Vergangenes Wochenende wurde die Bevölkerung Mali´s zu den Urnen gerufen um über die Zukunft des konfliktgeplagten Staates abzustimmen. Es kam zwar wider Erwarten zu keinen größeren gewalttätigen Zwischenfällen, jedoch bleibt bei der näheren Betrachtung des Wahlprozesses ein bitterer Nachgeschmack zurück. Demokratisierung nach dem Fast Food Prinzip- schnell gemacht, sieht gut aus, aber sättigt es auch auf Dauer?
Im westafrikanischen Mali schwelt bereits seit Jahrzehnten ein interner Nord- Süd Konflikt vor sich hin: die teils nomadisch lebenden Touareg im Norden fühlen sich von der Zentralregierung in Bamako strukturell benachteiligt und riefen am 6. April 2012 den unabhängigen Staat Azawad im Norden aus. Ihnen schlossen sich bald islamistische Gruppierungen an um ihre eigenen Interessen (Etablierung eines islamischen Staates, Scharia, etc.) im Azawad durchzusetzen, was wiederum zu einer Krise zwischen den beiden Lagern führte. Die Touareg bzw. die MNLA (Mouvement National pour la Libération de l´Azawad) wurde verdrängt und der Konflikt wurde fortan großteils zwischen malischer Regierung und islamistischen Gruppen (AQIM, Ansar Dine, MUJAO) weiter geführt.
Die vormals demokratisch gewählte Regierung wurde bereits im März 2012 durch einen Militärputsch abgesetzt und aufgrund von starkem internationalen Druck wurde kurz darauf ein Übergangspräsident eingesetzt. Auch dieser konnte die Situation nicht entschärfen und es kam im Laufe der folgenden Monate immer wieder zu Übergriffen und gewalttätigen Auseinandersetzungen und die Lage im Norden konnte nicht unter Kontrolle gebracht werden. Erst im Frühjahr 2013 konnten sich die malische Regierung mit der MNLA und Vertretern der Ansar Dine auf einen Friedensvertrag einigen, großteils forciert durch die internationale Gemeinschaft und die militärischen Einsätze Frankreichs und der ECOWAS.
Demokratische und freie Wahlen sind zwar etwas durchaus positives, jedoch sind stets die spezifischen Umstände unter denen die Wahlen durchgeführt werden ausschlaggebend. Dieser Herausforderung stellt sich nun auch die malische Zivilbevölkerung die, geplagt von monatelangen gewalttätigen Auseinandersetzungen, die Chance auf Frieden und Freiheit in die eigene Hand nehmen will. Diese Chance wird aber durch einige Faktoren destabilisiert, zuallererst durch die sehr kurz Zeit zwischen dem Schließen des Friedensvertrages und der Durchführung der Wahlen. Nur knapp zwei Monate blieben dem Land um sich aus dem Schrecken der Vergangenheit zu befreien und zeitgleich die unzumutbar hohen bürokratischen und logistischen Hürden zu bewältigen.
Die zuständigen Behörden sind im Vorfeld nicht im Klaren über die genaue Anzahl der wahlberechtigten BürgerInnen und muss dahingehend allein mit Schätzungen und veralteten Daten arbeiten. Ein überaus großer Teil der Bevölkerung besitzt keine Identitätskarte und kann damit, obwohl berechtigt, keine Stimme zur Wahl beitragen. Diese beiden Faktoren führten zur ersten und vielleicht größten Hürde: die geschätzten 8 Millionen BürgerInnen müssen innerhalb von 2 Monaten erfasst und mit Identitätsnachweisen ausgestattet werden. Zusätzlich zur mangelnden Information über die innerstaatliche Bevölkerung lauert eine Potenzierung des Problems bei der Erfassung der in die Nachbarländer geflohenen Menschen sowie jener in der Diaspora lebenden.
