In einer globalisierten Welt stellt freier Warenverkehr eine Selbstverständlichkeit dar, persönliche Mobilität ist hingegen das Vorrecht weniger Privilegierter. Damit das auch hierzulande so bleibt, hat sich Österreich abgeschottet.Die nun bereits seit vier Monaten andauernden Proteste der Flüchtlinge in Wien haben mehr Aufmerksamkeit für ihre Anliegen erreicht als alle Kampagnen und Petitionen der NGOs in den vergangenen zwanzig Jahren.
Das »Refugee Camp« in der Votivkirche, die Kundgebungen und Demonstrationen von AfghanInnen, Somalis und TschetschenInnen haben die Missstände im österreichischen Asylsystem aber auch der EU-Migrations- und Asylpolitik einer breiten Öffentlichkeit bewusst gemacht. In der Folge wagen sich immer häufiger Betroffene, selbst das Wort zu erheben, ohne auf die – oft bevormundende – Unterstützung österreichischer NGOs zu warten. Immer öfter organisieren sich auch Bürgerinnen und Bürger in lokalen Plattformen oder in informellen Zirkeln, um Flüchtlinge in Asylwerberunterkünften vor Ort zu unterstützen, mit ihnen Deutsch zu lernen, sie bei Einkäufen, Arzt- und Behördenbesuchen zu begleiten. Es bleibt aber meist nicht dabei: drohen Abschiebungen, werden Petitionen verfasst, Demonstrationen organisiert und Gefährdete manchmal dem Zugriff der Behörden entzogen.
Die Proteste zeigen zweierlei: Erstens, dass Flüchtlinge nicht ausschließlich schwach und hilfsbedürftig sind, sondern autonom handelnde Subjekte mit Handlungsspielräumen und Strategien, starke Menschen, die Entscheidungen fällen und ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen können. Zweitens, dass immer weniger Menschen die behördliche Härte und die europäische Abschottungspolitik mittragen wollen. In Zeiten, wo in einer durchschnittlichen Hauptschulklasse im südlichen Niederösterreich zwölf Sprachen gesprochen werden und die Kinder nahe Verwandte in 22 Ländern der Erde haben, verlieren Fans nationaler Politiken unaufhaltsam an Boden.
Was wollen die Flüchtlinge? Wie realistisch sind ihre Forderungen und in welchem Kontext muss man die momentan nicht nur in Österreich aufbrechenden Proteste analysieren?
Betrachtet man Stellungnahmen von Flüchtlingen sowie von deren UnterstützerInnen, so fällt auf, dass es um mehr geht als die Empörung über unfähige BeamtInnen, überfüllte Erstaufnahmezentren, entlegene Quartiere und mangelnden Zugang zum Arbeitsmarkt. Immer mehr Menschen scheinen kein Verständnis dafür zu haben, dass globale Bewegungsfreiheit eine Frage des Geburtsorts bzw. der Staatsangehörigkeit ist. Während für EuropäerInnen oder NordamerikanerInnen Fernreisen mehr und mehr zum Alltag werden, bietet sich für im Süden geborene Menschen eine gänzlich andere Perspektive der Globalisierung. Restriktive Visapolitiken, mit neuester Technik hochgerüstete Außengrenzen und schikanöse aufenthaltsrechtliche Bestimmungen im Inneren – so präsentiert sich die EU den meisten Menschen aus Afrika und Asien.
Das finden auch viele Menschen innerhalb der »Festung Europa« nicht mehr in Ordnung. Sie unterscheiden auch zunehmend weniger zwischen Schutz suchenden Flüchtlingen und MigrantInnen auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Diese Vermischung von Migrationsmotiven, von freiwilliger Migration und erzwungener Flucht gefährde das Asylsystem, hört man staatlicherseits, rechte Parteien machen mit Begriffen wie »Wirtschaftsflüchtlinge« oder »Asylbetrug« Stimmung. Klärung tut Not. Tatsächlich – so viel sei vorab angemerkt – ist es schwer, ökonomisch motivierte Migrationspolitik und Asylpolitik unabhängig von einander zu betrachten.
