Politik, wir lieben dich! Eine kleine Geschichte zivilgesellschaftlichem politischen Engagements

Politik, wir lieben dich! Eine kleine Geschichte zivilgesellschaftlichem politischen Engagements 1

Im März 2018 fand in Wien ein geniales Experiment statt: Eine junge Community aus politikinteressiertem Nachwuchs brachte ihre Ideen und ihr Wissen in acht thematischen Arbeitsgruppen rund um Europas Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik ein und gestalteten dabei griffige Handlungsempfehlungen für eine zukunftsfähige Politik. Das alles abseits von Parteistrukturen und auf Basis der gemeinnütziger Arbeit.
Dahinter steckt eine nicht nur ein auf die Zukunft ausgerichtetes Netzwerkmodell, sondern auch ein handlungsorientierter Zugang zur Politik von Morgen.

Das Staffelholz liegt am Boden

Europas Politik wird seit den verheerenden Folgen zweier Weltkriege von dem Gedanken “Kooperation statt Konflikt” geleitet. Während der letzten Dekade wurde das europäische Projekt aber immer wieder an seine Grenzen gebracht und getestet: Brexit, Finanzkrise, Asyldebatten und Migrationsherausforderungen, Kriege in der unmittelbaren Nachbarschaft, stockender Dialog mit Russland… um nur einige zu nennen… Das Unwohlsein in der Eurozone, die politische Krise ausgelöst durch Flucht und Vertreibung und konkurrierender regionale Visionen über die Zukunft der EU haben letztendlich zu verstärkter Euroskepsis geführt. Währenddessen versucht sich der Kontinent unter politischen Rückschlägen und wirtschaftlichen Herausforderungen strategisch auf- und auszurichten.
Nach 70 Jahren liegt das Staffelholz, das diese Idee über die Jahrzehnte getragen hat, am Boden.

Während in den Regierungen der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten im Großen und Ganzen eine – wenn auch oft hohle – pro-europäische Stimmung vorherrscht, ist das Vertrauen der Öffentlichkeit in die politischen Institutionen der EU jedoch  stetig zurückgegangen und die Unterstützung für weitere EU-Integrationsmaßnahmen gesunken. Jüngste Eurobarometer-Umfragen zeigen eine durchschnittliche Unterstützung von nur 41% für die EU-Institutionen und ein noch geringeres Vertrauen in nationale Institutionen der Mitgliedsstaaten.  Offensichtlich herrscht also Verdrossenheit und Unzufriedenheit mit der zeitgenössischen Politik. Vielfach stimmt das mit Rekord-Negativwahlbeteiligungen überein, was darauf hindeutet, dass diese Unzufriedenheit häufig zu Apathie und Desinteresse führt.

Zudem kommt, dass der Dialog über aktuelle Entwicklungen und Reformen innerhalb der EU nur sehr eingeschränkt möglich ist. Gespräche finden nämlich in der Regel zwischen den immergleichen institutionellen Akteuren, akademischen oder elitären politischen Netzwerken statt. Zudem sind solche politischen Machtzirkel von ungleichen Geschlechterverhältnissen und Unterrepräsentation von Minderheiten geprägt.

Besonders leiden darunter junge Menschen, deren Frustration sich vor allem in niedrigen Wahlbeteiligungen ausdrückt. Nach Angaben des Europäischen Parlaments betrug die Wahlbeteiligung für Personen unter 24 Jahren bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 bei lediglich 28%. In vielen EU-Mitgliedstaaten ist dies bei nationalen Wahlen unter 30% gesunken, wobei Griechenland mit 22% ein besonders eindringliches Negativbeispiel darstellt.

Aus der Sicht einer jungen, kritischen Community liegt das erwähnte Staffelholz daher nicht nur am Boden: Es wartet darauf von einer neuen Generation voran getragen zu werden, aber mehr noch: Es ist an der Zeit, frischen Wind in die Politik zu bringen, auf europäischer, wie auch auf Ebene der Mitgliedstaaten.

Politik: das ewig unvollendete Projekt

Von Desinteresse am politischen Geschehen oder einer generellen Politikmüdigkeit oder -verdrossenheit kann bei jungen Menschen abseits von offiziellen Wahlen allerdings keine Rede sein. In Zeiten wie diesen, die von zunehmender sozialer, ökonomischer und schließlich auch politischer Polarisierung geprägt sind, in denen herausfordernden Themen mit zunehmender Introvertierung des politischen Horizonts begegnet wird und gesellschaftliche Verantwortung mehr inszeniert als gelebt wird, entsteht abseits medialer Scheinwerfer und parteipolitischer Bühnen ein neues politisches Bewusstsein.