Durch die starke Kooperation mit Frankreich wird eine französische Firma beauftragt, 8 Millionen Identitätskarten zu produzieren und ein Heer von lokalen und internationalen WahlhelferInnen soll vor Ort dabei helfen, dass jede Karte ihren dazugehörigen Menschen rechtzeitig erreicht. Mangelnder Überblick und der Faktor Zeit führten auch dazu, dass viele Menschen unter falschem Namen oder anderem Wohnort etc. registriert waren, sie mussten in akribischer Kleinarbeit der BeamtInnen und HelferInnen erst ausfindig und korrekt registriert werden. Lokale Medien berichteten von ganzen Dörfern und Gemeinden, die wenige Tage vor der Wahl noch absolut ohne Identitätskarten dastanden, das genaue Ausmaß der „vergessenen Stimmen“ ist zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht ersichtlich. Aber nicht nur vergessene sondern auch verirrte Stimmen stellen ein Problem dar, denn auf den Identitäts- bzw. Wahlregistrierungskarten sind die jeweils zuständigen Wahllokale nicht vermerkt. Gerade bei Flüchtlingen, in der Diaspora und den peripheren Regionen Malis führt dies zu Verwirrung und zum Vorwurf der absichtlichen Manipulation.
Kurz vor den Wahlen kam es zudem zu einem erneuten Eklat: neueren Zahlen zufolge werden nur 6,9 Mio. Identitätskarten benötigt, d.h. knapp über eine Million „leere“ Karten sind produziert und könnten für eine Manipulation der Wahlen eingesetzt werden. WahlbeobachterInnen geben aber bald Entwarnung, die übrigen Karten befänden sich in Frankreich und es wäre nahezu unmöglich sie zur Manipulation ein die Urnen einzuspeißen.
Der Norden Malis wurde besonders genau unter die Lupe genommen: die starke Präsenz von MINUSMA– Truppen sollte die mangelnde Präsenz von internationalen WahlbeobachterInnen ausgleichen und einen sicheren und transparenten Urnengang garantieren, zumal einige islamistische Gruppierungen (z.B. MUJAO) und auch Splittergruppen der MNLA mit einem Angriff auf Wahllokale gedroht hatten. Wenige Tage vor der Wahl kam es in Kidal und Tessalit im Norden zu Morden bzw. Entführungen von WahlhelferInnen und Personen die sich für die nationale Einheit Malis aussprachen. Am Wahltag selbst aber kam es außer ein paar kleineren Pro- Azawad Demonstrationen wider Erwarten zu keinen Auseinandersetzungen und Gewalttaten.
Die Wahlbeteiligung stellte ein weiteres Überraschungselement dar: bei den letzten Wahlen war sie meist um die 30% angesiedelt, während diesen Sonntag alle Rekorde gebrochen wurden. In der Region Timbuktu gingen ersten Schätzungen zufolge bis zu 77% zu den Urnen, im Norden waren es merklich weniger (Kidal beispielsweise um die 10%) und zwei Tage nach der Wahl wird von einer durchschnittlichen Beteiligung von 53% ausgegangen. Hier ist die Problematik zu bemerken, dass einige Menschen mit einer oder mehreren Vollmachten für Andere zur Wahl gingen, genaue Zahlen sind aber auch hier kaum zu finden.
Obwohl sich 28 KandidatInnen der Wahl stellten wurden von anfang an zwei als absolute Favoriten gehandelt: der ehemalige Ministerpräsident und Urgestein der malischen Politik Ibrahim Boubacar Keita (IBK) und der ehemalige Minister und Präsident der ECOWAS Soumaila Cissé. Unter den 28 KandidatInnen befanden sich insgesamt vier ehemalige Premierminister, zahlreiche Abgeordnete und Lokalpolitiker sowie Sprösslinge alter politischer Eliten und eine Frau (ebenfalls Abgeordnete der Nationalversammlung). Ersten Schätzungen zufolge wird es ein Kopf- an- Kopf Rennen zwischen Keita und Cissé wobei Keita meist größere Chancen eingeräumt werden. Wahrscheinlich kommt es am 10. August zu einem erneuten Urnengang sofern keiner der beiden beim ersten Durchgang die absolute Mehrheit erlangt.