Transitflüchtlinge und Gastarbeiter
Die Grundlage für das weltweite Asylwesen ist bekanntlich die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) aus dem Jahre 1951 und ihr 1967 in New York beschlossenes Zusatzprotokoll, die bis heute von 147 Staaten unterzeichnet wurden – inklusive allen EU-Ländern. Dieser internationale Vertrag schreibt vor, Menschen, die aufgrund berechtigter Angst vor Verfolgung wegen ihrer »Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen« als Flüchtlinge anzusehen. Mit der Unterzeichnung der GFK verpflichtet sich ein Staat, so definierte Flüchtlinge unter Schutz zu stellen. Es ist dabei unerheblich, wie eine schutzsuchende Person ins Land gekommen ist oder ob sie sich vorher anderswo aufgehalten hat.
In Zeiten des Kalten Krieges war es für die Staaten Westeuropas und so auch für Österreich ziemlich klar, wer als Flüchtling zu betrachten war, nämlich Menschen, die den Regimes des Warschauer Pakts den Rücken gekehrt hatten und in den Westen gekommen waren. Die Frage der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft war für Österreich unerheblich, reisten doch die meisten OsteuropäerInnen bald weiter in die USA, Kanada, Australien oder Südafrika. Österreich war in jenen Jahren vorwiegend Transitland. In dem 1955 eingerichteten Flüchtlingslager im niederösterreichischen Traiskirchen wurden damals Englischkurse gegeben und die Weiterreise in die endgültigen Aufnahmeländer organisiert.
Seit Ende der 1950er herrschte in Österreich spürbarer Arbeitskräftemangel, bis in die 1970er verließen tausende ÖsterreicherInnen das Land, um sich im benachbarten Ausland (BRD, Schweiz) in der Industrie oder im Gastgewerbe zu verdingen. In Österreich wurden damals in erster Linie Männer und Frauen für Industrie und Bau gebraucht. Diese holte man sich – nach Überwindung des Widerstands der Gewerkschaften – ab 1962 mittels Anwerbeabkommen vor allem mit der Türkei und Jugoslawien. Dieses System war innerhalb kürzester Zeit zum Selbstläufer geworden. Es entstanden verschiedene Formen zyklischer Migration, aber auch Migrationsketten, in denen ein Arbeitsplatz innerhalb einer Familie oder eines Dorfes weitergegeben wurde. Junge Frauen arbeiteten in der Lebensmittel- und Textilindustrie, die Männer am Bau oder in der Metallindustrie, nach einigen Jahren kehrten viele in die Herkunftsregion zurück, um nach einiger Zeit vielleicht wieder zu kommen, oder man schickte den jüngeren Bruder oder den Schwager, während man sich daheim mit der Errichtung eines neuen Hauses beschäftigte.
Mit dem Einsetzen der ökonomischen Krise 1974, die trotz einiger Zwischenhochs immer noch anhält, änderte sich auch die Migrationspolitik. Mit einem Anwerbestopp, dem Ende der »Touristenbeschäftigung« und der Verabschiedung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes 1976 wurde versucht, den Zuzug von ArbeitsmigrantInnen strenger zu regulieren. Die Folge war ein Ende der zyklischen Formen von Migration, wer konnte, hat sich in Österreich niedergelassen und holte seine/ihre Familie nach – eine Tendenz, die sich durch den Militärputsch in der Türkei 1980 noch verstärkte.
Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre kam es zu tief greifenden politischen und ökonomischen Wandlungsprozessen, die auch in der Asyl- und Migrationspolitik zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel führten.
Paradigmenwechsel
Mit dem Ende der Systemkonkurrenz verlor die GFK ihre Rolle als politisches Instrument im Kalten Krieg. In Deutschland hatte dies eine mit einem rassistischen politischen Diskurs und massiven Ausschreitungen gegen Flüchtlinge begleitete Einschränkung des Asylrechts zufolge: Wo im deutschen Grundgesetz bis 1993 lapidar stand »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht« (Art 16 GG), wurde dieses Recht mit einer Vielzahl von Einschränkungen versehen, sodass KritikerInnen von einer de facto Abschaffung des Asylrechts sprachen. In manchen EU-Staaten wie Großbritannien wurden in den 1990er Jahren Stimmen laut, die die GFK überhaupt in Frage stellten. In Österreich kam es 1992 zu einer grundlegenden Neuregelung von Asyl- und Fremdengesetzen. Die neuen, durch die Einführung von Visumpflicht z.B. für TürkInnen oder BulgarInnen begleiteten Gesetze machten es Menschen auf der Flucht kaum mehr möglich, in Österreich Asyl zu beantragen, geschweige denn zu bekommen. Im Bereich der »Fremdengesetze« wurden Arbeit und Aufenthalt entkoppelt und eine Reihe von restriktiven Quoten bis hin zur Familienzusammenführung eingeführt.
