ihrer Heimatstadt, ihre gescheiterte Beziehung ist noch unaufgearbeitet, sie kämpft gegen den finanziellen Zusammenbruch.
Hannah bekommt die Härte des Arbeitsmarkts zu spüren. Sie scheitert, obwohl sie scheinbar alles richtig macht. Sie lebt in einer Welt, in der es von Konkurrenz wimmelt und einschlägige, dem Profil entsprechende, Jobs rar sind. Hannah fängt nicht als Jung-Journalistin ihr Leben an, sondern betritt als Konkurrentin einen Arbeitsmarkt. Als Einzelkämpferin in dieser durchkapitalisierten Realität stößt sie vor einer Vielzahl an nebulosen Möglichkeiten bald an ihre Grenzen. Hannah wird dabei deutlich durch einen „Mangel an Ansehen, Sicherheit, gesicherten Gütern und stabilen Beziehungen” beschrieben und ist damit eine Betroffene von „negativer Individualisierung” in einer ökonomisierten Gesellschaft.
Reale Hannahs: Lebenskrisenerfahrungen
Die von Friederike Gösweiner beschriebenen Erfahrungen bleiben aber nicht auf die fiktiven Erfahrungen Hannahs beschränkt. Für einen sehr großen Teil der Generation der 30-Jährigen sind sie Realität. Die Erfahrungsberichte der Plattform Generation Praktikum sprechen Bände. Und dennoch scheinen sie nur ein Tropfen auf den heißen Stein zu sein. Dort ist unter anderem die Rede von „keinerlei beruflichen Perspektiven drei Jahre nach dem Studienabschluss”, wenn überhaupt – „dürftigster Bezahlung”, Zukunftsängsten oder benötigter „Nervenstärke“ und zwingendem „Durchhaltevermögen“. So schrammt Traurige Freiheit empfindlich an einer Realität entlang, die wenig sichtbar ist und noch seltener behandelt wird.
Als Hannah jünger war, hatten alle Erwachsenen immer gesagt, sie sei glücklich, gehöre zu der Generation, der alle Wege offenstünden. Man könne alles werden, alles sein, hieß es, alles sei möglich, das sei die totale Freiheit.
Friederike Gösweiner, Traurige Freiheit
Es ist die 30er-Generation, die an die Grenzen gestriger Garantien stößt. Auf Karriere und feste Anstellungsverhältnisse müssen viele junge Menschen oft sehr lange warten, da sie – anders als noch ihre Eltern – in einer gewandelten Gesellschaft, in einer anderen Welt, aufgewachsen sind. Christoph Ohrem beschreibt das Buch in seiner Rezension als eines „über eine Generation, die einen Traum versprochen bekommen hat, der sich nicht einlösen lässt”. Immer seltener scheint – auch theoretisch – alles möglich. An die Stelle von Karriere rückt vielfach Einsamkeit; gefestigte Verhältnisse weichen Überforderung und Burnout. Sehr pointiert fasst der Verlag Droschl aus Graz diese in eine Lebenskrise geschlitterte Freiheit im Klappentext zusammen: „Auch so kann sich Freiheit anfühlen: wie ein endloser Fall in die Tiefe.”
Vielfach wird Menschen wie Hannah – befeuert durch den negativ individualisierten Diskurs des selbstverschuldeten Mangels – mit Verständnislosigkeit und Kritik begegnet. Im Literaturklub des SRF wird diese an Zynismus grenzende Haltung erschreckend deutlich. Die LiteraturkritikerInnen beweisen im Gespräch wenig soziales Einfühlvermögen und kritisieren die Protagonistin, die ihrer Meinung nach „ihre Freiheit nur nutzen müsse”. Ihr werden „falsches Herangehen“ und „Abkapselung von der Realität“ attestiert, da sie soziale Kontakte nur über soziale Medien habe. Nicola Steiner, die SRF Moderatorin, kontert damit, dass man Traurige Freiheit weniger als „Generationenportrait” lesen solle, denn viel mehr als eine „literarische Umsetzung verschiedener Thesen, die man in der Soziologie findet”, wobei sie die DenkerInnen Alain Ehrenberg und Eva Illouz erwähnt. Sie argumentiert, dass mensch bei der Wahl der vielen Möglichkeiten an Grenzen stößt, weil versucht wird, sie auszubalancieren und gegeneinander abzuwägen. Letztlich endet das in Zerrissenheit und dem Scheitern an der realen Welt und ihren Beziehungen. Die SoziologInnen Carolin Deuflhard und Hans Bertram sprechen von einer „überforderten Generation”, deren Überforderung von der Überschaubarkeit an Möglichkeiten herrührt: „Sie sind zwar unglaublich gebildet, aber die Wege in die Berufswelt sind unsicher und unüberschaubar geworden.”