Dieses Bewusstsein drückt sich vor allem dadurch aus, dass politische Diskussion wieder en vogue wird. Die Geschehnisse und Veränderungen der letzten Jahre – in Europa, in der unmittelbaren Nachbarschaft, über dem Atlantik, im Fernen Osten sowie auf ideologischer Ebene – machen Politik gewissermaßen populär.

Während in vielen europäischen Hauptstädten das tagespolitische Augenmerk oft einen geringeren Horizont zu haben scheint, als es zumindest wahlperiodische Rhythmen vorgeben würden, brodelt es in der Zivilgesellschaft: Initiativen sprießen aus dem Boden, wie Pilze. Nahezu im Wochentakt gründen sich in Europa neue Vereine, neue Parteien, neue Think-Tanks oder Kollektive. Im selben Maß wie die niedrige Wahlbeteiligung unter jungen Menschen in Griechenland ein Negativbeispiel ist, zeigt das rege politische Leben im Zuge der Finanzkrise und danach deutlich, dass Politik trotzdem gelebt wird – mehr denn je. Wahlbeteiligung und politisches Bewusstsein korrelieren also im umgekehrten Sinn: je weniger Menschen sich von politischen Eliten und Parteien repräsentiert fühlen, umso mehr wird Politik abseits dieser Strukturen gelebt.
Kurzum: Angesichts der vielfältigen Herausforderungen wird diskutiert, wie schon lange nicht mehr. Und das ist gut so.

Es ist deshalb gut, weil frischer Wind in bestehende Strukturen kommt, weil alte Strukturen damit erweitert oder komplettiert werden, weil manchmal mit alteingesessenen Strukturen gebrochen wird, weil politische Kreativität damit anders gelebt werden kann. Letztendlich auch deshalb, weil Netzwerke gebildet werden, in denen gearbeitet, gebastelt und nachgedacht wird und neue Räume – oft abseits von den Machtzentren der (Partei-)Politik – entstehen.

Als zivilgesellschaftlich-strategischer Think&Do-Tank entspringen die Köpfe hinter Shabka einer Generation, die nicht nur den Großteil ihrer bisherigen Lebenszeit in der Europäischen Union zugebracht haben und denen aus diesem Grund eine kooperative europäische Komponente wichtig ist, gleichermaßen stehen sie auch einer Verboulevardisierung politischer Themen auf allen Ebenen ausgesprochen kritisch gegenüber.

Vor diesem Hintergrund ist es aus unserer Sicht höchste Zeit, das am Boden liegende Staffelholz aufzunehmen und Impulse für eine visionäre, frische, kritische und zukunftsfähige Politik zu setzen und sie mit mutigen Inhalten aus der Zivilgesellschaft zu beleben. Starre Zugänge, alte Muster und überholte Ansätze werden die Aufgaben unserer Zeit nicht bewältigen. Daher ist die junge Generation gefragt, strategische Antworten zu finden.

Shabka’s Future Strategists Hub

Wie eingangs erwähnt, hat Europa eine Vielzahl an strategischen Herausforderungen zu bewältigen. Diese reichen vom Umgang mit Chinas wirtschaftlicher Dynamik über die stagnierende EU-Erweiterung am Westbalkan, und die weitreichenden Entwicklungen der Digitalisierung, die mit vielen Lebensbereiche einhergehen, bis zu sozio-ökonomischen Problemstellungen in West- oder Subsahara-Afrika. Gerade die Folgen der Umbrüche im arabischen Raum werfen oft die Frage auf, wie Europa seine Rolle zwischen Zivilmacht und außen- bzw. sicherheitspolitischem Akteur wahrnehmen soll.

Bis jetzt konnte Europa noch keine überzeugenden Strategien vorlegen, wie man auf diese Palette an Aufgaben reagieren könnte und neue Handlungsspielräume sowie Alternativen der Politik miteinbezieht.

Für uns bei Shabka war klar, dass neue Ideen von jungen Stimmen kommen müssen. Solche Zugänge haben wir deshalb erstmals im März 2018 im Rahmen des Future Strategists Hub diskutiert. In dem jungen strategischen Format, dass wir in Kooperation mit dem Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) veranstaltet haben, haben wir uns der Ideen- und Visionslosigkeit der politischen Eliten gestellt. Damit haben wir einen Prozess angestoßen, in dem wir als zivilgesellschaftliche Organisation Akzente gesetzt haben, blinde Flecken identifiziert haben und durch seriöse Ansätze außerhalb des Mainstreams den europäischen politischen Diskurs beleben konnten.