Gleichzeitig kam es während des Bosnienkriegs zur größten Flüchtlingsbewegung nach Österreich seit der Polenkrise 1981. Im Unterschied zu damals blieb mehr als die Hälfte der Flüchtlinge in Österreich und ist heute, zwanzig Jahre nach dem Krieg, jene Gruppe mit den besten »Integrationserfolgen«. Der scheinbar paradoxe Umgang mit den Flüchtlingen aus Bosnien ist nicht nur Altösterreich-Nostalgie oder dem höheren Bildungsstandard der Geflüchteten zuzuschreiben, er ist auch der Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes Anfang der 1990er Jahre geschuldet. Zwischen 1988 und 1991 nahm die Zahl der unselbständig Erwerbstätigen ohne österreichische Staatsbürgerschaft um über 100.000 Personen zu. In dieser Periode der kurzfristigen Hochkonjunktur bediente sich der Arbeitsmarkt nicht nur bei den de facto Flüchtlingen aus Bosnien – viele hatten keinen Asylantrag stellen (dürfen) – sondern auch bei AsylwerberInnen aus Rumänien und anderen Herkunftsländern. AsylwerberInnen hatten Zugang zu AMS-Maßnahmen, Beschäftigungsbewilligungen wurden meist problemlos erteilt.
Diese Möglichkeiten waren mit den Gesetzesverschärfungen, die 1993 in Kraft traten, vorbei: Wer es bis dahin nicht geschafft hatte am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, hatte nun große Probleme. Selbst Familienzusammenführungen konnten sich über Jahre hinziehen. Es kam zu zahlreichen Härtefällen und kuriosen Situationen, in denen Menschen legal arbeiteten, ohne über einen gültigen Aufenthaltstitel zu verfügen.
Österreich macht dicht
Das Asylsystem in den Jahren 1992 bis 1997 war nicht nur durch Restriktionen beim Zugang zum Verfahren durch Sichere-Drittland-Regelung, Obdachlosigkeit und Aufenthaltsunsicherheit geprägt, sondern auch durch ein Verfahren, das keinen rechtstaatlichen Standards standhielt.
Das wesentlichste Prinzip, das in dem 1991 beschlossenen Asylgesetz zur Anwendung kam, war die Drittlandssicherheit. Jeder Gebietskontakt mit einem Drittstaat wurde als bereits gefundene Sicherheit ausgelegt, unabhängig davon, ob der Flüchtling dort einen Asylantrag gestellt hatte oder nicht. Allen Asylwerberlnnen, die nicht »direkt« einreisten, wurde auch ein vorläufiges Aufenthaltsrecht während des Verfahrens versagt. Viele AsylwerberInnen waren dadurch von Verhängung der Schubhaft bedroht. Der UNHCR ermittelte, dass zwölf Prozent der AsylwerberInnen sich im laufenden Verfahren in Schubhaft befanden.
Durch die Möglichkeit, »offensichtlich unbegründete« Asylanträge in einem Schnellverfahren abzulehnen, sollte eine Beschleunigung der Verfahren erreicht werden. Diese Maßnahme gegen »Asylmissbrauch« beinhaltete auch eine Einschränkung der Berufungsmöglichkeiten. Eine tatsächliche Verfahrensbeschleunigung konnte damit nicht erreicht werden.
Die Mehrheit der Flüchtlinge erhielt keine staatliche Unterstützung für die Deckung des Lebensunterhalts und war nicht krankenversichert. Tausende AsylwerberInnen warteten daher nicht den Ausgang ihres Verfahrens ab, sondern zogen in andere Staaten weiter.