Das Prekariat: jung, aufstrebend, intelligent, arbeitslos
Ganz wesentlich bei der Reduktion des Problems auf individuelle Versäumnisse ist aber, dass die strukturelle Dimension übergangen wird. Dabei sind Dauer und Entlohnung von Erwerbstätigkeit maßgebend: Unsicherheit im Hinblick auf die Erwerbstätigkeit erfahren vor allem Menschen, die einer geringfügigen oder befristeten Beschäftigung nachgehen oder in einem Teilzeitbeschäftigungs- oder Zeitarbeitsverhältnis stehen, stellt das deutsche Statistische Bundesamt fest.
Die permanente Gefährdung der materiellen Existenz durch nicht Existenz sichernde [sic!] Entlohnung und fehlende soziale Absicherung sowie die damit einhergehende Unmöglichkeit jeglicher längerfristigen Lebensplanung sind vor allem für die Beteiligten ein entscheidender Aspekt der Prekarisierung.
Dem liegt eine Spaltung der Arbeitsgesellschaft in eine Minderheits- (von regulärer Erwerbstätigkeit ausgeschlossen) und eine Mehrheitsgesellschaft (mit gesicherten Anstellungsverhältnissen) zugrunde. Dabei kämpfen Menschen, die sozial abgestiegen bzw. von einem sozialen Abstieg bedroht sind (und somit einer prekären Gruppe zuzurechnen wären), um Integration und gegen die dauerhafte Entkopplung. Enden tut das in einer immer schwerer zu durchschauenden Form von Selbstausbeutung im Interesse des Kapitals, so Thomas Bedall im Gespräch mit der jungen Welt:
Dabei ist dieser Überlebenskampf heutzutage eine Erscheinungsform von Selbstausbeutung, die im Bereich der Selbständigkeit in den Medien und der Gastronomie mit Händen zu greifen ist. Dem Kapital sind solche Strategien ganz recht, weil man sich um solche Leute nicht groß zu kümmern braucht. Sie verdienen im Jahr ein paar tausend Euro, leben also in kümmerlichen Verhältnissen. Dafür können sie sagen, sie sind selbständig, arbeiten in den Medien, als Künstler, DJs und so weiter. Aber in Wirklichkeit beuten sie sich selber aus.
Gleichzeitig besitzt Traurige Freiheit – als „Frauenportrait“ gelesen – auch eine Gender-Dimension. Offen hinterfragt werden nämlich die Erwartungen an junge Frauen, sich in Beziehungen nicht abhängig zu machen, sondern “ihren Weg zu gehen”. Damit zeigt er kritisch die Grenzen der Gleichberechtigung auf.
Verborgene Fragen unserer Zeit
Die Fragen, die Friederike Gösweiner in ihrem – übrigens mit dem Debütpreis des Österreichischen Buchpreises ausgezeichneten – ersten Roman sind sozial-gesellschaftlich hoch relevant, weil er einer anonymisierten Masse durch die Protagonistin Hannah eine Stimme gibt. Die Fragen, Ängste und Unsicherheiten Hannahs betreffen heute – wenn auch in der Minderheit – sehr viele junge Erwachsene. Jenen, denen solche Gedanken unbekannt sind, bietet Traurige Freiheit Einblicke in ein Leben, das ihnen ansonsten verborgen bleibt. „Wer selbst noch jung ist, wird sich wiedererkennen. Wer nicht, der lernt verstehen, was es heißt, heutzutage Teil der jungen Generation zu sein”, meint Christine Schimmel von der OTZ.
Traurige Freiheit ist ein beachtenswerter Roman. Nicht weil er die Lebensumstände einer Minderheitsgesellschaft aufzeigt, sondern weil er ein Psychogramm zeichnet, das in den unbeseitigbaren Widersprüchen des Kapitals verhaftet ist. Er seziert das Leben jener, die im Strom des Überflusses verunsichert gegen das untergehen kämpfen. Der Fall ist für dieses Leben im Prekariat symptomatisch, wie auch die Furcht vor dem Aufprall, dargestellt als Kollision mit dem Arbeitsmarkt, mit den Bröseln von Wünschen und Illusionen.
Friederike Gösweiner: Traurige Freiheit
Droschl Verlag, Graz 2016, 144 Seiten. 18,00 €