Beim eintägigen Workshop förderten wir in kollektiver Zusammenarbeit in acht Arbeitsgruppen zu Themen der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik unter der Leitung je einer Expertin/eines Experten die Erstellung von Politikempfehlungen. Zu der Rolle der Zivilgesellschaft im Nordirak und Tunesien erarbeiteten die TeilnehmerInnen ihre Empfehlungen genauso wie zu Digitalisierung der Sicherheit, der Entwicklungspolitik in Westafrika, der Wahrung der Menschenrechte in der EU, den chinesischen Wirtschaftsambitionen in Zentralasien, der stagnierenden EU-Annäherung am Westbalkan sowie den Herausforderungen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, und lieferten schließlich einen Input zur strategischen Vorausschau der Union.

Wichtig dabei war uns die breite Einbindung von jenen, die sich von der derzeitigen Politik nicht repräsentiert fühlen und das die Erstellung der Empfehlungen auf Basis einer vertieften Auseinandersetzung mit qualifizierter Forschung stattfindet. Einen Tag lang brachten so rund 80 junge Menschen – einige am Ende ihres Studiums, einige am Anfang ihrer Karrieren, aber alle geleitet durch das Motto „Think Europe outside the Box“ – ihre Ideen und ihr Wissen ein. Eine Podiumsdiskussion mit den leitenden ExpertInnen des Future Strategists Hub rundete den intensiven und kreativen Workshop ab.

Letztendlich wurde der Future Strategists Hub durch die Ideen von talentierten jungen Köpfen, die sich proaktiv in unserem Forum einbrachten, mit Leben erfüllt. Wir gehen nämlich davon aus, dass eine zukunftsfähige Politik letztendlich nur zusammen entstehen kann.

Insgesamt arbeitete ein 10-köpfiges Organisationsteam und neun ArbeitsgruppenleiterInnen seit Frühjahr 2017 – also ein Jahr lang – intensiv an der Vorbereitung des Future Strategists Hub. Die Diversität der unterschiedlichen Hintergründe des Organisationsteams und der 80 TeilnehmerInnen des Workshops schaffte den Rahmen für engagierte und spannende Diskussionen in den einzelnen Arbeitsgruppen.
Schließlich ist das genau jener Zugang, der unser Verständnis von einem verantwortungsvollen Umgang mit Politik widerspiegelt und den wir mit Leben füllen wollen.

Verstehen. Entscheiden. Handeln.

Die Grundlage für Veränderung beruht für uns auf der Vielfalt eines zivilgesellschaftlichen Netzwerks, dem durch Wissen und Engagement Wirkkraft verliehen wird. Mit dem Future Strategists Hub als Beispiel für kollektiven Wissenstransfer traten wir erstmals als junges strategisches Format in Österreich – und dahingehend als strategischer Think&Do-Tank, der auf zivilgesellschaftlicher Basis Akzente und Impulse setzt – auf. Einerseits werden analytisch Strategie- und Policyempfehlungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erarbeitet. Andererseits werden diese übersetzt, um sie auch anzuwenden.  Das wollen wir auch weiterhin tun, weil wir es nicht nur als wichtig erachten, sondern als absolut notwendig im gegenwärtigen politischen Klima. Uns ist die Zukunft zu wichtig, als dass wir sie KarrieristInnen, rückwärtsgewandten MachtpolitikerInnen, OpportunistInnen oder akademischen Blasen überlassen wollen.

Wir stehen dafür ein, das die Lösungen für Morgen von jenen gemacht werden, die wesentlich dazu beitragen werden müssen, sie umzusetzen und zu begleiten. Als junges Format machen wir genau das: Wir liefern frische Impulse indem wir uns am Puls der Zeit bewegen und mittels innovativen Ideen unsere Zukunft mitgestalten.

Für uns ist Wissen praktisch, sichtbar und umsetzbar. Wir wollen auch weiterhin dorthin gehen, wo Ideen gebraucht werden. Dazu müssen in unserem Verständnis Geistes- und Sozialwissenschaften Beiträge zu gesellschaftlichen Debatten und existenziellen Fragen liefern, anstatt affirmativ bestehende Verhältnisse empirisch zu erheben. Proaktives Handeln baut für uns auf einer wechselseitigen Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik auf.

Auf mehreren Ebenen werden wir so auch künftig einen intensiv-kontroversen, differenziert-abwägenden und detailliert-kontextualisierten Gedankenaustausch sowie ein über-institutionelle Zusammenarbeit vorantreiben. Seit der Gründung von Shabka 2013 war es uns immer ein wesentliches Anliegen Bewusstsein für politische Zusammenhänge zu schaffen. Das ist bis heute unverändert geblieben. Auch weiterhin werden wir uns bemühen ein Forum für politische Diskussion und ein Dynamo, in der qualifiziertes Wissen in Handlungsempfehlungen für die politische Praxis übersetzt wird, zu bleiben. Unser Credo bleibt: Verstehen. Entscheiden. Handeln.