Mit diesem Gesetz wurde erstmals eine eigene Asylbehörde geschaffen, das Bundesasylamt (BAA), das auch über Außenstellen in den Bundesländern verfügte. Allerdings gab es zu dieser ersten Instanz im Asylverfahren keine unabhängige Berufungsinstanz. Einsprüche wurden vom Innenministerium meist gänzlich ohne weitere Beweisaufnahmen oder mündliche Verhandlungen geprüft. Berufungen führten dementsprechend selten zu einer inhaltlichen Neubewertung. Die Folge war, dass immer mehr AsylwerberInnen bei den Höchstgerichten (v.a. dem Verwaltungsgerichtshof) wegen Verfahrensmängel Beschwerde einlegten. Dadurch kam es zu einer weiteren Verlängerung der Verfahren, die nicht selten mehr als fünf, manchmal bis zu zehn Jahren dauerten.
Als Begleitmaßnahme zu den Gesetzesverschärfungen wurden die Grenzen zu den östlichen Nachbarn verstärkt überwacht. Seit 1990 stand das Österreichische Bundesheer zur Unterstützung der Gendarmerie mit 2.500 Mann an der Ostgrenze und fing Flüchtlinge, beim Versuch über die »Grüne Grenze« einzureisen, ab. Das neue Gesetz führte dazu, dass die Zahl der Asylwerberlnnen von 27.000 (1991) auf rund 5.000 (1993) zurückging und auch die Anerkennungsquoten sanken.
Veränderte Rahmenbedingungen
Auf europäischer Ebene wurde in den späten 1990er Jahren aber nicht nur der kompromisslosen Abschottung gefrönt, aus Brüssel klangen auch freundlichere Töne, vor allem wenn es um Bekämpfung von Diskriminierung und die Vereinheitlichung von Asyl- und Migrationspolitik ging. Diese war nämlich nach den Vorgaben des Amsterdamer Vertrags und den Beschlüssen des EU-Gipfels 1999 im finnischen Tampere unter durchaus liberalen Vorzeichen angelaufen. Der ehrgeizige Plan, bis 2010 zu einem einheitlichen EU-Asylsystem zu kommen, wurde durch die Ereignisse des 11. September 2001, die nachfolgende Terrorangst und deren Ausnutzung durch sicherheitspolitische Hardliner in der ganzen EU jäh durchkreuzt. Die Aushandlung der EU-Richtlinien, die heute für die Ausgestaltung der nationalen Asylgesetze den Rahmen vorgeben, gestaltete sich schwierig. Manchmal dauerte es etliche Jahre, bis ein Kompromiss gefunden war, welcher meist auf einem sehr allgemeinen Niveau gehalten war, das den Mitgliedsstaaten weiterhin großen Gestaltungsspielraum bot. Von den liberalen Vorschlägen der EU-Kommission war dann meist nicht viel mehr übrig geblieben.
In Österreich hatte inzwischen das sogenannte Integrationspaket unter Innenminister Caspar Einem zu erheblichen Verbesserungen im Asylwesen geführt: Die Drittlandklausel, jene Bestimmung, die immer wieder zur Rückschiebung von AsylwerberInnen in Nachbarländer geführt hatte, wurde entschärft. Wichtigste Errungenschaft des Asylgesetzes 1997 war aber die Einführung einer unabhängigen zweiten Instanz im Asylverfahren in Gestalt des Unabhängigen Bundesasylsenats (UBAS). Andere Missstände blieben bestehen, wurde doch der reformfreudige Minister bald nach Verabschiedung des Gesetzes durch den Purkersdorfer Bürgermeister Karl Schlögel ersetzt. Dieser setzte die Politik seiner Vor-Vorgänger, es den Flüchtlingen so unangenehm wie möglich zu machen, fort.
Dazu gehörte vor allem die Praxis, AsylwerberInnen, denen die Behörden wenig Aussicht auf einen positiven Ausgang des Verfahrens zubilligten, die staatliche Bundesbetreuung zu verweigern. Vor dem Lager Traiskirchen spielten sich unbeschreibliche Szenen ab, beispielsweise wenn ganze Familien nach der Registrierung als AsylwerberInnen wieder auf die Straße gesetzt wurden. Während alleinstehende Männer in den Weinbergen rund um die niederösterreichische Heurigenstadt oder auf der Wiener Donauinsel campierten, fanden die meisten Familien einen Platz in den mit Spendengeldern finanzierten Notunterkünften von Caritas und Diakonie. Im Winter mussten die kirchlichen Hilfswerke auf das »Mobile Notquartier« zurückgreifen: Flüchtlinge wurden in Gruppen von Pfarre zu Pfarre weitergereicht, wo sie jeweils einige Wochen beherbergt und verköstigt wurden.
