Nestroy Preisträger Ibrahim Amir im Gespräch mit Shabka über “Integration durch Leistung”, “Postmigration” und das Verhältnis zwischen Politik und Kunst.
Shabka: Du bist seit fast einem Jahr sehr erfolgreich mit deinem Theaterstück „Habe die Ehre… Eine Ehrenmordkomödie“. Siehst du dich mittlerweile selbst als Beispiel gelungener Integration durch Leistung, wie es etwa von Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz gefordert wird?
Amir: Nein, ich weiß nicht. Diese ganze Postmigrations-Debatte ist mir neu. Davor war ich nur Migrant und jetzt soll ich plötzlich ein Postmigrant sein. Was soll sich da geändert haben? Immer wenn ich mich Leuten persönlich vorgestellt habe, waren meine ersten Sätze „Ich heiße Ibrahim“ und „ich habe Medizin studiert“ und da habe ich selbst schon bemerkt, dass ich immer viel von meinen Leistungen erzähle, damit man mich hier akzeptiert. Das ist auch jetzt so und völlig absurd.
Shabka: Hast du das Gefühl, dass du oft doppelt so viel Leisten musst, um von den ÖstereicherInnen akzeptiert zu werden?
Amir: Auf jeden Fall. Ich muss immer wieder betonen, was ich nicht für ein guter Ausländer bin. Ich beherrsche doch eure Sprache und bin doch so offen.
Shabka: Und spielt der Islam auch eine Rolle? Muss man mit einem muslimischen Backgroud nicht oftmals eine Rechtfertigungshaltung einnehmen?
Amir: Ja klar, dieses „ich bin doch anders als die“ – wobei Religion ehrlich gesagt in meinem jetzigen Leben keine Rolle spielt. Aber vor allem in meinen ersten Jahren in Österreich hatte ich das Gefühl, umso mehr ich den Islam kritisiert habe, desto akzeptabler wurde ich. Da war ich aber auch erst 19, 20 Jahre alt. Mit der Zeit habe ich dann meine Einstellung geändert. Ich habe gemerkt, dass das für mich nicht mehr in Ordnung war. Islamkritik gibt es von mir zwar immer wieder mal zu hören, aber nicht um zu erreichen, dass mich die Mehrheitsgesellschaft hier endlich akzeptiert oder anerkennt.
Shabka: Wie bist du in Österreich zum Schreiben gekommen? Schließlich ist Deutsch ja nicht deine Muttersprache.
Amir: Ich hatte hier ja lange keine Arbeitserlaubnis, wollte aber auch nicht einfach depressiv im Wohnzimmer sitzen, also hab ich angefangen zu schreiben. Das war vor ca. fünf Jahren. Ich wollte mit einem Kumpel ein Drehbuch für einen Kurzfilm schreiben, aus dem Projekt wurde dann aber nichts. Ich habe aber weitergemacht und eine Kurzgeschichte geschrieben, die in Aleppo spielt. Ein anderer Freund hat den Prosatext gelesen und mich ermuntert, ihn für den „Exil-Literaturpreis“ einzureichen, bei dem ich 2009 auch den dritten Platz gemacht habe. Dadurch ist man auf mich aufmerksam geworden und es gab bald schon Anfragen, ob ich nicht auch Theaterstücke auf Deutsch schreiben möchte. So bin ich dann zum Schreiben gekommen. In Syrien wollte ich ja eigentlich Schauspieler werden, aber da ich darin wirklich schlecht bin, hab ich schnell gemerkt, dass mir Schreiben mehr liegt. Aber im Deutschen merkt man schon, dass ich kein „Native Speaker“ bin. Meine Grammatik ist zwar korrekt, aber man liest bei mir immer wieder orientalische Elemente heraus, im Satzbau, in Metaphern, Redewendungen etc. Mittlerweile setze ich das bewusst als Stilelement ein.
Shabka: In Syrien warst du ja auch politisch engagiert. Du hast hier ja natürlich viel mehr Freiraum als in Syrien. Wie siehst du das Spannungsfeld von Kunst und Politik?
Amir: Für mich ist wirklich alles politisch. Was Kunst betrifft, halte ich nicht nichts von zu plakativen Aktionen. Mit künstlerischer Gesellschaftskritik schaut man ja nicht unbedingt jemandem in die Augen und sagt „schau mal, so läuft‘s“. Man kann nicht einfach einen Vortrag halten. Mit plakativ meine ich zugespitzte politische Parolen ohne kreative Auseinandersetzung. Was die politische Wirkung betrifft, darf man Kunst nicht überschätzen. Ich kenne kein Theaterstück, das gesellschaftlich etwas verändert hat. Wir Künstler sind Narzissten. Klar wollen wir dem Publikum Denkanstöße geben, wollen etwas bei den Leuten auslösen, aber mehr ist auch nicht drin.