Durch die Präsenz hunderter internationaler WahlbeobachterInnen kann ein relativ gutes Bild über die Transparenz und Rechtmäßigkeit der Wahlen fabriziert werden: der Leiter der EU Mission stellte bereits kurz nach Schließung der Lokale fest, dass die Wahl großteils friedlich, transparent und frei von statten gegangen sei und keine gröberen Unregelmäßigkeiten beobachtet wurden. Auch andere internationale BeobachterInnen äußerten sich positiv, besonders die hohe Beteiligung von Jugendlichen, Frauen und Menschen mit Behinderung wurde sehr begrüßt. Die Unterstützung der MINUSMA und der ECOWAS (insbesondere Nigeria) mit Materialien wie Druckerpapier, Computern, etc. und in der Logistik wurde gelobt und fundamental für das fast reibungslose Ablaufen des Prozesses befunden.
Trotz der großteils positiven Befunde wurden aber, gerade durch lokale NGOs und BeobachterInnen, auch immer wieder Mängel angeprangert: so seien einige Wahllokale bei weitem nicht ausreichend mit Material und Personal bestückt gewesen, das anwesende Personal sein sehr mangelhaft ausgebildet, mangelnde Informationen für die WählerInnen hielten viele davon ab, ihre Stimme abzugeben.
Besondere Aufregung verursachten Keita- Anhängerinnen die schon zwei Stunden nach Ende der Wahl den Sieg ihres Favoriten verkündeten und feiernd durch die Straßen größerer Städte zogen. Sofort wurden Vorwürfe laut, dies könne nur sein weil die Wahlen manipuliert worden seien, Keita selbst rief daraufhin seine Anhängerinnen zur Ruhe auf und hieß sie die offiziellen Ergebnisse abzuwarten. Fünf Tage nach den Wahlen liegen die ersten Ergebnisse vor, und Keita gewinnt tatsächlich mit ca. 48% der Stimmen deutlich vor Cissé und den anderen KandidatInnen. Da das malische Gesetz aber eine absolute Mehrheit für einen endgültigen Sieg verlangt, wird voraussichtlich am 11. August ein zweiter Durchgang durchgeführt werden, den Keita höchstwahrscheinlich mit überragendem Vorsprung gewinnen wird.
Um kurz einen Blick in die Zukunft zu werfen, sofern dies durch die Analyse eines Wahlprogrammes möglich ist, wird das Hauptaugenmerk der neuen Regierung auf Sicherheit und nationale Aussöhnung liegen, im Hintergrund schwingt die Bewahrung der nationalen Einheit und Souveränität mit. Der Rest von Keitas Programm setzt sich aus den üblichen Floskeln über den Kampf gegen die Korruption und für Wirtschaft, Jugend, Soziales, etc. zusammen, auffalend ist einzig die Betonung der Diaspora als wichtige Partnerin für die Zukunft.
Die Wahlen in Mali wurden sowohl von der internationalen Gemeinschaft als auch von der lokalen Bevölkerung sehr begrüßt und sind wohl großteils transparent und fair verlaufen. Trotzdem ist die Zukunft des Landes ungewiss: Unregelmäßigkeiten wurden immer wieder festgestellt und könnten die Legitimität des Gewinners in Frage stellen bzw. den Missmut seiner Gegner schüren. Weiters ist der Norden Malis nach wie vor nicht ganz zur Ruhe gekommen und die Vorfälle in den letzten Wochen könnten Vorboten einer größeren Welle der Gewalt in Folge der Wahlen sein. Da der Friedensvertrag nur mit Teilen der rebellierenden Gruppen des Nordens ausgehandelt wurde und die restlichen, gewaltbereiteren Gruppen sich nur vorläufig zurückgezogen haben, erhält momentan fast nur die immense Präsenz von MINUSMA- Truppen den Frieden aufrecht und an ein Danach wagt noch niemand zu denken. So stellt sich nun die Frage nach der Nachhaltigkeit und auch nach der Sinnhaftigkeit von so überstürzt organisierten Wahlen, die Antwort darauf werden wir wohl in den nächsten Wochen und Monaten erhalten.