Allerdings bewirkten die Einführung des UBAS und die Besetzung dieser Einrichtung mit zum Teil hochkarätigen AsylexpertInnen zu einer erheblichen Verbesserung des Asylverfahrens, zu der auch die Höchstgerichte als letzte Berufungsinstanz ihren Teil beitrugen. So kam es in manchen Jahren zu einer Anerkennungsquote von 50 Prozent. Wer es schaffte, in Österreich zum Asylverfahren zugelassen zu werden, hatte bis 2008 auch gute Chancen, hier Schutz vor Verfolgung zu finden.
Die verpflichtende Umsetzung der EU-Richtlinien in innerstaatliches Recht von 2003 bis heute, führte in Österreich meist zu Verbesserungen, aber sie verhinderten auch nicht gravierende Rückschritte. Zwar waren die meisten Verschärfungen der Gesetze hausgemacht, doch sie wurden erst durch die niedrigen Standards der EU-Richtlinien ermöglicht.
Wichtigster positiver Aspekt – neben der Einrichtung des Europäischen Flüchtlings Fonds – war wohl die 2004 auf Grund der Umsetzung der EU-Aufnahmerichtline erfolgte Einführung einer flächendeckenden Grundversorgung für alle AsylwerberInnen für die Dauer des gesamten Verfahrens. Die dafür aufgebaute bundesweite Struktur führte zu einem erheblichen Professionalisierungsschub in der Asylbetreuung.
An dieser Stelle sei auch auf eine ökonomische Entwicklung der letzten zwanzig Jahre hinzuweisen: Das Entstehen einer Dienstleistungsökonomie, die immer wieder neue Arbeitsmarktnischen für wenig qualifizierte Arbeitskräfte eröffnet, von der Renaissance der Dienstboten, über ambulante Händler und Boten bis zum Zeitungszusteller. Prekäre Jobs, für die sich wegen der geringen Löhne und schlechten Arbeitsbedingungen kaum reguläre im Land lebende Arbeitskräfte finden lassen. Gleichzeitig wurde spätestens mit dem Fremdenpaket 2005 die Zuwanderung nach Österreich für unqualifizierte Arbeitskräfte komplett gestoppt. Daher sind es genau diese Bereiche, in denen in Österreich undokumentierte MigrantInnen und auch AsylwerberInnen Arbeit finden – trotz oder gerade wegen der Restriktionen beim Arbeitsmarktzugang.
Die Forderungen der Flüchtlinge
Nun wären wir wieder bei den aktuellen Flüchtlingsprotesten und ihren Forderungen angelangt: Auf EU-Ebene richten sie sich gegen das Dublin II Abkommen, das festlegt, dass im ersten EU-Land, in dem ein Flüchtling registriert wird, der Asylantrag behandelt werden muss. Nun sind die Chancen auf Asyl sehr unterschiedlich, während zum Beispiel in Österreich Flüchtlinge aus Pakistan praktisch nie Asyl bekommen, liegen die Anerkennungsquoten in anderen Staaten zumindest über zehn Prozent. Bei einem negativen Ausgang des Asylverfahrens gibt es keine Chance, in einem anderen EU-Land Asyl zu erhalten. Die Folge: Ein Leben in der »Illegalität« in einem EU-Land, wo es möglich ist, sich auch ohne Status mit undokumentierter Arbeit über Wasser zu halten. Und, wenn nicht irgendwann eine »Legalisierung« gelingt, früher oder später die Abschiebung ins Herkunftsland. Dublin II macht auch dann wenig Sinn, wenn das Asylverfahren positiv ausgeht, der/die Schutzsuchende aber nicht in dem Land ist, wohin er/sie ursprünglich hinwollte, wo es Verwandte oder andere Anknüpfungspunkte gibt. Eine Integration fällt ohne die Unterstützung einer Community wesentlich schwerer. Die Folge: Erneute Migration innerhalb der EU, sobald dies rechtlich möglich ist.