Shabka: Dein Stück „Habe die Ehre“ wird als eine Ehrenmordkomödie vermarktet. Lachst du gerne über ernste Themen?
Amir: Ja (lacht). Das habe ich von meinem Großvater. Anfangs war mir aber nicht klar, dass ich an einer Komödie schreibe. Während des Schreiben vielen mir einfach immer mehr komische Situationen und Wendungen ein, bis ich mir dachte „ah, das wird wohl eine Komödie“.
Shabka: Gibt es zu der Story auch einen persönlichen Bezug?
Amir: Ja, leider doch. Die Geschichte basiert zu zehn Prozent auf einer wahren Begebenheit. In meinem Heimatdorf wurde eine Frau umgebracht, weil sie ihren Mann und die drei Kinder verlassen hat und mit dem Dorflehrer durchgebrannt ist. Man hat die beiden dann aber erwischt. Den Typen, ihren Lover getötet, sie wieder ins Dorf zurückgebracht und dann auch ermordet. Eine wirkliche Tragödie war das.
Shabka: Wie nimmst du Politik in Österreich war? Komödie oder Tragödie?
Amir: Beides (lacht). Aber ich habe trotzdem vor, meine Erfahrungen in Österreich irgendwann als Komödie zu verarbeiten. Ich war letztens sogar bei einem Derby und muss gestehen, dass ich noch nie unter so vielen Österreichern war. Hinter mir war ein Austria-Fan, der die ganze Zeit einen schwarzen Fußballer rassistisch beschimpft hat. Ich wollte mich umdrehen und den Typen fertig machen, und dann habe ich gesehen, dass er selber Afrikaner war. Einfach verrückt.
Shabka: Wir haben gehört, dass du dich in deinem nächsten Projekt mehr mit den Themen Rassismus und Migration beschäftigen wirst.
Amir: Genau, ich arbeite zurzeit an einem Theaterprojekt über die Refugees, die die Votivkirche besetzt haben. Das Stück spielt zwanzig Jahre später in Wien und es geht darum, was mit den Menschen passiert ist. Regisseurin ist Tina Leisch. Die Schauspieler sind keine Profis, sondern die betroffenen Flüchtlinge selbst. Die Geschichte dreht sich um einen ehemaligen Asylwerber aus Tunesien, der mit der Homosexualität seines zwanzigjährigen Sohnes nicht umgehen kann. Wobei er selbst nur durch eine Scheinehe mit einer lesbischen Freundin sein Bleiberecht erhalten hat. Die Recherche zu dem Stück ist spannend, weil ich mich viel mit den Refugees austauschen kann. Aber es gibt da echt viele, die dann meinen „ah mein Sohn ist schwul? Das kann ich nicht akzeptieren …“. Das zeigt aber, wie realistisch das Dilemma in dem Stück ist. Die Leute, die sich für die Refugees engagieren, sind aus einem eher linken Milieu, geben sich „weltoffenen“ und tolerant. Während viele Flüchtlinge einen recht traditionellen und konservativen Hintergrund haben. Ich habe hier leider aber auch das Gefühl, dass diese Menschen und ihre Leidensgeschichten mittlerweile von so vielen Seiten ausgenutzt werden, wobei sich an ihrer Lage wenig ändert.
Ibrahm Amir ist ein syrisch-kurdischer Schriftsteller und Nestroy-Preisträger. Er studierte drei Semester Theater- und Medienwissenschaften an der Universität Aleppo in Syrien, wurde jedoch im Zuge einer von ihm mitorganisierten Schweigeminute in Gedenken an den Giftgasangriff auf die irakisch-kurdische Stadt Halbdscha von 1988 exmatrikuliert. Er wanderte mit zwanzig nach Österreich aus, um Medizin zu studieren, betätigte sich jedoch auch weiterhin literarisch. 2009 gewann er für die Kurzgeschichte „In jener Nacht schlief sie tief“ den Exil-Literaturpreis „Schreiben zwischen den Kulturen“. Sein aktuelles Theaterstück „Habe die Ehre“ wurde November 2013 mit dem Nestroypreis für die Beste Off-Produktion ausgezeichnet. Das Stück wird im Januar wieder aufgeführt.
Das Inteview führten Tyma Kraitt und Paul Winter am 31.10.2013