Entzündet haben sich die aktuellen Mobilisierungen an den Zuständen im überfüllten Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, wo es durch mangelnde Grundversorgungskapazitäten in den Ländern zu einem »Rückstau« gekommen war. Statt der angestrebten 400 Flüchtlinge drängten sich mehr als doppelt so viele auf dem Gelände der ehemaligen Artillerie-Kadettenschule. Neben der Zuspitzung des Bürgerkriegs in Syrien und den Nachwehen des arabischen Frühlings trägt zurzeit auch die Krise in Griechenland, Italien und Spanien dazu bei, dass die Asylwerberzahlen steigen. Von dort kommen nämlich immer mehr Flüchtlinge, die schon einige Jahre im Asylverfahren oder als Undokumentierte in der informellen Ökonomie überlebt hatten. Vor allem die industrialisierte Landwirtschaft, aber auch Baugewerbe und Gastronomie setzten in Südeuropa systematisch auf billige undokumentierte Arbeit. Jetzt, in der Krise, sind auch immer mehr Einheimische gezwungen, ihr Auskommen dort zu suchen bzw. sind manche Bereiche überhaupt verschwunden.
Die Flüchtlinge, die jetzt in Österreich, Deutschland oder den Niederlanden ankommen, haben zum Teil schon Erfahrungen in Europa sammeln können und sind oft schon viele Jahre unterwegs.
Die Zustände in Traiskirchen sind aber auch Resultat des österreichischen Grundversorgungssystems. Die Überfüllung des Lagers war auch dadurch entstanden, dass die Bundesländer (mit Ausnahme Wiens) sich weigerten, neue Flüchtlingsquartiere einzurichten. Angeblich wolle die Bevölkerung keine Flüchtlinge in den Gemeinden. Tatsächlich ist es schwierig, geeignete Quartiere zu finden und rechte Parteien benutzen die Verunsicherung der BürgerInnen zur Agitation, aber bei guter Planung und Information der Bevölkerung sowie unter Einbeziehung von Flüchtlingen und NGOs lassen sich diese Widerstände überwinden. Als zum Jahreswechsel in ganz Österreich neue Quartiere eröffnet wurden, fanden sich in vielen Gemeinden (wie z.B.: in Altmünster/OÖ) lokale Initiativen, die die Flüchtlinge unterstützen.
Andere schwerwiegende Probleme der Grundversorgung sind die viel zu niedrigen Tagsätze, die auch dadurch bedingte schlechte Qualität privat geführter Unterkünfte (die NGOs schießen Spendengelder zu) und die Entlegenheit der Quartiere. Das Grundversorgungssystem ist durch die föderale Struktur (9 Grundversorgungsgesetze) unflexibel. Eines der massivsten Probleme stellt das nicht vorhandene Partizipationsrecht dar: Flüchtlinge haben keinerlei Mitspracherecht, in welchem Bundesland und welchem Quartier sie die Zeit während des Asylverfahrens verbringen. Ob man den Ausgang des oft Jahre dauernden Verfahrens in der Wiener Josefstadt oder in Großpeterholz (westl. Waldviertel) abwartet, macht auch in punkto späterer Integrationschancen einen großen Unterschied.
In der öffentlichen Diskussion weniger präsent und wohl auch für die Flüchtlinge schwieriger zu formulieren sind Forderungen, die auf eine Verbesserung der Asylverfahren abzielen. Hier sind wir in den vergangenen Jahren mit einem rasanten Rückgang der Anerkennungsquoten konfrontiert. Lagen diese von 2004 bis 2007 noch bei über 40 Prozent, sind sie seither auf unter 20 Prozent gefallen. Betroffen sind hier vor allem Flüchtlinge aus Tschetschenien und Afghanistan. Während Beobachter wie die International Crisis Group von einer kontinuierlichen Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan seit 2004 sprechen, sind die Österreichischen Asylbehörden immer seltener bereit, AfghanInnen unter Schutz zu stellen. Da aber Abschiebungen nicht möglich sind, steigt auch die Zahl jener, die in einem rechtlichen Zwischenraum überleben müssen.
Hauptgrund für die abnehmenden Anerkennungsquoten ist das Abschneiden des Instanzenwegs: Seit 2008 ist es nach einer negativen Entscheidung in zweiter Instanz nicht mehr möglich, gegen Verfahrensfehler beim Verwaltungsgerichtshof eine Beschwerde einzubringen – ein Recht, das jeder österreichische Verkehrssünder in seinem Verfahren hat.
Schließlich noch zu jener Forderung, über deren Erfüllung zumindest verhandelt wird – wohl auch, weil sie eine breite Unterstützung in der Bevölkerung findet. Immerhin sprechen sich bei Umfragen regelmäßig über 50 Prozent für einen Zugang zum Arbeitsmarkt für AsylwerberInnen während des Verfahrens aus. Am leichtesten wäre es, einen Erlass des Arbeits- und Wirtschaftsministeriums von 2004, der die Beschäftigungsmöglichkeiten für AsylwerberInnen auf Saisonjobs beschränkt, außer Kraft zu setzen. Dies würde allerdings auch nichts Grundlegendes an der Situation ändern, sieht doch das Ausländerbeschäftigungsgesetz den Arbeitsmarktzugang drei Monate nach Asylantragstellung nur nach einem Ersatzkräfteverfahren vor. Das bedeutet, AsylwerberInnen bzw. ihre potentiellen ArbeitgeberInnen bekommen nur dann eine Beschäftigungsbewilligung, wenn auf den Job weder ein/e ÖsterreicherIn noch ein/e EU-BürgerIn noch ein/e integrierte/r DrittstaatsbürgerIn vermittelbar ist. Die NGOs fordern daher einen Arbeitsmarktzugang für AsylwerberInnen ohne Ersatzkräfteverfahren, zumindest in sogenannten Mangelberufen. Wichtig wäre daneben vor allem ein Zugang zu Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen. Viele Flüchtlinge bringen Fertigkeiten und Kenntnisse mit, die während der langen Wartezeit verkümmern und nach einer Asylgewährung kaum mehr zum Einsatz kommen können, weil die Flüchtlinge unter ökonomischem Druck jeden Job annehmen müssen.
Abseits von den konkreten Missständen im Asylsystem – und hier kommen wir auf die eingangs angesprochene Schwierigkeit zurück, zwischen Flucht und Migration zu unterscheiden – bleibt das Problem, dass durch die restriktive Einwanderungspolitik der EU, verbunden mit einem für tausende Flüchtlinge und MigrantInnen tödlichen Grenzregime, das Asylsystem an sich unter starkem Druck steht. Bleibt es doch für die meisten Menschen, die aus welchen Gründen auch immer ihre Heimat verlassen (müssen), die einzige Chance, in den nördlichen Wohlstandsgürtel zu gelangen. Wo sie, das sei nochmals betont, weiterhin sehr wohl als billige Arbeitskräfte heftig gefragt sind.
Diese Situation führt dazu, dass jenes Instrument der GFK, das die Unterzeichnerstaaten verpflichtet Flüchtlinge den eigenen BürgerInnen weitgehend gleichzustellen, seinen Auftrag immer weniger erfüllen kann.
Angesichts der globalen Vernetzungen, der Ströme von Kapital und Waren müssen sich auch Menschen, die dies wollen (und das sind bei weitem nicht so viele, wie die EU-SicherheitspolitikerInnen den BürgerInnen weismachen wollen) frei bewegen dürfen.
Art 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte lautet: »Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.« Das Problem dabei: Es gibt kein Menschenrecht, sich in einem anderen Land seiner Wahl aufzuhalten. Dem Menschenrecht auszuwandern müsste also ein Menschenrecht auf globale Bewegungsfreiheit zur Seite gestellt werden und genau das ist es, was tausende MigrantInnen und AktivistInnen in ganz Europa bei no-border Camps, Aktionen gegen Abschiebungen oder der Unterstützung von »Papierlosen« und abgelehnten AsylwerberInnen fordern. kommen.
This article was originally published in April 2013 in INTERNATIONAL – Zeitschrift für internationale Politik, Issue 1-2013.